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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 12.1913

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Nr. 3
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Roessler, Arthur: Das Heim des Wiener Aerzteklubs: ausgestattet nach Entwürfen von Architekt Fritz Nagel, Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.48360#0221

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159

DAS HEIM DES WIENER AERZTEKLUBS.
Ausgestattet nach Entwürfen von Architekt FRITZ NAGEL, Wien.

Der Laie in Dingen der Kunst und des Hand-
werks, der Suggestion gewisser Schlagworte natur-
gemäß leicht unterliegend, ist heute noch von
fremder Torheit angesteckt; aber es ist, wenn nicht
mancherlei Anzeichen trügen, die Zeit nicht mehr
fern, da er den prätentiösen „Kunstgewerbler“,
den Reißbrettromantiker, Papierphantasten, als
Aergernis empfinden, demgemäß betrachten und
behandeln wird. Wann das geschehen wird? So-
bald der Laie wieder Geschmack und Zutrauen zu
seinem Geschmack haben wird. Warum das ge-
schehen wird? Weil der Kunstgewerbler hindernd
zwischen dem Laien und den wahrhaft schönen
Dingen eines tüchtigen Handwerkssteht. Erschreck-
end ist die jährliche Ueberproduktion der staat-
lichen, städtischen und privaten Unterrichtsanstal-
ten an „absolvierten“ Kunstgewerbeschülern und
Schülerinnen, die, kaum aus der Klasse entlassen,
schleunigstin „ornamental“ wirkenden Rätselzeichen
oder „fetten“ Lettern auf (imitiertem) Bütten- oder
Pergament-Karton ihre Namen mit dem ansehnlich
klingenden Zusatz „Architekt“ drucken lassen.
Wohin geraten über kurz oder lang all diese frag-
würdigen „Architekten“ und Kunstgewerblerinnen,
die zu den auffälligsten und unerfreulichsten Er-
scheinungen des modernen Lebens gehören? Viele
finden Unterschlupf in verschiedenen „Betrieben“,
trachtet doch jeder nur halbwegs auf sein „Ge-
schäft“ und dessen „Reputation“ bedachte Unter-
nehmer sich einen Hausarchitekten zu „halten“,
der ihm „entwirft“, was gar nicht entworfen zu
werden braucht; einige werden „künstlerische Bei-
räte“ in Druckereien, Tapetenfabriken und Webe-
reien; einige werden „Ausstattungs - Chefs“ in
Theatern und Kabaretts, und nicht wenige werden
irgendwas, wozu sie die Kunstgewerbeschulbank
nicht zu drücken gebraucht hätten. Letztere kön-
nen einem noch die liebsten sein, versuchen sie doch
nicht mehr mit schier indianischer Tätowierungs-
sucht alles und jegliches mit „Dekor“ zu verun-
zieren, und Dinge umzugestalten, deren Umgestal-
tung bloß frecher Unfug ist. Die weiblichen „Archi-
tekten“ sind insofern die weniger lästigen, als bei
ihnen, wenn sie nur hübsch und anmutig genug
sind, die Aussicht vorhanden ist, daß sie heiraten,
Mutter werden und dann Wichtigeres zu tun haben
als sich kunstgewerblich-erfinderisch zu betätigen —
was stets verhängnisvoller als Klavierspielen ist.
Leider bleiben trotzdem noch zu viel „von der
Sorte“ übrig.

Sie sind spezifische Produkte unserer Zeit, der
Zeit, die das individuell belebte Handwerk zur
persönlichkeitslosen Industrie verwandelte, derZeit,
die nicht nur die Begriffsunterschiede zwischen
Künstler und Handwerker verwischte, sondern auch
einen Zwischenberuf hervorbrachte: den Kunst-
gewerbler eben. Der Kunstgewerbler ist ein Zwit-
ter; nicht Fisch, nicht Fleisch, d. h. nicht Architekt,
nicht Handwerker, sondern der Vertreter des indu-
striellen Unternehmers. Der Kunstgewerbler hängt
mit seiner Arbeit nicht von den lebendigen Be-
dürfnissen ab, sondern von der kaufmännischen
Spekulation. Er arbeitet, in der überwiegenden
Mehrzahl aller Fälle, nicht für ein Einzelbedürfnis,
er arbeitet vielmehr im Auftrag, oft genug sogar
im Akkord, eines Arbeitgebers auf Vorrat, auf
„Lager“, für den „Dampfbetrieb“. Ohne Kenntnis
praktischer Werkstättenüberlieferung, nur über
einzelne Dekorationsrezepte verfügend, die es mit-
unter ermöglichen auf dem Papier recht gefällig
Wirkendes hervorzubringen, zwingt er den Hand-
werker zu technischen Absurditäten und ist auf
diese Weise Verderber und Opfer zugleich. Nur
wenige Kunstgewerbler entgehen diesem Schicksal.
Es sind jene, die die Atelier- oder Schulisolierung
zu durchbrechen vermögen, die weder Zeloten der
Tradition noch der Neuerungssucht sind, die ihren
Absichten kein „justament“ zugrunde legen, die
sich ehrlich um das Verständnis lebendiger Sozial-
ideen bemühen, die einfach nützliche Kulturarbeiter
sein wollen. Ein Kunstgewerbler von dieser Art
scheint mir der Wiener Architekt Fritz Nagel zu
sein. Er hat den ihm während der Schulperiode
anhaftenden Hang zur originalitätseitlen, phan-
tastisch spielenden Papierkunst überwunden und
sich mit zähem Willen zu einer verstandesmäßig
klaren Erkenntnis des Wesens seines selbstgewähl-
ten Berufes durchgerungen. Er will nicht so sehr
Künstler, als vielmehr Architekt sein, d. h. Organi-
sator, nicht Creator. Der Künstler sucht Distanz
zum Leben, der Architekt innigste Fühlung mit
ihm. Jener entwindet sich dem Zwange der Not-
durft, dieser trachtet dem Bedürfnisgedanken zu
dienen. Jener will durch sich allein wirken, dieser
durch planvolles Zusammenfassen vieler Einzel-
kräfte. Der Künstler wirkt meistens gegen seine
Zeit, der Architekt durch seine Zeit für sie. Der
eine ist Einsiedler, der andere Weltmann, auf das
vielfältigste mit den geistigen und seelischen Be-
wegungen der Zeit verbunden, denen er nach dem
 
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