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München, 16. No?. 1914.
Beilage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint !4 tägig unter Leitung von MaierProf.Ernst Berger.
XI. Jahrg. .^r. 4
Inhalt: Zwei Aussprüche Tizians und ihre Beziehung zu seiner Malweise. Von E. B.
strationsverfahren. Von Johann Mai. (Schluss.) — Zur Wiederherstellung von
„Letztes Abendmahl". Von E. B. — Druckfehlerberichtigung.
(Fortsetzung). — Illu-
Leonardo da Vincis

Zwei Aussprüche Tizians und ihre Beziehung zu seiner Malweise.
Von E. B.

(Fortsetzung.)

Naue erzählt, wie er ein Biid (Verkündigung
Mariae) nach dem Karton nunmehr in Farben
ausführen sollte:
„Da ich aber nicht wusste, wie ich mit dem
Grau-in-Grau-Untermalen auskommen würde und
dies dem Meister sagte, nahm er sich meiner red-
lich an und lud mich ein, ihm beim Malen zuzusehen.
So war ich nicht nur manche Stunde, sondern auch
manchen Tag bei ihm und habe seinen Lehren auf-
merksam gelauscht, auch alles, was er sagte, wohl
beherzigt und bewahrt. Er zeigte mir die Art und
Weise der Untermalung, der Uebermalung und des
Lasierens und bemerkte u. a. dabei: ,Ein Bild
fertigmachen, heisst das vorhandene Gute beibe-
halten und es nicht wieder verderben.' Man muss
manchmal förmlich restaurieren, darf aber auch
nicht vergessen, was Tizian sagt: ,Velature secce,
trenta o quaranta'.
Immer und immer wieder wies er uns auf das
Studium der Italiener (besonders auf Tizian), der
Deutschen und Niederländer hin und erzählte, dass
er die graue und komplementäre Untermalung haupt-
sächlich an einem Gemälde Tizians studiert hätte,
das damals durch den Galeriedirektor Engerth in
Wien aut eine neue Leinwand übertragen wurde*.
Nachdem das Bild abgenommen und die Rückseite
sichtbar geworden war, konnte man die Unter-
malung sehen und studieren. Sie war bei der Kar-
nation breit grau und bei den Gewändern in den
komplementären Farben ausgeführt. Sehr oft kam
Schwind auf dieses Bild zurück und freute sich leb-
haft, als ich ihm, nach der Rückkehr von meiner

*) Mit diesem Bilde der Wiener Galerie ist vermut-
lich das unvollendete Gemälde „Ehebrecherin vor
Christus" gemeint, das die graue Untermalung an ein-
zelnen Partien erkennen lässt. Ein zweites Gemälde
die „Kirschen-Madonna", wurde gleichfalls auf neuen
Grund übertragen; es zeigte sich hier jedoch keine
Grau-Untermalung sondern eine rötliche Imprimatur.
Vergl. den Bericht über diese Uebertragung in meinen
Beiträgen, IV. Einleitung S. 15—17, wo auch die bei
dieser Arbeit zutage getretene Rückseite abge-
bildet ist.

ersten italienischen Reise, erzählte, dass sich in
den Ufüzien in Florenz eine Madonna Tizians befindet,
bei welcher der Kopf noch in der breiten grau-
grünen Untermalung mit braunem Schatten stehen-
geblieben ist, woraus geschlossen werden kann, dass
Tizian stets in dieser Weise untermalt hat. Ebenso
interessierte es Schwind, als ich ihm später mit-
teilte, dass, wie ich bei einem Aufenthalt in Paris
gesehen hatte, nicht nur die Schüler Paul Delaroches,
sondern auch dieser und Ingres das Prinzip der
Grauuntermalung befolgten.
Wie wir bei der Unter- und Uebermalung eines
Oelbildes verfuhren, sei hier mitgeteilt. In gleicher
Weise wie Tizian den Kopf der eben erwähnten
Madonna untermalt hat, legten wir die Köpfe und
die Fleischteile an, und zwar ohne Reflexe. Bei
den Gewändern geschah die Untermalung in den
komplementären, also stumpfen Farben mit auf-
gesetzten Lichtern, die sich nach der Farbe des
Gewandes richteten. War dann eine solche Unter-
malung getrocknet, so wurden die höchsten Lichter
aufgesetzt, und nun musste das Bild, bevor an die
Uebermalung geschritten werden konnte, einige Zeit
zur vollständigen Trocknung zurückgestellt werden.
Unterdessen wurde eine andere Arbeit begonnen
oder ein untermaltes und zurückgestelltes Bild wdeder
vorgenommen.
Bei dem Uebermalen der Köpfe, Hände usw.
werden die Lichter pastös aufgesetzt und die Mittel-
töne durch das Hinüberziehen derselben (über die
grau-grüne Untermalung) nach und nach erreicht.
Auf diese Weise wird es möglich, die feinsten
Nuancierungen herzustellen. Sodann wurden die
Kernschatten vollendet und die Reflexe pastös ge-
malt. Die breite Untermalung leistet dabei vor-
treffliche Dienste.
Bei den Gewändern wurde in anderer Weise
verfahren. Das betreffende Kleid usw. wird durchweg
mit der dafür bestimmten Farbe lasiert und dabei
die Lichtstellen mit besonderem Fleisse und grosser
Sorgfalt behandelt. Durch die komplementäre
Untermalung (also z. B. stumpfes Grau für ein mehr
oder weniger intensives rotes Gewand) kamen die
Mitteltöne zur vollen Geltung; ebenso die Kern-
schatten und die pastös gemalten farbigen Reflexe.
 
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