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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 4 (2. Novemberheft)
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0353

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sprachen, noch ein wenig länger „vorn" zu halten, fügen wir zwei weitere
Zeichnungen nach „Licht und Schatten" bei: Leopold von Kalck-
reuths ländliches Begräbnis übers Feld hin und das verschlafene
Kinderköpfchen von Richard Winckel.

Die farbige Reproduktion nach einem großen Bilde von Karl R.
Haeser geben wir weniger der Lichtstudie halber als wegen der nnsres
Erachtens recht guten Menschenbeobachtung darin.

Die Illustrationsbeilage erinnert daran, daß wir in den
Lagen der Lotenfeste sowohl der protestantischen wie der katholischen Kirche
leben. Sie zeigt die neue Dresdner Feuerbestattungsanlage
uud wird durch einen Aufsatz des Künstlers selbst, Prof. Fritz Schu-
machers in Hamburg, in der Rundschau dieses Heftes erläutert.
/^ngelbert Humperdincks neuestes Werk, die in Lonüon mit
^großem Beisall aufgesührte Pantomime „Das Wunder", gehört
einer Mischgattung an. Die Handlung selbst wird durch stumms Gsbärde,
Aufzüge und Tänze versinnlicht; der lyrische Gesühlsausdruck verdichtet
sich an geeigneten Stellen zu chorischen Gesängen. Ob dieser Wechsel hetero-
gener Kunstmittel an sich sehr glücklich ist, mag dahingestellt bleiben,
der Wert der Vollmöller-Reinhardtschen Schöpsung liegt ohnehin im
Szenisch-theatralischen. Die schon von Keller behandelte rührende Legende,
wie die Mutter Gottes sür die sündige Nonne eintritt und während ihrer
Flucht in die Welt ihr Amt im Kloster versieht, um die reuig Zurückkehrende
dann in Gnaden aufzunehmen, sie hat ihren Heiligenschein für recht
äußerliche Wirkungen hergeliehen. Humperdinck aber hat die dem
Musiker gestellte Ausgabe in feinsinniger, vornehmer Weise gelöst und
auch hier seine Eigenart bewahrt. Die Anlehnung an Volks-, Kin-
der- und Kirchenlieder bildet wieder den melodisch-thematischen Kern, dem
eine durchsichtige Polyphonie und kontrapunktische Finessen die wirksame
Fassung geben. Am glücklichsten ist der Komponist, wo er die reins Ge-
fühlswelt der Gläubigen oder kindlich-unschuldige Lebensfreude auszudrücken
hat. In dem ersten Bilde, das das Dhema „Die Nonne und der Ritter"
behandelt, wie im Schlußbild ist auch der katholisierende Eharakter in der
Musik sehr geschickt sestgehalten. Wo eine schwülere Dramatik einsetzt,
wird Humperdinck bei aller Meisterschaft unpersönlicher und weniger präg-
nant. Doch findet sich auch in den weltlichen Szenen ein originell ent-
worsenes Stück wie der Tanz des Spielmanns und der Nonne, der mit
seinen über konstanten Vässen liegenden tiefen Flötentriolen charakteristisch
wirkt.

2. Novemberhest 1912

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