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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0012
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DIE SONNE

Man wird sich bei der Sonne anschustern, und schließlich
wird es gelingen, das Wunder kleinzukriegen und von
etwas anderem zu reden. Mich lockt diese Aussicht nicht
besonders, obwohl der gegenwärtige Zustand alle miß-
lichen Begleiterscheinungen eines Übergangs verrät.

Das Wohlbefinden geht nebenher. Ich übertreibe inso-
fern, als Fürstenberg, mein Doktor, die Nieren überhaupt
nicht für schlimm hält. Womöglich habe ich dieses Detail
nur der Literatur wegen erfunden, weil sonst die Ge-
schichte noch übertriebener wäre. Aber auch mit der saf-
tigstenNephritiskannmansich hier als Hochstapler fühlen.

Diese Disposition trieb mich anfangs meinem Freund
Ibrahim, einem der Beduinen, die hier vor jedem Hotel
stehen, in die Arme. Ibrahim trug ein gelbweiß gestreiftes
seidenes Unterkleid und darüber ein schweres Oberge-
wand aus tiefstem Ultramarin. Den braunen Kopf um-
hüllte ein weißer Turban, und um den Hals hatte er ein
weißes Seidentuch geschlungen. Ein Auge fehlte. Das üb-
riggebliebene blickte gütig und verschmitzt. Babuschka
konnte ihn nicht ausstehen, weil er uns in Moscheen führte
und uns dutzte; eine Eigentümlichkeit rein sprachlicher
Art, die für mich nicht ohne Beiz war, weil sie mich an
Louise, meine alte Schweizer Wirtschafterin in Paris, er-
innerte, die es gerade so machte, eine Perle. Ich hatte ihn
gern, obwohl auch mir der Beiz der Moscheen entgeht. Er
aber war es auch, der uns auf der ersten Fahrt nach den
Pyramiden begleitete. Babuschkas Behauptung, die Pyra-
miden wären uns auch ohne ihn nicht entgangen und mit
der Elektrischen sei es billiger, traf nicht den Kern. Frauen
vermögen mit der Hingabe an hohe Genüsse die Bück-
sicht auf Details zu verbinden, zu der wir Männer berufs-
mäßig genötigt werden, aber der wir uns nach Möglich-
keit zu entziehen suchen, wäre es auch nur, um den Schein
der Verallgemeinerung zu wahren. An diesem Schein liegt

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