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Möhring, Hannes; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der Weltkaiser der Endzeit: Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung — Mittelalter-Forschungen, Band 3: Stuttgart, 2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.29153#0161

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Die durch Benzo von Alba überlieferte Sibylle

Im 10. Jahrhundert läßt sich die Vorstellung nachweisen, in friedlichem Einver-
ständnis mit dem Kalifen Härün ar-Rasid habe Karl der Große eine Pilgerfahrt nach
Jerusalem unternommen, in Alexandria Gespräche mit Härün geführt, in Konstan-
tinopel ein Bündnis mit drei byzantinischen Herrschern geschlossen, schließlich in
Rom die Kaiserwürde empfangen und von dieser Reise die Gebeine des hl. Andreas
mit in die Heimat gebracht^. Im folgenden 11. Jahrhundert findet sich die Nachricht,
Karl der Große habe sein Reich durch einen friedlich über Konstantinopel führen-
den Kriegszug bis nach Jerusalem ausgedehnt^, eine Auffassung, die vielleicht auf
den Bericht der Karolingischen Reichsannalen zurückzuführen ist, der Patriarch
von Jerusalem habe Karl die Schlüssel der Heiligen Stadt und der Grabeskirche
geschickt^. Später, im 12. oder 13. Jahrhundert, behauptete man sogar, ein Hugo ge-
nannter Herrscher von Konstantinopel habe als Folge von Karls Orientzug dessen
Oberhoheit anerkannt^. Von einer Eroberung Konstantinopels durch Karl den
Großen ist freilich nirgends die Rede, und ebensowenig ist dieser legendäre Zug
nach Jerusalem als Zeichen für den Anbruch der Endzeit betrachtet worden.
An diese Überlieferungen knüpft Benzo von Alba (t um 1090) in seinem an
Heinrich IV. gerichteten »Panegyricus« an, indem er Karl den Großen sagen läßt, die
Schlüssel und die Fahne, die ihm einst der »Bischof von Jerusalem« gesandt habe, sei-
en für Heinrich IV. als Bannerträger der christlichen Religion^ bestimmt. Zu diesem
Zweck zitiert er eine von der Karlstradition offenbar unbeeinflußte, als Sibylle von

1 Vgl. Benedikt von S. Andrea, Chronicon, ed. ZuccHETTi, S. 112-116; ERDMANN, Entstehung,
S. 277; FOLZ, Le Souvenir, S. 135 f.
2 Vgl. Annales Elnonenses minores, ed. PERTZ, MGH SS 5, S. 18 (zum Jahr 771), und auch die
Descriptio, qualiter Karolus magnus clavum et coronam domini a Constantinopoli Aquisgrani
detulerit, ed. RAUSCHEN, Legende, S. 108-120. ERDMANN, Entstehung, S. 277, und FoLZ, Le Sou-
venir, S. 138, datieren die Descriptio auf die Zeit nur wenig vor dem Ersten Kreuzzug, Ph. A.
BECKER, Heiligsprechung, S. 4-10 und 24, dagegen erst auf die Zeit unmittelbar vor der Heilig-
sprechung Karls des Großen im Jahre 1166. Beckers Datierung ist wohl kaum haltbar, vgl. PETER-
SOHN, Saint-Denis, S. 445 f.
3 Vgl. Annales regni Francorum, ed. KURZE, MGH SS rer. Germ., S. 112 (zum Jahr 800), und dazu:
BoRGOLTE, Gesandtenaustausch, S. 67-76.
4 Vgl. die Voyage de Charlemagne, ed./tr. FAVATi, Vers 787, S. 210 (ed.) und 239 (tr.). FAVATi, ebd.,
S. 124, datiert dieses Werk erst auf die zweite Hälfte des 13. Jhs. Eine Übersicht über die Datie-
rungsdiskussion findet sich in: The Pilgrimage of Charlemagne, ed./tr. BuRGESS und CoBBY, S. 1 f.
Zur Interpretation des Inhalts vgl. GosMAN, La propagande; KiNDLiMANN, Eroberung,
S. 141-145.
5 Vgl. Benzo von Alba, Ad Heinricum 117, ed./tr. SEYFEERT, MGH SS rer. Germ. 65, S. 152.

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