Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Möhring, Hannes; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der Weltkaiser der Endzeit: Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung — Mittelalter-Forschungen, Band 3: Stuttgart, 2000

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29153#0015

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung

Wann wird das Ende der Welt kommen - erst in Hunderten von Jahren oder schon
bald, schon morgen? Diese Frage der Menschen scheint so alt wie jene nach dem
eigenen Tod. Die in Spätantike und Mittelalter lebenden Christen glaubten im all-
gemeinen, daß das Weitende jederzeit erfolgen könnte. Viele aber verlangten nach
genauen Angaben. Trotz des auf die Bibel gestützten Verbots der Kirche stellten sie
über seinen Zeitpunkt immer wieder Mutmaßungen an und versuchten, ihn auf
verschiedene Weise zu berechnen oder anhand vermeintlicher Vorzeichen voraus-
zusagen. Sie malten sich seine näheren Umstände aus und meinten zuweilen auch
bereits den Hufschlag der apokalyptischen Reiter zu vernehmen. In die Hoffnung
auf die Wiederkehr Christi mischte sich nicht nur die Angst vor dem Jüngsten Ge-
richt, sondern auch die Furcht vor den schrecklichen Ereignissen, die nach dama-
liger Vorstellung dem Weltuntergang beim Sturz aller Sterne^ vorausgehen sollten.
So oft sich auch die Weissagungen über das Weitende als falsch erwiesen, so be-
stand das Verlangen vieler Menschen doch fort, den über der Zukunft liegenden
Schleier gelüftet zu sehen. Man pflegte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß die
Weissagungen eben anders zu deuten seien und ein andermal sicherlich eintreffen
werde, was diesmal nicht geschehen sei, denn häufig beanspruchten die Weissagun-
gen göttliche Autorität. Schon bei Joel 3,1-5 und ebenso in der Apostelgeschichte
2,17-21 sagt Gott über die letzten Tage: »Ich werde von meinem Geist ausgießen
über alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein, eure jungen
Männer werden Visionen haben, und eure Alten werden Träume haben. Auch über
meine Knechte und Mägde werde ich von meinem Geist ausgießen in jenen Tagen,
und sie werden Propheten sein. Ich werde Wunder erscheinen lassen droben am
Himmel und Zeichen unten auf der Erde: Blut und Feuer und qualmenden Rauch.
Die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des
Herrn kommt, der große und herrliche Tag. Und es wird geschehen: Jeder, der den
Namen des Herrn anruft, wird gerettet.«
Während des 4. Jahrhunderts, in einer Umbruchsituation von welthistorischer
Bedeutung, entstand mit dem Sieg des Christentums eine Weissagung, die zunächst
im 7. Jahrhundert unter dem Eindruck der unwiderstehlichen Macht des Islam und
dann bis zum Anbruch der Neuzeit noch mehrmals aktualisierend bearbeitet wurde
und besonders im Abendland, aber auch in Byzanz und im Orient Verbreitung fand.
Sie handelt von einem kurz vor dem Weitende regierenden idealen Herrscher, der
als letzter Kaiser der Römer alle Feinde des Christentums vernichtet oder bekehrt,
ein die ganze Welt umfassendes Reich des Friedens und Wohlstands schafft und am
Ende seiner Regierung alle Macht an Gott zurückgibt, indem er in Jerusalem die

1 Vgl. Matthaeus 24,29; Markus 13,25; Lukas 21,26.

11
 
Annotationen