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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0041

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Kapitel 4. Theorie und Methode
von Haushaltsanalysen

4.1. Definitionen

Haus:

Ein Haus bezeichnet den umbauten Raum, den ein
Haushalt als Wohn- und gegebenenfalls auch Arbeits-
stätte benutzt. Mit dieser Definition ist der Begriff Haus
auch sozial bestimmt. Ein Haus unterscheidet sich da-
mit von einem Gebäude, das ausschließlich architekto-
nisch definiert ist. Ein Gebäude kann entweder in seiner
Gesamtheit als Haus dienen oder im Lauf seiner Benut-
zung bzw. von Anfang an in verschiedene Häuser meh-
rerer Haushalte unterteilt werden.

Haushalt:

Ein Haushalt umfaßt eine Gruppe von Personen, die
eine gemeinsame Wohnstätte nutzen und darin als
soziale und wirtschaftliche Einheit handeln. Die Defini-
tion eines Haushaltes beruht folglich auf architektoni-
schen (gemeinsames Wohnen), sozialen (verwandtschaft-
liche Beziehungen) und ökonomischen Kriterien (ge-
meinsame Aktivitäten) (Laslett 1972a, 25.28). Von Aus-
nahmen abgesehen - Haushalte, die aus Witwern/Wit-
wen, Ledigen oder koresidierenden Geschwistern bzw.
Verwandten bestehen - ist der Grundbaustein eines
Haushaltes die Familie (s. u.). Ein Haushalt kann aus
einer oder mehreren Familien bestehen, die eine Wirt-
schaftseinheit bilden und gegebenenfalls nicht-ver-
wandtschaftlich verbundene Mitglieder, wie Bedienstete
oder Sklaven einschließen (Laslett 1972a, 28 ff.; Imhof
1977, 71). Eine Sonderform von Haushalten sind «Haus-
gemeinschaften» (engl.: houseful; franz.: maisonnee), in
denen nicht nur mehrere Familien zu einem Haushalt
zusammengeschlossen sind, sondern mehrere, familiär
nicht unmittelbar verbundene Haushalte zusammen in
einem architektonisch und strukturell zusammenhän-
genden Gebäude, einem «Hauskomplex» wohnen (Las-
lett 1972a, 36 f.).

In Ergänzung zu der geläufigen Definition, die einen
Haushalt nur als sozio-ökonomische Einheit beschreibt,
d. h. als Gruppe von kooperativ handelnden Personen
(Wilk - Rathje 1982, 620; Wilk 1983, 100; Ashmore -
Wilk 1988, 6; Gnivecki 1987, 179 ff.), sollten vor allem
in einer archäologischen Untersuchung auch die unper-
sönlichen Bestandteile bzw. Objekte in einem Haus in
die Definition von Haushalt eingeschlossen werden,
weil die Handlungen der Personen nur in Verbindung
mit diesen Objekten gesehen und erklärt werden kön-
nen.

Familien:

Familien sind die Grundeinheit der menschlichen Sozial-
struktur (Murdock 1949, 2 f.). Im allgemeinen werden
zwei grundlegende Familienformen unterschieden: die
Kernfamilie (oder Nuklearfamilie) und die erweiterte
Familie. Erstere umfaßt ein Elternpaar mit seinen un-
verheirateten Kindern, zweitere besteht aus mehreren
Kernfamilien, die zusammen leben und dieselbe Ab-
stammung besitzen (Murdock 1949, 1-40; Haviland
1987, 217ff.) 4). Erweiterte Familien entstehen am häu-
figsten dadurch, daß ein Sohn /eine Tochter heiratet und
eine Kernfamilie gründet, die zusammen mit der Familie
der Eltern lebt und wirtschaftet, also einen gemeinsa-
men Familienverband bildet.

Eine Sonderform der erweiterten Familien sind poly-
game Familien, die aus zwei oder mehr Kernfamilien be-
stehen, die ein verheiratetes Elternteil gemeinsam haben
(Murdock 1949, 2). Bei einem Vergleich von 192 Ge-
sellschaften konnte Murdock (ebenda 2. 32) feststellen,
daß 24% der Gesellschaften nur aus Kernfamilien be-
standen und 76% erweitere Familien aufwiesen, darun-
ter 28% mit polygamen Familien ohne andere erwei-
terte Familienformen.

In der Terminologie der englischen Soziologie («The
Cambridge Group for the History of Population and
Social Structure») werden Familien bzw. Haushalte, die
mehr Personen als die Mitglieder einer Kernfamilie um-
fassen, in zwei Kategorien unterteilt: a) erweiterte Fami-
lien, die aus einer Kernfamilie bestehen sowie einer oder
mehreren zusätzlichen Personen, die verwandt sind,
aber keine eigene Kernfamilie bilden (z. B. eine verwit-
wete Großmutter oder ein unverheirateter Bruder);
b) sog. «midtiple family households», die aus zwei oder
mehreren verwandten Kernfamilien bestehen, also zum
Beispiel einen verheirateten Sohn, der mit Frau und Kin-
dern in der Familie seiner Eltern wohnt (Laslett 1972a,
29 ff; vgl. Imhof 1977, 71). Wie die terminologisch not-
wendige Verbindung mit dem Begriff Haushalt anzeigt,
ist die letztere Kategorie aber nicht als eigenständige
Familienform anzusprechen. Deshalb wird hier der ame-
rikanischen Terminologie nach Murdock der Vorzug ge-
geben, die beide Kategorien als erweiterte Familien

4) Unberücksichtigt muß in dieser knappen, zusammenfassenden
Darstellung die Differenzierung von Familien an Hand von Residenz-
folgen und Generationstiefen bleiben (vgl. Haviland 1987, 217-225).

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