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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0399

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Kapitel 14. Die Hauskonzepte des 3. Jtsds. v. Chr.

in Nordmesopotamien
und ihre sozio-ökonomische Interpretation

Zur Deutung der Hauskonzepte des 3. Jtsds. läßt sich
das ethnoarchäologische Modell zum Bezug zwischen
Hausform und Wirtschaftsform (vgl. Kap. 7) als theore-
tische Grundlage heranziehen. Eine direkte Gleichset-
zung der sozio-ökonomischen Hintergründe der ethno-
graphisch bzw. archäologisch belegten Wohnhäuser nach
rein formalen Gesichtspunkten ist aber aus methodi-
schen Gründen nicht möglich. Es sind dabei jeweils die
mit Hilfe der Haushaltsanalyse ( Kap. 12) rekonstruier-
baren Hausfunktionen und Aktivitätszonen der archäo-
logisch untersuchten Häuser zu berücksichtigen.

Archäologisches Hauskonzept A:
Zeilenhäuser

Zeilenhäuser sind in den Siedlungs-Nutzungsphasen 12
(Haus XII) und 13 (Haus XIII) in Tall Bderi belegt. In
diesen Schichten stellen die genannten Häuser jeweils
das einzige Gebäude im Bereich der Grabungsstelle am
Südhang. Die Zeilenhäuser zeichnen sich dadurch aus,
daß die einzelnen Räume jeweils getrennt von außen er-
schlossen werden und an einer einheitlichen Linie aus-
gerichtet sind. Sie sind von einer großen Freifläche um-
geben, die nicht oder nur zum Teil durch eine Hofmauer
eingefaßt ist.

Die Räume des Hauses XII von Tall Bderi (s. Kap.
13.3; Taf. 17-18) wurden überwiegend zur Lagerung
von Stroh und anderen Vorräten benutzt und enthielten
keine häuslichen Installationen, wie einen Herd, eine
Kochstelle oder einen Mahltisch. Dieser Befund ent-
spricht formal und funktional den Häusern der ethno-
graphischen Gruppe B (s. Kap. 7.1). Das Haus XII
dürfte einem nur temporär am Ort ansässigen Haushalt
gedient haben. Die Aktivitäten der Nahrungszuberei-
tung müssen in einem anderen Bereich stattgefunden
haben, möglicherweise in einem Zelt, das auf der gro-
ßen Freifläche vor dem Haus aufgestellt werden konnte.
In den Räumen selbst sind keine Wohnfunktionen zu
belegen. Diese Befundsituation könnte jedoch den Zu-
stand während der Abwesenheit des Haushaltes reflek-
tieren.

Die großen Vorratsgruben außerhalb des Hauses XII
in einem ummauerten Hofbereich weisen darauf hin,
daß während der Abwesenheit des Haushaltes auch dort
Vorräte eingelagert werden konnten. Obwohl die Spei-

cher mit sekundärem Abfall gefüllt waren, verweisen
einige Getreidereste auf die landwirtschaftliche Produk-
tion des Haushaltes und die ehemalige Lagerung von
Getreide in den Gruben. Das in zwei von drei Räumen
gelagerte Stroh weist darauf hin, daß der Haushalt
außerdem in größerem Umfang Viehhaltung betrieben
hat. Haus XII von Tall Bderi dürfte folglich von einem
nomadisierenden Haushalt bewohnt gewesen sein, der
Viehwirtschaft in den Steppengebieten und saisonalen
Anbau im Häbürtal praktizierte.

Das Haus XIII von Tall Bderi (s. Kap. 13.3.; Taf.
18-19) besteht aus drei Räumen, die auf zwei parallelen
Linien, aber mit einheitlicher Ausrichtung angeordnet
sind. In dieser Hinsicht verkörpert es ein Zeilenhaus.
Es unterscheidet sich aber von Haus XII durch seinen
multifunktionalen Wohnraum, der als Bogenraum zu re-
konstruieren ist. Er läßt entweder auf ein permanentes
Wohnverhalten oder auf eine seit längerer Zeit beste-
hende temporäre Seßhaftigkeit schließen. Das Haus XIII
steht folglich mit seinen Merkmalen zwischen denjeni-
gen der ethnographischen Gruppen B und C (s. Kap.
7.1). Während der Wohnraum auf Siedlungskontinuität
schließen läßt, verweisen die sieben unter freiem Him-
mel gelegenen Vorratsgruben auf Perioden längerer Ab-
wesenheit des Haushaltes. Möglicherweise befand sich
der Haushalt XIII in einem Übergangsstadium zwischen
Transhumanz und dauernder Seßhaftigkeit. Die origina-
len Inhalte zweier Vorratsgruben, Stroh und Getreide,
verweisen auf Viehwirtschaft und Getreideanbau (vgl.
Kap. 7.1).

Innerhalb der Besiedlungsgeschichte des Tall Bderi
gehören die beiden Zeilenhäuser in eine Periode, die auf
die plötzliche, durch eine natürliche Katastrophe (Erd-
beben?) verursachte, umfassende Zerstörung des dicht
bebauten Siedlungsviertels der Schicht 14 am Südhang
folgt. Der danach zunächst unbesiedelte Südhang scheint
in der Folge (Schichten 13-12) von transhumanten
Nomaden als temporärer Wohnort benutzt worden zu
sein, die sich in einem Übergangsstadium zur Seßhaftig-
keit befanden. Dies war jedoch kein kollektiv vollzoge-
ner Prozeß. Der sich offensichtlich in einem fortgeschrit-
teneren Stadium der Seßhaftwerdung befindliche Haus-
halt XIII ist in der älteren Siedlungs-Nutzungsphase 13
nachzuweisen. Es handelt sich folglich um individuelle
Prozesse, die verschiedene Haushalte zeitversetzt durch-
laufen konnten.

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