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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1912)
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Stapel, Wilhelm: Protestanten und Katholiken: zu Bachems "Staatslexikon"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0473

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danklichen Ausdrnck bringen: der Protestant urteilt, die Meinung, daß
alles, auch das Tiefste und Zarteste, letztlich von der Macht einer ein-
zelnen Person abhängen soll, muß unter gewissen Umständen zu einer
Aniformierung und Lrstarrung alles geistigen Lebens und damit aller
sinnvollen menschlichen Einrichtungen führen. Der Katholik seinerfeits
urteilt: daß alles, auch das äußerlichste Verhalten, letzten Endes von
dem Gewissen jedes einzelnen Menschen abhängig gemacht wird, muß
schließlich die Welt in Willkür und Amarchie auflösen. Iener hängt an
seiner Konfession, weil er in ihr die starke Hüterin der schöpferischen
Geisteskräfte sieht, dieser an der seinigen, weil er sie für den einzigen
nie versagenden Echutz gegen die allgemeine Auflösung und gegen die
Vernichtung aller schwer errungenen Werte hält. Es handelt sich hier
nicht um bloße Weinungsverschiedenheiten, sondern um Lebensstimmun-
gen, die zu tiefst einander ausschließen. Protestantismus und Katholizis-
mus als Stimmung decken sich daher auch nicht genau mit den äußeren
Grenzen der Konfessionen: wirft doch ein Katholik dem andern verkappten
Protestantismus und ein Protestant dem andern unbewußten Katholizismus
vor. Das heißt: die angeborenen und anerzogenen psychologischen Unterschiede
geraten mit den historischen, in die man hineingeboren ist, in Widerstreit.

Daß die historischen Konfessions- und Kirchengebilde, wie sie sind, jede
für sich allein nur das eine oder andere verbürgen, ist freilich den Tat-
sachen nach nicht richtig. Denn sonst könnte keine der beiden Kirchen
bestehen und sich im Lauf der Geschichte entfalten. Alles geschichtliche
Leben braucht Bindung und Freiheit zugleich. Aber die tiefsten Be-
fürchtungen und Hoffnungen unsres Herzens rechnen nie allein mit dem,
was vor unsern Augen da ist, was sich vor uns in der Wirklichkeit ab-
spielt, sondern mit fernen, schwankenden, schattenhaften Möglichkeiten.
Man achte einmal darauf, wie oft diese unser tägliches Prteilen und
Handeln bestimmen? Aber weil man sehr wohl weiß, daß sie im Grunde
ganz vag und weit sind, spricht man sie nicht gern frei und unver-
schleiert aus. Klar auf die gegebene Wirklichkeit angewendet erscheinen
sie uns selbst übertrieben, verstiegen, ja lächerlich. Daß aber jene Be-
fürchtungen und Hoffnungen sich an bestimmte historische Gebilde hängen,
ist deshalb noch keineswegs ein rein zufälliges Spiel unsrer Einbildung.
Denn jene Empfindungen und die Gedanken, die aus ihnen aufsprießen,
haben ja immerfort mitgebaut an den Einrichtungen der Konfessionen,
haben ihnen ihre besondere Gestalt gegeben.

Ein Katholik mag die Berechtigung geistiger Freiheit anerkennen; ist
er wirklich im innersten Fühlen Katholik, so wird er doch im Konfliktsfall
die Freiheit immer der bindenden Ordnung aufopfern, welche von der
für ihn höchsten Autorität ausgeht. Sein „Protestantismus" ist nur
von den klaren, nüchternen Forderungen des Alltags erzwungen und
gilt nur für diesen. Er muß weichen, sobald das Reich der tieferen
Empfindungen aufgerührt wird und ferne große Wünsche und Befürch-
tungen sein Rrteilen bestimmen. Ganz entsprechend ist es bei den Pro-
testanten. Dieses Verhältnis von verständiger Anerkennung und inner-
stem Gefühlsurteil wird einem recht klar, wenn man Aufsätze wie den des
Freiherrn von Hertling über „Autorität" in Bachems Staatslexikon liest.

Iust dieses Lexikon ist für die Pshchologie der Konsessionen ein äußerst
interessantes Werk. Bei den Artikeln, die ich benrteilen kann, fand

2. Dezemberheft 387
 
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