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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0421

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Kapitel 21. Ausblick: Die Urbanisierung
Nordmesopotamiens im 3. Jtsd. v. Chr.

21.1. Der sozialgeschichtliche und
chronologische Kontext

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung tragen in
einigen Punkten zur Beantwortung der oft diskutierten
Frage nach den Existenzgrundlagen der urbanen Zen-
tren des 3. Jtsds. in Nordmesopotamien bei (Moortgat-
Correns 1972; Kühne 1983; Orthmann 1986; Weiss
1986; Lebeau 1990; Bernbeck 1993). Auf der Grund-
lage der Elaushaltsanalysen ergibt sich für die nord-
mesopotamische Gesellschaft des 3. Jtsds. ein Bild, das
deutlich von der geläufigen Theorie der ausschließlich
staatswirtschaftlich geprägten (süd-)mesopotamischen
Gesellschaft abweicht.

Ein großer Teil der nordmesopotamischen Haushalte
bildete selbständig wirtschaftende Einheiten. Dabei bil-
dete der landwirtschaftliche Anbau auf eigenem Land
oder als Landpächter die grundlegende Subsistenzbasis.
Daneben wurde Viehwirtschaft betrieben, die eine
Weidewanderung mit den Schaf-/Ziegenherden ein-
schloß. Da in einigen untersuchten Fällen nachweislich
der gesamte Haushalt für die Weidewanderung die
Wohnstätte temporär verließ und da während der An-
wesenheit der Familien Tiere auch in den Häusern ge-
halten wurden, kann man davon ausgehen, daß die
Haushalte die Viehwirtschaft ebenfalls in eigenverant-
wortlicher Weise betrieben haben. In den meisten
Fällen war Viehzucht mit ackerbaulichen Tätigkeiten
kombiniert. Als dritte mögliche Existenzbasis war häus-
lich durchgeführtes Handwerk vertreten. Dabei konn-
ten unterschiedliche handwerkliche Tätigkeiten kombi-
niert werden. Das unabhängige Handwerk ermöglichte
ebenfalls ein selbständiges Wirtschaften des Haushal-
tes.

Es wurde von verschiedenen Autoren vermutet, daß
die Urbanisierung Nordmesopotamiens unter einem
starken südmesopotamischen Einfluß gestanden hat
(Weiss 1990b, 395 f.). Dafür könnte auch die Verwen-
dung der babylonischen Standardmaße bei der Vermes-
sung der Hausanlagen vordergründig sprechen. Da je-
doch ihre Einführung in Nordmesopotamien nicht in
Verbindung mit den Parzellenhäusern gestanden haben
muß (s. Kap. 21.3), kann dies nicht als Argument für
einen Einfluß des Südens auf die nordmesopotamischen
Hauskonzepte gelten. Die starke regionale Gebunden-

heit und kulturelle Varianz der Hausformen innerhalb
des Hauskonzeptes der Parzellenhäuser spricht fiir un-
abhängige, regional gebundene Entwicklungen inner-
halb Nordmesopotamiens.

Die mit dem Hauskonzept der Parzellenhäuser ver-
bundene Urbanisierung Nordmesopotamiens setzte ver-
mutlich in der ersten Hälfte des 3. Jtsds. v. Chr. ein. Die
ältesten Nachweise für die Anlage von Parzellenhäusern
finden sich in Tall Lailan in der Periode Illd (s. Kap. 10
und Kap. 13.12) und in Tall Chuera, Bereich K, Schicht 5
(s. Kap. 10 und Kap. 13.14). Beide Kontexte sind als
ungefähr zeitgleich mit den Perioden Frühdynastisch II
und Frühdynastisch Illa anzusetzen (Weiss 1990a, 213;
Orthmann 1990b, 11). In der nordmesopotamischen
Periodisierung entspricht dies den Perioden Früh-Gazlra
II und Illa (Pfälzner 1997; 1998). Das ab dieser Zeit
dominierende Hauskonzept der Parzellenhäuser scheint
tendenziell das in der früheren Periode stärker vertre-
tene Hauskonzept der Einzelraumhäuser abgelöst zu
haben (s. Pfälzner 1997). Am deutlichsten wird die
Nachzeitigkeit der beiden Hauskonzepte in Tall Haläwa:
Auf dem älteren Tall B finden sich Einzelraumhäuser,
während der jüngere Tall A fast ausschließlich mit Par-
zellenhäusern bebaut ist (s. Kap. 13.16). Auch die
Parzellenhäuser von Tall Bderi und Tall Meleblye sind
im allgemeinen jünger als die Einzelraumhäuser der
benachbarten Orte Tall ar-Raqä’i und Tall cAtIg (s.
Kap. 10; Pfälzner 1997). Demgegenüber scheinen die
Hauskonzepte der Kuppelhäuser, Bogenhäuser, Doppel-
bogenhäuser, Negativhäuser und die Elite-Wohnhäuser
nicht chronologisch gebunden zu sein, da ihr sozio-öko-
nomischer Hintergrund von nicht-zeitabhängigen Fak-
toren bestimmt wird.

21.2. Stadtplanung im 3. Jtsd. v. Chr.

Das Hauskonzept der Parzellenhäuser, das in den nord-
mesopotamischen Siedlungen des 3. Jtsds. V. Chr. mit
großem Abstand am häufigsten anzutreffen ist, ist Aus-
druck einer gezielten urbanen Planung. Wie vor allem
die Beispiele Tall Haläwa A, Tall Selenkahlye, Tall
Chuera, Tall Meleblye, Tall Bderi und Tall Täya zeigen.

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