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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1912)
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Tuch, Julius: Vorweihnachtsfreude in die Schule!
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0478

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„Vom Christmarkte". Dazu geben gute Kinderbücher künstlerische, kinder-
tümliche Bilder in Menge.

And dann der Unterricht selbst mit seinen hundert Möglichkeiten!
Soll nicht der lustige bunte Weihnachtsmarkt auch zu den Iungen und
Mädchen der Mittelklassen in die Schule kommen? Er kann Ausgangs-
punkt und Mittelpunkt schöner Stunden in Heimatkunde und Vater-
landskunde werden.

A. Richter hat über „deutsche Weihnachtsbräuche in der Familie"*
geschrieben. Was er da über Weihnacht und Wintersonnenwende, über
den Schimmelreiter, über Weihnachtskrippen und Weihnachtsspiele zu-
sammengestellt hat, das müßte großen Schulbuben und Mädchen ein-
gehen, wenn es ihnen in freier, frischer Art erzählt würde. Vater hat
sich fürs Nesthäkchen als Ruprecht angeputzt. Das wissen unsre „Großen"
wohl. Daß das aber auch in Schwaben Sitte ist, und wo anders s o, und
wieder wo anders s o — das wird ihnen lustig sein.

Läßt sich in der Religionsstunde nicht ein Geschichtlein anbringen über
das arme, frostklappernde Mädchen, das die Kinder gestern abend rufen
hörten: „Christbaumschmuck, Nußhalter, sO Pfennige nur!" Moses und
die Propheten würden den Menschen der Gegenwart gern einmal eine
Stunde einräumen.

And geben nicht gute Bücher reiche Geschichten, die dem bunten Leben
der Gegenwart entnommen sind und darum Kindern freudiger zu Gemüte
gehen?

Oder das erste tolle Schneetreiben ist da draußen vor dem Schulfenster.
Wenn wir nun wirklich die Mädchen, die auch auf das aufmerksam ge-
worden sind, eine Weile zuschauen lassen und ihnen dann Klara Viebigs
Märchen „von den Schneeflocken" aus dem „getreuen Eckart" vorläsen?
Oder Roseggers „Als ich Christtagfreude holen ging" aus der „Wald-
heimat"? Oder — ach, es ist ja soviel Geeignetes da! Oder sollte von der
halben Stunde, die wir so vergeben, das Heil unsrer versäumten Schul-
arbeit abhängen? War das überhaupt keine Arbeit? Beileibe durfte
es nicht wie Arbeit aussehen, aber Arbeit war's. Die feinste,
schönste. Aberhaupt Geschichten und Märchen: sind Märchen bloß für die
Kleinsten da? Sind größere Kinder, auch die der letzten Schutjahre,
wirklich „darüber hinaus"? Wir Großen sind das doch nicht. Ich be-
haupte, daß große Mädchen wie die kleinen sitzen und lauschen würden,
wenn man ihnen in der Schule etwa in der letzten Nachmittagsstunde an
den trüben Dezembertagen aus dem Grimm lebendig vorlesen und sie
auch wohl lesen lassen würde. „Kunsterziehung" verlangt Benützen der
guten Stunde, der empfänglichen Stimmung. Hier hätten wir die Vor-
bedingungen zu ihrer guten Wirkung.

Daß überhaupt um Weihnacht für jeden Lehrer die schönste Gelegen-
heit ist, seinen Kindern in ihrem allerinnigsten Bedürfnis, sich mitzu-
teilen, freien Lauf zu geben, darf nicht unbeachtet bleiben. Glück macht
Große stumm, Kinder macht's beredt. Dieses vertrauensvolle Heraus-
gehen, dieses Sichgeben des einzelnen, wenn man ihn einmal sich frei
ausplaudern läßt, hat mich gerade in den Anterklassen schöne Blicke tun

* Im Lesebuch für deutsche Lehrerbildungsanstalten von Kehr und
Kriebitzsch, Band II.

392 Kunstwart XXVI, 6
 
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