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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0035

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Kapitel 2. Die archäologischen Paradigmen
und ihre Bedeutung für die Wohnhausforschung

2.1. Deterministische Theorien

Keine archäologische Argumentation oder Interpreta-
tion findet ohne theoretische Grundlage statt (Kent
1987b, 513 f.). Sie kann entweder modellhaft entwik-
kelt, explizit formuliert und gezielt angewandt sein oder
unausgesprochen als gedanklicher Hintergrund des ar-
chäologischen Bearbeiters seine Schlußfolgerungen len-
ken.

Der Typologisierung der mesopotamischen Häuser
durch die Architekten und Bauforscher Andrae, Kolde-
wey und Heinrich liegt der prinzipielle Gedanke zu
Grunde, daß Haustypen für einzelne Regionen typisch
seien (s. o.). Ihre Herausbildung wird auf die geogra-
phischen Gegebenheiten dieser Regionen zurückgeführt.
Im Falle der mit Assyrien verbundenen Herdhäuser
(Andrae 1927, 1036-38) kommt zu der geographischen
noch eine ethnische Komponente hinzu. Dieser geogra-
phische bzw. ethnische Determinismus war keine be-
wußt formulierte Theorie, sondern wurde nur impli-
ziert.

Die auch bei der Lösung wissenschaftlicher Probleme
einwirkenden persönlichen Denkweisen werden von
den individuellen Erfahrungen sowie dem wissenschaft-
lichen und gesellschaftlichen Umfeld des Forschers ge-
prägt. Deshalb sind sie ein Spiegelbild der eigenen Kul-
tur des Wissenschaftlers und dienen nur in unzuläng-
licher Weise als Mittel zur Rekonstruktion anderer,
vergangener Kulturen.

Es soll nicht prinzipiell in Abrede gestellt werden, daß
Hausformen durch die geographischen Gegebenheiten
einer Region oder durch die kulturellen Eigenheiten
einer Ethnie entstanden sein können. Eine solche Ver-
knüpfung ist aber nur dann methodisch legitim, wenn
eindeutige und objektive Kriterien dafür gefunden wer-
den können. In gleicher Weise müssen andere mögliche
Ursachen für variierende Hausformen berücksichtigt
werden, wie z. B. technologische, ökologische, wirt-
schaftliche oder soziale Faktoren. Auch diese Erklärun-
gen beinhalten die Gefahr, isoliert betrachtet und folg-
lich determinierend angewandt zu werden (Rapoport
1969, 18).

Ökologischer Determinismus im Bereich der Archi-
tekturgeschichte von Wohnhäusern geht von dem
Grundgedanken aus, daß ein Haus in erster Linie
dem Schutz von Personen und Gütern vor den verschie-
denartigen Auswirkungen von Wetter und Klima dient.

Dementsprechend wird versucht, Variationen der häus-
lichen Bauformen auf klimatische oder andere umwelt-
bedingte Unterschiede zurückzuführen. Besonders häu-
fig wurden klimatische Argumente zur Erklärung des
Hofhauses herangezogen. Dabei ist jedoch zu beachten,
daß in derselben klimatischen Region, wie zum Beispiel
im antiken Griechenland (vgl. Jameson 1990, 106 ff.)
oder in Mesopotamien (vgl. Heinrich 1972-75), so-
wohl Hofhäuser als auch Megaronhäuser bzw. hoflose
Agglutinate vorkommen (Rapoport 1969, 19).

Technologischer Determinismus sieht die Form von
Häusern als Ergebnis der technologischen Fähigkeiten
der Erbauer und der vorhandenen Baumaterialien. Un-
ter dieser Prämisse läßt sich zum Beispiel die Errichtung
von Kuppelbauten als einfache Folge der Bekanntheit
der Kuppelbautechnik in einer bestimmten Region oder
Zeit beschreiben. Dieses Argument bietet jedoch keine
Erklärung dafür, daß in einer Region oder gar einer
Siedlung, etwa in rezenten Dörfern Nordsyriens, Kup-
peldächer und Flachdächer nebeneinander bestehen. Bau-
techniken können zwar bekannt sein, müssen aber nicht
angewandt werden (Rapoport 1969, 24-28).

Ökonomischer Determinismus postuliert eine Ableit-
barkeit der Haustypen von den wirtschaftlichen Tätig-
keiten der Bewohner. Diese Gleichung besitzt in vielen
Fällen Gültigkeit. Nomadische Bevölkerungen wohnen
üblicherweise in Zelten. Arabische Beduinen, türkische
Yörüken, mongolische Nomaden, Tibeter, Sahara-Noma-
den und verschiedene Indianerstämme besitzen aber er-
heblich voneinander abweichende Zelttypen. Sie unter-
scheiden sich in den Größen, den - rechteckigen, runden
oder hexagonalen - Grundformen und variierenden
Materialien, wie Wolle, Leder oder Stroh (Rapoport
1969, 37). Dies zeigt, daß trotz einer diese Gruppen ver-
bindenden nomadischen Lebens- und Wirtschaftsweise
keine einheitlichen Wohnformen herausgebildet werden
müssen. Die vorangehende, pessimistisch formulierte
Diskussion will verdeutlichen, daß einseitige Lösungs-
ansätze zur Erklärung von Hausformen unzulänglich
sind. Es ist davon auszugehen, daß verschiedenartige
Faktoren in gegenseitiger Wechselwirkung zur Heraus-
bildung von Hausformen beitragen. Rapoport (1990,
11 ff.) definiert ein Haus als eine Summe von Hand-
lungsräumen (settings), die mit festen Einrichtungen
(Architektur) und halbfesten Installationen verbunden
sind. Diejenigen innerhalb eines Hauses sind Teil eines
übergeordneten, auch außerhalb des Hauses wirksamen

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