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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0418

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Kapitel 19. Dichte und Abgeschlossenheit des Wohnens
im 3. Jtsd. v. Chr. in Nordmesopotamien

19.1. Der Wohnflächenbedarf
pro Person

Das Beispiel der Häuser K I und K II von Tall Chuera
zeigt, daß die jeder Person zur Verfügung stehende
Wohnfläche abhängig vom Entwicklungszyklus des
Haushaltes stark schwanken kann. In den unterteilten
Haushälften K Ilb bzw. K Ia beträgt die Wohnfläche nur
5-6 m 2/Person bzw. sogar nur 4-5 m 2/Person. Im Ur-
sprungsplan der Häuser K I und K II standen den zu re-
konstruierenden Kernfamilien von 5-6 Personen auf
den jeweils ca. 54 m 2 großen Grundstücken eine Wohn-
fläche von 9-11 m 2/Person zur Verfügung.

Im Fall der Parzellenhäuser mit größerer Gassen-
frontbreite ist das Verhältnis natürlich günstiger. Im
120 m 2 großen Parzellenhaus HI von Tall Chuera ist bei
der Bewohnung durch eine Kernfamilie eine Wohnflä-
che von ca. 20-24 m 2/Person vorhanden. Die Fläche der
größeren Parzellenhäuser wird jedoch zum großen Teil
vom Hof und von tannür- bzw. Wirtschaftsräumen ein-
genommen, so daß der tatsächlich verfügbare Wohn-
bereich erheblich geringer anzusetzen ist.

Als vergleichbarer Wert für den Wohnflächenbedarf
läßt sich die Größe der Kernräume in verschiedenen
Häusern heranziehen. In größeren Kernräumen von
20-25 m 2 Innenfläche (z. B. Tall Chuera, Häuser H I -
H V, Tall Bderi, Häuser I, III, V, VI, jeweils im Ur-
sprungsplan) liegt die Wohnfläche bei durchschnittlich
4 m 2/Person. In kleineren Kernräumen von 8-12 m 2
(z. B. Tall Chuera, Häuser K I, K II; Tall Bderi, Häuser
II, IV, VII, XI, XIV, XVII, XXI) beträgt die durchschnitt-
liche Wohnfläche 2 m 2/Person, jeweils bei Zugrunde-
legung einer Kernfamilie von 5-6 Personen.

19.2. Privatsphären und
Nachbarschaften

Die architektonische Abgeschlossenheit bzw. Offenheit
eines Hauses erlaubt Rückschlüsse auf die von den Be-
wohnern erwünschte Privatsphäre. Dies gibt Aufschluß
über die sozio-psychologischen Faktoren, die die Anlage
von Häusern beeinflußt haben (s. Kap. 4.3 und 4.4).

Die einzelnen Hauskonzepte des 3. Jtsds. weichen in
bezug auf den Grad der Abgeschlossenheit/Offenheit
deutlich voneinander ab. Bei den Einzelraumhäusern,
Zeilenhäusern und Doppelbogenhäusern beginnt un-
mittelbar vor der Tür zum Wohnraum der öffentliche
Bereich, da die Häuser in ihrem Ursprungsplan keinen
Hof besitzen und nicht durch Umfassungsmauern ge-
geneinander abgegrenzt sind. Da man - angesichts von
Klima und Umwelt - davon ausgehen kann, daß ein
Großteil der häuslichen Aktivitäten im Freien stattfand,
lagen diese Aktivitätszonen der Haushalte in öffent-
lichen Bereichen und haben sich möglicherweise gegen-
seitig sogar überlappt. Eine eigentliche Privatsphäre war
nur innerhalb des Wohnraumes gegeben. Der soziale
Kontakt der Haushalte untereinander muß folglich sehr
groß gewesen sein.

Innerhalb der genannten Gruppe lassen sich zwei
Varianten unterscheiden: Während bei den Doppel-
bogenhäusern bald nach der Übernahme durch die
einzelnen Haushalte mit Hilfe von Hofmauern private
Bereiche voneinander abgegrenzt wurden (s. Kap. 14:
Konzept D.), ist dies bei den Zeilenhäusern und vor
allem bei den Einzelraumhäusern nicht festzustellen. Im
ersteren Fall bestand offensichtlich das Bedürfnis zur
Abgrenzung der Privatsphäre, das standardisierte Haus-
konzept nahm darauf aber keine Rücksicht. Dies erklärt
sich dadurch, daß diese Häuser nicht von den Bewoh-
nern selbst erbaut wurden, sondern diesen zur Ver-
fügung gestellt wurden (s. Kap. 14). Im zweiten Fall, bei
den Zeilenhäusern und Einzelraumhäusern wurde eine
Abgrenzung nicht für nötig befunden. Dies könnte seine
Ursache darin haben, daß die Haushalte durch ver-
wandtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden
waren und deshalb keine soziale Distanz benötigten.
Möglicherweise entstanden die aus Einzelraumhäusern
bestehenden Siedlungen durch die gemeinsame Nieder-
lassung von Abstammungsgruppen (lineages). Diese
Form der Nachbarschaften ist sogar in komplexen süd-
mesopotamischen Siedlungen der altbabylonischen Zeit
belegt (Stone 1987, 17 f. 126 ff.).

Die Kuppelhäuser und Bogenhäuser lassen einen
höheren Grad an Abgeschlossenheit erkennen, da um-
mauerte oder von Räumen eingefaßte Höfe meist schon
im Ursprungsplan der Anlagen vorhanden sind.

Die Parzellenhäuser stellen innerhalb der Hauskon-
zepte des 3. Jtsds. das den Einzelraumhäusern in Bezug
auf Abgeschlossenheit gegenüberliegende Extrem dar.

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