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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0407

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Kapitel 15. Die nordmesopotamische Gesellschaft

des 3. Jtsds. v. Chr.

Die nordmesopotamischen Hauskonzepte und die Ana-
lyse der sozio-ökonomischen Hintergründe der darin
lebenden Haushalte liefern Anhaltspunkte zur Rekon-
struktion der Gesellschaftsstruktur der Region im 3. Jtsd.
v. Chr. Zusammenfassend lassen sich die folgenden ge-
sellschaftlichen Gruppen identifizieren:

I. Grundbesitzer

Mesopotamische Wirtschaftsgeschichte, vor allem des
3. Jtsds., ist vorrangig eine Geschichte der Tempel- und
Staatswirtschaften (Renger 1989, 166. 176 ff.). Die vor-
liegende Analyse der Wohnhäuser und Haushalte zeigt,
daß im nordmesopotamischen Raum Grundbesitz und
selbständige Landwirtschaft in den Händen privater
Haushalte möglich und üblich waren. Dabei ist sowohl
mit Großgrundbesitz als auch mit dem Besitz kleinerer
Flächen durch bäuerliche Haushalte zu rechnen. Die
erste Gruppe von Haushalten ist als Bewohner von
Elite-Wohnhäusern in Betracht zu ziehen (s. Kap. 14:
Konzept H). Die zweite Kategorie läßt sich am deut-
lichsten in den Parzellenhäusern lokalisieren, mit denen
die nordmesopotamischen Städte im fortgeschrittenen
3. Jtsd. überzogen waren (s. Kap. 14: Konzept F) 397).

II. Landlose, bäuerliche Haushalte

Haushalte, die über keinen eigenen Boden verfügen,
können als Pächter von landwirtschaftlichen Flächen
eine eigene landwirtschaftliche Produktion betreiben.
Auf diese WeiSe können auch sie wirtschaftlich selbstän-
dige Haushalte bilden 398). Die'se Bevölkerungsschicht
tritt ebenfalls als Bewohner von Parzellenhäusern in Er-
scheinung (s. Kap. 14: Konzept F).

III. Landarbeiter

Landarbeiter, die sowohl bei staatlicher Landwirtschaft
als auch bei privatem Großgrundbesitz als Arbeits-
kräfte prinzipiell vorauszusetzen sind, müssen auch in
der nordmesopotamischen Landwirtschaft des 3. Jtsds.
eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie sind als ursprüng-
liche Zielgruppe bei der Errichtung von mehreren anein-
andergereihten Doppelbogenhäusern in Betracht zu zie-

hen (s. Kap. 14: Konzept D). Die Einzelraumhäuser
könnten ebenfalls von Landarbeiterfamilien oder von
Haushalten mit einer anderen Form abhängigen Bauern-
tums bewohnt gewesen sein (s. Kap. 14: Konzept E).

IV. Nomaden und transhumante Viehzüchter

Die nomadische Bevölkerung Nordmesopotamiens läßt
sich zwar nicht direkt nachweisen, aber indirekt durch
die Präsenz von transhumanten und in der Seßhaftwer-
dung befindlichen Gruppen erschließen. Transhumante
Viehzüchter sind als Bewohner von Zeilenhäusern anzu-
nehmen, die temporär in den Flußtälern gesiedelt und
Anbau betrieben haben (s. Kap. 14: Konzept A). Auch
die Kuppelhäuser von Tall Bderi waren von Haushalten
bewohnt, für die Viehwirtschaft eine große Rolle spielte,
was auf einen ehemaligen nomadischen Hintergrund
dieser möglicherweise erst jung seßhaften Haushalte
hinweist (s. Kap. 14: Konzept B). Selbst unter den Be-
wohnern von Parzellenhäusern sind Haushalte nachzu-
weisen, die neben der Landwirtschaft Viehhaltung be-
trieben haben und zur Weidewanderung temporär ihr
Haus verließen (s. Kap. 14: Konzept F).

Dieses Ergebnis bestätigt Theorien von Hole (1991)
und Buccellati (1990), die von einer bedeutenden Rolle
der nomadischen Viehzucht in der Gazlra im 3. Jtsd.
v. Chr. ausgehen. Hole (1991, 21) vermutet, daß die Be-
völkerung am Häbür im 3. Jtsd. mehrheitlich aus trans-
humanten Viehzüchtern bestand, die sowohl im Flußtal
Ackerbau betrieben als auch große Herden in den Step-
pengebieten hielten. Buccellati (1990, 98 ff.) nimmt an,
daß die Entstehung der Viehwirtschaft in den Steppen-

397) Diese Ergebnisse widersprechen in deutlicher Weise der Beob-
achtung von Heinz (1997, 102), daß in Siedlungen ihrer Stadt-Kate-
gorie III (z. B.: Tall Haläwa B, Tall Habüba Kablra, Tall Selenkahlye,
Tall Haläwa A, vgl. ebenda S. 33) «keine Aufteilung der Organisation
von Wirtschaftsbereichen» stattgefunden habe, «die Verantwortung
für den Ablauf der wirtschaftlichen Aktivitäten allein in den Händen
des einzigen Machtzentrums, des Tempels» gelegen habe und deshalb
«keine gesellschaftliche Gruppierung außerhalb der Tempelverwal-
tung» Tätigkeiten übernommen zu haben scheine, «die diese in ihrem
Status hervorgehoben ... hätte ».

39S) Wie wirtschaftsgeographisch untersuchte, rezente Beispiele von
landlosen Haushalten in Nordostsyrien zeigen, können diese als
Landpächter oft höhere Erträge erwirtschaften als die landbesitzen-
den, verpachtendep Haushalte (Hopfinger 1991, 62).

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