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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 12.1913

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Nr. 12
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Baum, Julius: Neue Bauten von Paul Bonatz und F.E. Scholer
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https://doi.org/10.11588/diglit.48360#0820

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586
Neue Bauten von Paul
seitlichen Teile die Treppen zum Obergeschosse
beherbergen. Das Vestibül ist mit einem schönen
Marmorboden und schlichten Deckenstukkaturen
von E. Neumeister versehen. Die entsprechend
der Fensterwand durch vorspringende Pfeiler ge-
gliederten weißen Innenwände tragen als wirksamen
Schmuck die dunkeltonigen Bildnisse ehemaliger
Tübinger Professoren. An die Seitengänge legen sich
weiterhin zwei gegen die Straße bis fast zur Front
der Eingangshalle vorspringende, nach rückwärts
an die Zimmer der Bibliothekare anstoßende Flügel,
die links das von W. Weigel geschmackvoll ausge-
stattete Dozenten- und das Zeitschriftenzimmer,
rechts den Arbeitsraum des Oberbibliothekars, das
Handschriftenzimmer und die Garderobe beher-
bergen. Im Obergeschoß befinden sich das Uni-
versitätsarchiv, Aufbewahrungsräume für Karten und
Handschriften, ein Vorführungs- und Ausstellungs-
raum, sowie die auf einer besonderen Treppe zu-
gängliche akademische Lesehalle.
Den Mittelpunkt der gesamten Anlage bildet der
8 m hohe, 12 m tiefe, 20 m lange Lesesaal, der sein
reichliches Licht lediglich durch die großen Fenster
der Straßenfront erhält, die sich hinter der einge-
schossigen Eingangshalle erhebt. Es ist ein feier-
licher Raum mit einer von Neumeister gefertigten
Kassettendecke aus weißem Stuck, dunklen Eichen-
galerien auf von H. Jung geschnitzten wirkungs-
vollen Konsolen an drei und Bücherregalen an allen
vier Wänden, sowie einem Temperagemälde von
K. Schmoll v. Eisenwerth, das die von zwei Säulen
getragene Hochwand über der Mittelnische der Rück-
seite im Halbkreise füllt; es stellt Odysseus in der
Unterwelt dar, ein Symbol auf den durch die Bücher
vermittelten Verkehr zwischen Lebenden und Toten.
Dieses Bild ist mit großem Feingefühl der Farbe und
dem Rhythmus des Raumes angepaßt, stark auf
symmetrische Wirkung gestellt, der monumentalen
Aufgabe entsprechend von geringer Tiefenwirkung
und gedämpftem Kolorit.
Das Außere des Bauwerks zeigt die nämliche
Ruhe und Feierlichkeit wie die Innenräume. An den
Lesesaaltrakt schließen sich seitlich vorspringend die
beiden ebenso hohen Seitenflügel; diese Teile sind
rauh verputzt. Vor dem Mitteltrakte und zwischen
den Flügeln ruht die niedrige Vorhalle; die in
Muschelkalk ausgeführte Fassade wird durch breite
Pilaster gegliedert, die fast die ganze Fläche zwi-
schen den Fenstern ausfüllen, über denen Ulfert
Janssen groß aufgefaßte Köpfe berühmter Dichter und
Denker in Stein ausgehauen hat. Die Vorhalle, die
in der Mitte halbkreisförmig vorspringt, schließt oben
attikaartig eine schwere Balustrade ab, die über dem
Eingänge, zu dem man auf mehreren breiten Stufen

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emporsteigt, mit Vasen geschmückt ist. Die Be-
krönung des gesamten Gebäudes bildet ein strenges,
Kranzgesims.
Gleichzeitig mit der Tübinger Universitätsbiblio-
thek errichtete Bonatz in Gemeinschaft mit Schöler
1912 die Realschule und Turnhalle in Feuer-
bach. Die junge, aufstrebende Stadt hatte einen
mächtigen Spielplatz geschaffen, längs dessen west-
licher Schmalseite die Realschule ihren Platz
finden sollte, während für die Mitte der Nordseite die
Turnhalle bestimmt wurde. Die Architekten, denen
der Auftrag für den Neubau ohne Wettbewerb über-
tragen ward, veranlaßten die hübsche Holzgitter-
einfassung des großen Platzes mit den freund-
lichen, den Eingang flankierenden Torhäuslein, und
schufen mit geringen Mitteln den Schulbau, ein vier-
geschossiges, mit zwei niedrigen Flügeln einen
Ehrenhof umschließendes Gebäude mit drei kraft-
vollen Frontgiebeln und sehr klarer, durch zwei
symmetrisch zur Mittelachse gruppierte Treppenhäu-
ser und die üblichen langen Verkehrsgänge gekenn-
zeichneter Innendisposition ; den Ehrenhof schmückt
ein schlichter Brunnenobelisk. Besondere Liebe
aber wurde der ein wenig erhöht gelegten, von
einem Kinderspielplatz und einem Tennisplatz
seitlich eingefaßten Turnhalle zugewendet, die
in den einfachsten Maßen, 8 m Höhe, 16 m Breite,
32 m Länge, errichtet wurde. Dieses schmucke
Werk ist in seinen schlichten, klaren Verhältnissen
von ganz besonderer Schönheit. Es zeigt den
Typus des Belvedere in Prag: einen durch hohes
Seitenlicht erhellten Saalbau mit niedrigen umlaufen-
den Galerien, die hier jedoch nicht in Bogen ge-
öffnet sind und auf der Südseite die lichte, in sieben
Türen sich öffnende Eingangshalle, rückwärts Auf-
bewahrungsräume, an der westlichen Schmalseite
außer der Nische mit den Klettergeräten, Lehrer-
zimmer und Garderoberäume, an der gegenüber-
liegenden Schmalseite den Zugang zum Tennisplatz
und Räume für die Tennisspieler bergen.
Das Innere der hellen und geräumigen Turn-
halle, die auch als Festsaal dient, weshalb sie im
Osten mit einer auf zwei Pfeilern ruhenden Empore
versehen ist, besitzt einen wirkungsvollen Schmuck
in der nach Entwurf von W. Weigel mit geschnitzten
Luftabzugsgittern versehenen und mit großen, stark
stilisierten Pflanzenornamenten bemalten Decke;
den gleichen Schmuck zeigen auch die Türen und
die unten umlaufende Wandvertäferung.
Sind Bauherr und Baumeister die nämliche
Person, so pflegt etwas besonders Gutes zu ent-
stehen. Denn es gibt in diesem Falle keine wider-
strebenden Interessen, und der Architekt kann ein-
mal ohne jeden Zwang seine Ideale verwirklichen.
 
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