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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0129

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Kapitel 9. Die Definition des Untersuchungsraumes

Mesopotamien - hier als Gesamtheit des von Euphrat
und Tigris begrenzten Landes südlich der türkischen
und iranischen Gebirgszonen aufgefaßt - zerfällt in zwei
deutlich voneinander unterschiedene geographische Ein-
heiten. Der südliche Teil ist eine alluviale Tiefebene, die
der Euphrat und der Tigris mit sehr geringem Gefälle und
entsprechend langsamer Fließgeschwindigkeit durchque-
ren. Der sich häufig verlagernde, mäandrierende Lauf
der Flüsse und die regelmäßigen Überschwemmungen
führen in dieser Region zur Sedimentation großer Men-
gen von Flußschlamm (Sanlaville 1990, 3 f., Fig. 4-5).
Jährliche Niederschläge von 150 mm und weniger er-
möglichen Landwirtschaft nur mit Hilfe künstlicher
Bewässerung und unter ständiger Gefahr der Bodenver-
salzung (Al-Kasab 1966, 27).

Der nördliche Teil Mesopotamiens ist ein stetig von
500 auf 200 m Höhe abfallendes Plateau, in das der
Euphrat und der Tigris sowie deren Nebenflüsse (Häbür,
Ballh) unterschiedlich tief eingeschnitten sind. Die Flüsse
besitzen hier schmale von den Plateaurändern einge-
faßte Flußauen (Sanlaville 1990, 2). Die Fließgeschwin-
digkeit ist in diesem Bereich relativ hoch. In den Fluß-
auen läßt sich Bewässerungsfeldbau betreiben. Es stehen
jedoch nur relativ geringe Flächen dafür zur Verfügung.
Der nördliche Bereich dieser Region erhält Nieder-
schläge zwischen 400 und 200 mm/Jahr, die Regenfeld-
bau möglich machen. Dadurch gilt dieses Gebiet als be-
vorzugte Getreideanbauregion. Nach Süden zu nehmen
die Niederschläge ab (200- 150 mm), so daß hier Feld-
bau - wenn überhaupt - nur mit erheblichem Risiko be-
trieben werden kann (Wirth 1962,14 ff.; Frey - Kürsch-
ner 1991, 89 f.; Bernbeck 1993, 11 ff.). Dieser Bereich
ist jedoch als Weidegebiet für Schaf- und Ziegenherden
besonders geeignet (Pfälzner 1993, 90 f.; Hopfinger

1991, 64). Für die Weidewirtschaft bieten sich jahres-
zeitlich auch die abgeernteten Felder im nördlichen Re-
genfeldbaustreifen an, was zu einer wirtschaftlichen
Integration dieser beiden Teilbereiche Nordmesopota-
miens führt.

Sanlaville (1985; 1990, Fig. 1-2) schlägt für den
nördlichen Teil Mesopotamiens eine der lokalen arabi-
schen Benennung folgende Bezeichnung als «Gazlra»
vor und möchte den Begriff «Mesopotamien» nur für
den südlichen Teil des Zweistromlandes verwenden.
Diesem Vorschlag wird in vorliegender Untersuchung
nicht gefolgt. Sanlavilles Begriff « Gazlra » wird hier mit
«Nordmesopotamien» gleichgesetzt, während der Be-
reich der alluvialen Schwemmebene als «Südmesopota-
mien» bezeichnet wird. Innerhalb der «Gazlra», also
Nordmesopotamiens, unterscheidet Sanlaville (1985;
1990, Fig. 1-2) den für Regenfeldbau geeigneten nörd-
lichen Streifen als «Obere Gazlra» von dem mit geringe-
ren Niederschlagsmengen ausgestatteten, südlichen
Streifen, der «Unteren Gazlra».

Beide Teile Nordmesopotamiens, die Obere und Un-
tere Gazlra, bilden den geographischen Hintergrund der
vorliegenden Untersuchung. Die spezifischen topogra-
phischen, klimatischen und hydrologischen Kennzeichen
dieser Region werden als geographisch bestimmende Fak-
toren für einen von Südmesopotamien deutlich unter-
schiedenen Siedlungs- und Wirtschaftsraum angesehen.
Er ist durch Regenfeldbau, Weidewirtschaft und Bewäs-
serungsfeldbau in schmalen Flußauen gekennzeichnet,
die örtlich mit unterschiedlichen Schwerpunkten neben-
einander oder miteinander kombiniert betrieben werden
können. Vor diesem Hintergund sind spezifische Ausbil-
dungen von Haushalten, häuslichen Aktivitäten, Haus-
formen und Hauskonzepten zu erwarten.

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