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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0029

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Kapitel 1. Forschungsstand und Forschungsziel

1.1. Problemstellung

Vor allem in den zahlreichen archäologischen Rettungs-
grabungen in Zusammenhang mit Staudammprojekten
in Nordsyrien und dem Nordirak seit den frühen sieb-
ziger Jahren (Assad-Staudamm, Häbür-Staudämme,
Eski-Mosul-Staudamm) sind Siedlungsschichten aufge-
deckt worden, die kleinere oder umfangreiche Aus-
schnitte aus Wohnvierteln zeigen. Dieser Umstand ist
teilweise durch die Notgrabungssituation selbst bedingt.
Die Grabungsorte wurden in diesen Fällen nicht nach
dem Prinzip ausgewählt, einen möglichst großen Ort
von überregionaler politischer oder ökonomischer Be-
deutung zu erfassen, an dem entsprechend bedeutende
öffentliche Gebäude und reiche Funde zu erwarten sind.
Letzteres kennzeichnet die Forschungssituation an vie-
len Orten des südlichen Mesopotamien, wo die Grabun-
gen zusätzlich meist im Zentrum des Ruinenhügels an-
setzten und Wohngebiete nur in Ausnahmen oder als
Nebenprodukte erfaßten. Im Unterschied dazu wur-
den in den genannten Staudammgebieten überwiegend
kleine, «unbedeutende» Stätten untersucht. Erwartungs-
gemäß lieferten ihre Grabungsflächen erheblich weniger
öffentliche Gebäude und um so mehr Wohnhäuser. In
Bezug auf Siedlungsschichten des 3. Jtsds. v. Chr. ist der
Befund im gesamten nordmesopotamischen Bereich be-
sonders reichhaltig.

Die Hausbefunde werden zwar in Vorberichten meist
erwähnt und durch einen architektonischen Aufnahme-
plan dokumentiert, blieben aber bisher in den überwie-
genden Fällen ohne detaillierte Auswertung. Eine zu-
sammenfassende Studie über die Wohnhäuser der histo-
rischen Perioden aus dem nordmesopotamischen Bereich
fehlt. Deshalb ist die Untergliederung und Herleitung
der Haustypen durch Heinrich (s. u.) bisher auch für
diesen geographischen Raum verbindlich.

Im allgemeinen ist die Untersuchung der mesopota-
mischen Wohnhäuser bisher fast ausschließlich eine
Domäne der Bauforscher und Architekten. Sie behan-
deln das Thema mit einem architekturgeschichtlichen
Ansatz, der die technologischen, konstruktiven und
strukturellen Aspekte der Häuser in den Vordergrund
stellt. In Ergänzung dazu muß die Archäologie sich
unter Verwendung eines eigenen methodischen Ansatzes
und mit funktionalen, sozialen, ökologischen oder
historischen Fragestellungen mit dem Thema Wohnhäu-

ser beschäftigen. Dabei sind die architekturgeschicht-
lichen Ergebnisse zu berücksichtigen und mit Daten aus
dem Studium anderer archäologischer Materialgrup-
pen, zum Beispiel den Funden aus Hauskontexten, zu
verknüpfen.

1.2. Der Beitrag der Bauforschung

Die deutsche Bauforschung

Die altorientalischen Hausformen wurden durch die
Vertreter der deutschen Baugeschichte in mehrere
Grundtypen unterteilt. Koldewey führte die Unter-
scheidung zwischen dem «injunktiven» und dem « kon-
junktiven» Hofhaus ein (Koldewey 1911, 14; Koldewey
- Wetzel 1931, 26). Ersteres entsteht durch das Einstel-
len von Räumen in eine vorhandene Umfassungsmauer,
bei zweiterem werden die Räume zusammen mit einem
Hof geplant und ausgeführt. Das babylonische Haus be-
zeichnete Koldewey als injunktiv. Andrae (1927; 1930)
prägte für diesen Typ den Begriff «Hürdenhaus». Dieser
babylonischen Bauform stellte er das «Herdhaus» als
eine «assyrische, nordmesopotamische, nordsyrische»
Hausform gegenüber.

Eine umfassende Typologie, in der er die Häuser aller
Perioden und Regionen des Alten Orients einzugliedern
versuchte, entwickelte Heinrich (1972-75). Er unter-
schied die sechs übergeordneten Kategorien «Gruben-
häuser», «Rundhäuser», «Einraumhäuser», «Mehr-
raumhäuser ohne Hof» (darunter «geplante Mehrraum-
häuser» und «Agglutinate»), «Mischformen» (darunter
u. a. «Mittelsaalhäuser») und «mesopotamische Hof-
häuser». Letztere unterteilte er, Koldewey und Andrae
folgend, in «Hürdenhäuser» (Koldeweys «injunktive
Hofhäuser»), die für den mesopotamischen Süden
kennzeichnend seien und «Häuser mit umschlossenem
Hof» (Koldeweys «konjunktive Hofhäuser»), die er
dem Tigrisgebiet und dem mesopotamischen Norden
zurechnete. Einer bestimmten Hausform innerhalb die-
ser Grundrißtypologie, den Agglutinaten, widmete ein
weiterer Vertreter dieser Schule, J. Schmidt (1963), eine
detaillierte Untersuchung.

Diese Typologie liegt zahlreichen Betrachtungen der
altorientalischen Architektur zugrunde (zuletzt Wright

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