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Möhring, Hannes; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der Weltkaiser der Endzeit: Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung — Mittelalter-Forschungen, Band 3: Stuttgart, 2000

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29153#0421

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Die unterschiedliche Wirkung der Endkaiser- und der
Mahdi-Vorstellung als Charakteristikum der Geschichte
Europas und des Vorderen Orients im Mittelalter

Die große Zahl der Mahdi-Prätendenten zeigt, daß die Mahdi-Vorstellung für die
islamische Geschichte weit folgenreicher war als die Endkaiser-Weissagung für die
christliche. Bei der Suche nach den Ursachen wird deutlich, daß dieser Unterschied
für die geschichtliche Entwicklung des christlichen Abendlandes und des isla-
mischen Orients charakteristisch ist.
Als Antwort auf die Doppelfrage, warum trotz der sehr großen Verbreitung der
Endkaiser-Weissagung kaum ein Herrscher oder Rebell in Europa offen als Endkai-
ser aufzutreten versuchte, warum es aber im Orient so viele Mahdi-Prätendenten
gab, sind verschiedene Gründe zu nennen. Das Problem ist vielschichtig. Unter an-
derem könnten unterschiedliche Mentalitäten von Bedeutung sein. Beispielsweise
war der Glaube der Muslime an die Vorherbestimmung\ ihre Schicksalsergeben-
heit, besonders stark, doch darf den Muslimen deshalb nicht der Vorwurf allzu gro-
ßer Passivität gemacht werden, weil unbeeindruckt vom Mißerfolg früherer Präten-
denten immer wieder neue Mahdis auftraten und es außerdem im Laufe der isla-
mischen Geschichte zu vielen Volksaufständen^ kam.
Vielleicht auch war die Enderwartung der Muslime stärker als die der Chri-
sten, obwohl deren Angst vor dem Auftritt des Antichrist die Furcht der Muslime
vor dem Daggäl deutlich übertraf, wie sich schon daran zeigt, daß der Endkaiser im
Gegensatz zum Mahdi den Antichrist nicht besiegen, sondern ihm kampflos Platz
machen sollte. Zudem hat man in Europa oft genug behauptet, der Antichrist sei be-
reits geboren^, und mehrfach einen König, Kaiser oder Papst als den Antichrist oder
dessen Vorläufer bezeichnet^. Andererseits scheint es charakteristisch für die Ein-
stellung der abendländischen Christen, daß nicht nur die Zahl der Endkaiser-Prä-
tendenten gering ist, sondern daß auch nur wenige Männer als Engelpapst oder
fesus aufzutreten versuchten. Dafür ist wohl eine Institution, die auf islamischer
Seite fehlt, verantwortlich zu machen, nämlich die Kirche, die sich stets bemüht hat,
chiliastische Erwartungen zu dämpfen. Zwar hat es auch in Europa chiliastische Be-
wegungen gegeben, doch ist der beschränkend kanalisierende Einfluß der Kirche in
diesem Zusammenhang kaum zu überschätzen. Indem die Kirche mit Augustinus

1 Vgl. dazu VAN Ess, Hadlt und Theologie; RiNGGREN, Arabian Fatalism; WATT, Free Will and Pre-
destination.
2 Vgl. dazu etwa CAHEN, Mouvements populaires; DERS., Geschichte der städtischen Gesellschaft;
HAVEMANN, Rhäsa und qadä'.
3 Vgl. S. 168 f., 203-205,283.
4 Folgende Beispiele seien genannt: Constantius II., Geiserich und Hunerich (vgl. S. 21);
Friedrich II. (vgl. S. 209f., 212 und 217f.); Anaklet II. (vgl. S. 169); Gregor IX. (vgl. S. 210); Inno-
cenz IV. (vgl. S. 219); Johannes XXII. und Urban VI. (vgl. S. 272 und 283f.).

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