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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1912)
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Traub,l...: Weihnachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0462

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Sie werden von selbst zum Sinnbild höherer Krast und Weisheit.
Nichts lenkt hiervon die Sinne ab. Man wird unbewußt in eine
andere Welt gehoben, da man reiner atmen kann. —

Lausende in unserer Zeit können diese Weihnachtserzählung nicht
mehr genießen. Sie selbst sind am wenigsten schuld daran. Sie
möchten wohl gerne; aber, aber! Man hat daraus eine Geschichts--
tatsache gemacht, die man auswendig lernen soll etwa so, wie die
Schlacht bei Kannä. Man hat davor einen Zaun gestellt, so daß nur
„Gläubige" nach Bethlehem kommen dürfen, die „Ilngläubigen" aber
nichts davon verstünden. Darum finden sich die meisten nicht mehr
zurecht. So fragt man ängstlich die gelehrten Geschichtsforscher. „Ist
das auch wahr?«, und diese guten Leute schütteln die KöPfe. Mit Recht.
Sie müssen das tun; denn wir haben hier kein Aktenstück aus einem
gesichteten Dokumentenschrank des Reichsarchivs. Hier aber liegt der
Beweis ihrer Wahrheit. Dort hören wir nur das Singen und Klingen
einer dankbaren Seele. Wer fragt noch bei dem Schrei eines Menschen-
herzens, ob der ki8 oder as war? Dazu braucht man eine höhere Kennt--
nis von gar seltsamen Tonleitern. Drum weg mit all dem, was aus
jener frommen inneren Erfahrung von Weihnachten eine aktenmäßige
Beschreibung einer Nacht von Anno dazumal machen will! Der Dich--
ter schaut Neues; der Geschichtsforscher ordnet Altes. Ich gehe mit dem
Dichter und hoffe, daß er auch uns in neue Lande führen wird.

Denn dazu ist doch diese Weihnachtserzählung da, daß sie uns
frage: Seele, wo ist deine Weihnacht? Auch wir können Gott
unter den Menschen erleben, heute, heute. Nnd wenn es nicht heute
ist, dann ist eben heute kein Weihnachten. Dann war es vielleicht
einst vor tausend Iahren, vielleicht. Aber was gehet das mich an?
Weihnachten ist, wo wir Heutigen Gott schauen in dieser Welt, wo
Licht Hereintritt in Sorge, Angst und Not, wo Lösung sich zeigt und
Erlösung für müde Wegewanderer. Daher haben wir die Kinder so
gern um den Weihnachtstisch. Nicht, weil es bloß ein Vergnügen für
Kinder und nicht für Erwachsene wäre. Sondern hier schau! dies dein
Kind ist auch in der Krippe gelegen und der Himmel tat sich auf, als
dies Leben zum Menschsein erwachte, und wenn du genau hinhorchtest
durch der Mutter Wehen und das Dunkel der Geburt, so sangen auch
damals die Engel. Wo überwundene Not uns grüßt, ist Weihnacht. Nun
erziehe deine Kinder zur Hoffnung des Volks, daß man sich daran
freuen dürfe an jedem in feiner Art, und wo du einen Berg voll Sorge
mit ihnen hinter dir haft, da hast du Weihnachten erlebt. Wir schämen
uns nur, unser Weihnachten zu feiern. Als ob nicht wieder
ein Raunen durch die Welt ginge: „wann wird es besser?« Als ob
nicht wieder die Hoffnung in Menfchenherzen leibhaftig würde: „es
nahet gegen den Tag". Als ob wir nicht alle siegen könnten und
erlösen und erretten, wenn wir nur Weihnachten heute feierten mit
uns und unsern Volksgenossen. Dann mag es uns nicht grämen, ob
solche Feier „gläubiger" oder „ungläubiger" Art ist. Dessen Seele
Gott stärker werden läßt, der ist gläubig. Nnd unsre Seele wird stark,
wenn wir wieder Ahnliches erfahren, wie jener Seher, der die Weih--
nachtserzählung geschaut hat. Was sollen wir schauen? Daß der Weg
Gottes geht aus Nacht zum Licht. Lraub



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