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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 12.1913

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Wagenführ, Max: Architekt Emil Schaudt, Berlin-Hamburg
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ARCHITEKT EMIL SCHAUDT, BERLIN-HAMBURG
Von MAX WAGENFÜHR, Berlin

Als an der Wende des Jahrhunderts in Hamburg
das nationale Bismarckdenkmal errichtet wurde,
erhielten wir nicht nur das erste große Monument
des Neuschöpfers Deutschlands, des alles überra-
gendenVolkshelden,sondern auch ein Denkmal einer
künstlerisch befreienden Tat. Zum ersten Male
siegte wieder nach langem unfruchtbaren Herum-
tasten der monumentale architektonische Gedanke,
der es wagte, eine menschliche Figur frei aus einer
symbolischen Idee heraus tektonisch zu gliedern
und aufzubauen. Bildhauer und Architekt fanden
sich zum gleichen Gedanken zusammen. Nicht mehr
der Mensch sollte dargestellt werden, sondern der
Begriff, den er für das deutsche Volk bildet. Das
gigantische Werk Bismarcks fand gigantischen Aus-
druck, nicht durch den Maßstab allein, sondern viel-
mehr durch die Form, die die heldische Gestalt mit
Mitteln der Architektur erhielt. Die menschliche
Figur wurde ein architektonisches Gebilde.
Müßig ist der Streit, wem das größere Verdienst
gebührte, dem mitwirkenden Architekten oder dem
Bildhauer. Beide haben durch ihre weiteren Ar-
beiten bewiesen, daß das gemeinsame Werk ihrem
innersten Kunstfühlen entsprach, beide gaben ihr
Bestes her zu ihrer Tat. Lederer zeigt überall den
architektonischen Zug, die monumentale Linie, in
seinen Skulpturen, Schaudt ist der Architekt
schlechthin, das heißt ein Baukünstler, der seine
Wirkungen aus nichts anderem holt, als aus dem
architektonischen Rüstzeug.
Das mag Vielen selbstverständlich erscheinen.
Vergegenwärtigt man sich aber all das Suchen ver-
gangener Jahre und Zeiten: die malerischen Wir-
kungen, das Überwuchern des formalistischen Prin-
zips, die Überschätzung und falsche Anwendung des
Dekors, und demgegenüber den Purismus, der die
einfache Nutzform, wenn sie nur gute Verhältnisse
aufwies, bereits als Kunstform ausgab, so wird man
ein künstlerisches Wollen, wie es Schaudt zur
Grundlage seines Schaffens macht, anders werten.
Schaudt ist modern in dem Sinne, daß er von der
Nutzform ausgeht, den Inhalt in der Außenform

zum Ausdruck bringt und dem Material seine Sprache
läßt. Er unterscheidet sich aber von vielen Modernen
dadurch, daß er nicht auf jeden Fall Neues erfinden
will, alte Traditionen über den Haufen rennt und
alle Wirkungen allein aus den Verhältnissen, dem
Material und der großen Form holen will, sondern
alle ererbten und bewährten architektonischen Kunst-
mittel, wie wir sie in den Stilen aller Zeiten wieder-
kehren sehen, mit voller Absicht verwendet.
So liebt Schaudt die Symmetrie, die strenge axiale
Gliederung, die bündige Vertikale, die straffe Hori-
zontale, er gliedert die Bauteile nach klassischen Ge-
setzen, benutzt die Fensterlöcher zum rhythmischen
Klang, trennt mit Gurtungen, schließt mit Gesimsen,
geht auf Schattenwirkungen aus, kurz, er hält fest an
allen Ausdrucksmitteln der Architektonik und ver-
sucht nicht dieGrenzenseinerKunst zu überschreiten.
Es mögen seine Bauten auf den ersten Blick
manchem wohl unmodern erscheinen, aber jeder
wird alsbald den sicheren unabhängigen Meister
in ihnen erfühlen. Auch seine Einzelform klebt
nicht am Traditionellen. Blieben die Funktionen
der Bauglieder auch die alten, so ist doch alles
formalistisch starr Gewordene streng gemieden. Das
dekorative Detail ist immer sinngemäß verwandt
und sinnvoll ausgebildet. Von alten Stilmerkmalen
sehen wir an Schaudts Bauten nicht mehr, als zur
Erweckung gewisser Stimmungsreize, etwa in An-
lehnung an die Umgebung oder zur Verdeutlichung
der Bauaufgabe, angebracht erscheinen konnte. In
Hamburg klingt ein leises Barock wieder, in den
Berliner Geschäftshäusern der moderne „Sachlich-
keitstyp“, der hier schon etwas vom „Stil“ an sich
hat, weil er einer neuen Kultur einheitlichen Aus-
druck gibt. Der strenge Typ konnte nach Messel
gemildert werden, und Schaudt war in seinem
Kaufhaus des Westens der erste, der ihn wandelte.
Man könnte vielleicht in Schaudts Werken eine
Anknüpfung an die frühe deutsche Renaissance
finden, namentlich seine Fassaden erinnern oft an
die Verdeutschung einer im Mutterlande des Klassi-
zismus wieder erneuerten Antike. Man täte aber

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