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Möhring, Hannes; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der Weltkaiser der Endzeit: Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung — Mittelalter-Forschungen, Band 3: Stuttgart, 2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.29153#0354

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Die Tiburtina

Die uns erhaltenen und von den Kirchenvätern noch häufig zitierten^ sibyllinischen
Orakel der Antike waren im Mittelalter fast völlig vergessen-. Dagegen blieben die
Namen der zehn in der Antike bekannten Sibyllerü über das gesamte Mittelalter
hinweg in Erinnerung, wie die Werke des Isidor von Sevilla, Hrabanus Maurus und
Vincenz von Beauvais zeigerü. Besonderes Ansehen genossen die Sibyllen von Cumae
und von Tibur.
So vertrat kein Geringerer als Augustinus die Ansicht, durch die Sibylle habe
sich Gott den Heiden geoffenbart und ihnen seine Heilsabsichten kundgetan, denn
dies machten die Äußerungen des Vergil ganz deutlich: Bevor jener nämlich auf die
Erneuerung der Welt - in einer allein durch Christus zu bewirkenden Weise - zu
sprechen komme, nenne er als seine Quelle die Sibylle von Cumaeh
Außerdem findet sich in den sehr verbreiteten^, Mitte des 12. Jahrhunderts ent-
standenen MiraMig arHs RomaH und der als Kompilation nur wenig jüngeren GrapH'a
aamac urH's Rowag^ die folgende Erzählung, die Gottfried von Viterbo, Gervasius
von Tilbury, Martin von Troppau und andere^ übernommen haben: Als der Senat
ihm göttliche Ehren habe erweisen wollen, habe Octavian deswegen die Sibylle von
Tibur befragt, die nach dreitägiger Bedenkzeit mit einem Orakel in Form eines
Akrostichon^ geantwortet habe. Daraufhin sei am Himmel, über einem Altar ste-
hend, die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind im Arm erschienen, und während eine

1 Vgl. THOMPSON, Patristic Use.
2 Vgl. BiscHOFF, Die lateinische Übersetzungen.
3 Vgl. Lactance, Institutions divines 16, ed./tr. MONAT, S. 76-80 (ed.) und 77-81 (tr.), und dazu den
detaillierten Forschungsüberblick von CERVELLi, Questioni sibilline.
4 Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri VIII 8, ed. LiNDSAY, Bd. 1 (keine
Seitenzählung); Hrabanus Maurus, De universo XV 3, Migne PL 111, col. 420; ViNCENZ VON
BEAUVAis, Speculum historiale II102, S. 80.
5 Vgl. Augustinus, Epistolae ad Romanos inchoata expositio, Migne PL 35, col. 2089; ÄLTANER,
Augustinus, S. 244-247; BENKO, Virgil's Fourth Eclogue, S. 674-677; CouRCBLLB, Les exegeses
chretiennes, S. 309-315; HAGENDAHL, Augustine, Bd. 2, S. 443 f.; McGiNN, Sibylla, S. 141.;
ScHELKLE, Virgil, S. 17-22.
6 Vgl. SCHRAMM, »Graphia Aureae Urbis Romae«, S. 359.
7 Mirabilia urbis Romae, cap. 11, in: Codice Topografico, ed. VALENTiNi und ZuccHETTi, Bd. 3,
S. 281.; dazu: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München-Zürich 1993, col. 655 f. s.v. Mirabilia
urbis Romae (Artikel von G. BARONE).
8 Graphia aureae urbis Romae, cap. 32, in: Codice Topografico, ed. VALENTiNi und ZuccHETTi,
Bd. 3, S. 89f.; dazu: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München-Zürich 1989, col. 1655 s.v. Graphia
aureae urbis Romae (Artikel von G. BARONE).
9 Vgl. v. FRAUENHOLZ, Augustus, S. 111-115 und 121 f.; VERDiER, La naissance, S. 95-100.
10 Zu dessen weiter Verbreitung vgl. BiscHOFF, Die lateinischen Übersetzungen, S. 154; CoRBiN,
Cantus Sibyllae; DoNOVAN, Liturgical Drama, S. 17f. und 165-167; McGiNN, Sibylla, S. 12,13 f.,
17f. und 19; YouNG, Drama, Bd. 2, S. 130f., 136 f., 149 f. und 165. In den Carmina Burana sagt die

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