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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0064

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Kapitel 5. Probleme der archäologischen Taphonomie

bei Haushaltsanalysen

Die Analyse von Aktivitätszonen basiert - neben der
Auswertung von Installationen - auf der funktionalen
und räumlichen Zuweisung von Funden. Funde können
für die Art und für den Ort einer Aktivität aufschluß-
reich sein. Der Fundort muß aber nicht der Ort der ehe-
maligen Benutzung eines Gegenstandes gewesen sein.
Folglich können an Fland des Vorkommens und der
Verteilung von Funden Aktivitätszonen nicht direkt
lokalisiert werden, sondern es muß zunächst untersucht
werden, durch welche Einflüsse ein Fund in eine be-
stimmte Fundsituation gelangt sein kann. Erst dann
kann beurteilt werden, ob der Fund bzw. eine Gruppe
von Funden für einen Ort, eine Schicht, ein Haus, einen
Raum, eine Aktivitätszone innerhalb eines Raumes oder
eine einzelne Aktivität signifikant ist.

Grundlage dieser Fragen ist die archäologische Tapho-
nomie, die «Lehre von der Ablagerung archäologischen
Materials» (Sommer 1991, 54ff.). Den umfassendsten
Beitrag zur Erklärung von Ablagerungsprozessen und
der Entstehung archäologischer Fundvergesellschaftun-
gen lieferte M. B. Schiffer (1972; 1976; 1983; 1985;
1987; Schiffer - Downing - McCarthy 1981).

Für die räumlich-funktionale Interpretation eines
Fundes sind folgende Faktoren von Bedeutung: die Art
der Ablagerung, mit der ein Fund verbunden ist (Depo-
sitionsprozeß), mögliche nachträgliche Veränderungen
der Ablagerung (postdepositionale Prozesse; vgl. Som-
mer 1991, 58) und die Vergesellschaftung eines Fundes
mit anderen Objekten (Fundassemblage). Auf der
Grundlage dieser Charakterisierungen kann versucht
werden, vom «archäologischen Kontext» eines Fundes,
d. h. dem Zusammenhang seiner archäologischen Ent-
deckung, auf seinen «systemischen Kontext», d. h. den
Zusammenhang seiner ursprünglichen Verwendung, zu
schließen (Schiffer 1972, fig. 1-3; 1976, 46f.; 1987,
3 f.).

Die argumentativen Probleme, die sich bei der Inter-
pretation archäologischer Fundvergesellschaftungen er-
geben können, illustrierte Schiffer (1987, 294-298) an
einem archäologischen Beispiel aus dem amerikanischen
Südwesten: Lightfoot und Feinman (1982) versuchten,
am Beispiel der Grubenhaus-Siedlung Crooked Ridge
Village die soziale Differenzierung der Bevölkerung zu
erkennen und die Häuser von Dorfoberhäuptern zu
lokalisieren. Als Anhaltspunkte dienten ihnen die Haus-
größen, die Speicherkapazitäten, die landwirtschaft-
lichen Produkte und die Luxusgüter (Türkis, Meeres-

muscheln und Hohokam-Keramik). Sie stellten fest, daß
die fünf größten Häuser mit 100% der Funde von
Luxusgütern assoziiert waren. Daraus leiteten sie eine
sozial höhere Position dieser Haushalte ab.

Schiffer (1987, 295 f.) wandte gegen diese Interpreta-
tion ein, daß die taphonomischen Faktoren außer Acht
gelassen wurden. Da die meisten Funde nicht unmittel-
bar auf dem Fußboden lagen und nur wenige Scherben
zum selben Gefäß gehörten, könnte es sich um sekundä-
ren Abfall in den Häusern handeln, der nach Auflassung
der Häuser dort abgelagert worden sein könnte. Es liegt
kein Hinweis darauf vor, daß die Funde tatsächlich von
den ehemaligen Bewohnern der Häuser zurückgelassen
wurden.

Eine räumlich-funktionale Auswertung von Funden
liefert nur dann verläßliche Hinweise auf Aktivitäts-
zonen, wenn auf der Grundlage einer Theorie der ar-
chäologischen Taphonomie Methoden entwickelt wer-
den, mit denen sich Ablagerungsprozesse rekonstruieren
lassen.

5.1. Theoretische Grundlagen der
archäologischen Taphonomie

Die maßgeblich von Schiffer entwickelte Theorie der ar-
chäologischen Ablagerungsprozesse geht vom Artefakt
aus. Den Verwendungszyklus eines Artefaktes teilte
Schiffer in mehrere Prozesse ein: Beschaffung, Herstel-
lung, Gebrauch, Instandhaltung, Wiederverwendung
(recycling), Weiterbenutzung durch andere, Wegwerfen
(Schiffer 1976, 46 f.; vgl. Sommer 1991, 57). Auf dieser
Grundlage entwickelte er Kriterien zur Identifizierung
von Ablagerungsprozessen an Hand des Zustandes und
der Vergesellschaftung von Artefakten (Schiffer 1987,
265-303).

Im folgenden wird ein alternatives Konzept für eine
Theorie der archäologischen Taphonomie vorgeschla-
gen: Als Ausgangsbasis wird die Konsistenz der Ablage-
rung, d. h. die materielle Zusammensetzung der (Erd-)
Schicht bzw. der Fundstelle 16) (= Ablagerungsart) be-

16) Zur Definition von (Erd-)schicht und Fundstelle s. Kap. 6.2.

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