Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0038

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kapitel 3. Ethnoarchäologische Ansätze

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß theoretische
Orientierungen und Erklärungsmodelle unbewußt von
den Erfahrungen mit der eigenen Kultur geprägt sind.
Eine monokulturelle oder ethnozentristische Sichtweise
kann bei der Interpretation anderer Kulturen irrefüh-
rend sein. Dies hat schon B. Landsberger bei seiner For-
derung nach der «Eigenbegrifflichkeit der mesopotami-
schen Kulturen» berücksichtigt. Eine typische Folge
ethnozentristischer Sichtweise ist der Versuch, Räume
altorientalischer Wohnhäuser - den Konzepten west-
licher, europäischer Wohnformen folgend - in die Kate-
gorien Wohnraum, Schlafraum, Küche etc. unterteilen
zu wollen.

Eine breitere Urteilsbasis erlaubt das Studium und
der Vergleich unterschiedlicher, lebender Kulturen, bei
denen die Beziehungen zwischen materieller Kultur und
den dafür verantwortlichen Verhaltensweisen unter-
sucht werden können. Dafür kommen einerseits rezente
Kulturen in Betracht, die im selben Gebiet wie die
archäologisch zu untersuchenden Kulturen beheimatet
sind. Dadurch wird die Einheitlichkeit geographischer
und bis zu einem gewissen Grad auch ökologischer Be-
dingungen gewährleistet. In gleicher Weise lassen sich
Kulturen in allen anderen Teilen der Welt betrachten,
um ein möglichst umfassendes, kulturvergleichendes
Bild der unterschiedlichen Möglichkeiten des Bezuges
zwischen Mensch und kulturellem Material zu gewin-
nen.

Ethnographische Daten können für archäologische
Fragen, im vorliegenden Fall zur Untersuchung und In-
terpretation von Wohnhäusern, unter Befolgung zweier
grundlegender methodischer Ansätze nutzbar gemacht
werden:

3.1. Ethnographische Analogien

Ethnographische Analogien werden benutzt, um die
Funktion oder das Aussehen von archäologischen Ob-
jekten zu rekonstruieren. Dazu werden die konkreten
Objekte der toten Kultur mit entsprechenden Objekten
einer lebenden Kultur verglichen, bei der die Verwen-
dung der Gegenstände beobachtet oder erfragt werden
kann. Aus einer morphologischen Übereinstimmung
wird auf eine funktionale Übereinstimmung geschlos-
sen. Meist wird nur eine Kultur herangezogen, die der

archäologisch zu untersuchenden möglichst nahesteht.
Ziel ist die Rekonstruktion der Funktion oder des Aus-
sehens des archäologischen Objektes. Dieses kann ein
Einzelgegenstand, eine Objektgattung, eine Installation,
ein einzelner Architekturgrundriß, ein allgemeines Bau-
schema oder eine Vergesellschaftung verschiedenartiger
Objekte sein.

Ethnographische Analogien wurden in der Vorder-
asiatischen Archäologie schon früh zur Erklärung und
zur Illustration von Bauformen herangezogen. Heinrich
(1934) rekonstruiert in seinem Werk «Schilfund Lehm»
die frühesten mesopotamischen Bauten mit Hilfe neu-
zeitlicher Schilfbauten im Südirak. Die Entstehung und
die ökonomischen Hintergründe des «babylonischen
Hofhauses» erklärte er mit Hilfe von Beobachtungen an
modernen arabischen Gehöften am Unteren Euphrat
(Heinrich 1950). Auch die meisten zeichnerischen Re-
konstruktionen altorientalischer Bauten entstanden un-
ter Verwendung der Kenntnisse von rezenten mesopota-
mischen Lehmbauten (vgl. z. B. Heinrich 1934, Taf. 6;
Andrae 1938, Abb. 24).

Inzwischen ist die ethnographische Analogie als
Methode zur Rekonstruktion und Interpretation von
altorientalischen Wohnhäusern fest etabliert. Zahlreiche
ethnographische Materialsammlungen aus dem Vor-
deren Orient sind für diesen Zweck verwendbar (z. B.
Thoumin 1932; Christensen 1967, Sweet 1960, Peters
1972; 1976). Auch spezifischere ethnoarchäologische
Studien, die archäologisch relevante Bezüge zwischen
Haus- bzw. Wohnformen und sozio-ökonomischen Struk-
turen untersuchen (s. u.), sind als Quelle für direkte
ethnographische Analogien bezüglich Haus- und Raum-
formen verwendbar (z. B. Kramer 1982, Seeden - Kad-
dour 1984). Basismaterial für ethnographische Analo-
gien liefern Studien zum Repertoire, der Verteilung und
der Funktion von Installationen und Haushaltsgegen-
ständen in einem Haus, wie zum Beispiel die minutiöse
Untersuchung der Einrichtung eines neuzeitlichen ägyp-
tischen Landhauses (Castel 1984) oder die Inventarisie-
rung des Hausstandes von syrischen Häusern in Qdeir
(Aurenche - Desfarges 1982; 1983; Jarno 1984, Fig.
5.6.13).

Anwendungsbeispiele für ethnographische Analogien
im Bereich der altorientalischen Architektur sind bisher
nur in begrenztem Umfang vorhanden. Dazu zählen die
Rekonstruktion von Aussehen und Funktion halafzeit-
licher Rundhäuser nach lokalen syrischen Rundhäusern
(Seeden 1982) oder die funktionale und sozio-politische

12
 
Annotationen