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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0097

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Kapitel 7. Ein ethnoarchäologisches Modell
zum Bezug zwischen Hausform und Wirtschaftsform

Für den geographischen Großraum Nordmesopotamien
sind auf Grund der heutigen topographischen, klimati-
schen und hydrologischen Voraussetzungen die einzeln
oder kombiniert betriebenen Wirtschaftsweisen Regen-
feldbau, Weidewirtschaft und Bewässerungsfeldbau in
den Flußauen kennzeichnend. Da über die letzten 6000
Jahre keine entscheidenden Klimaveränderungen in der
Gazlra beobachtet werden können (Gremmen - Bot-
tema 1991, 112), ist mit prinzipiell übereinstimmenden
Wirtschaftsweisen auch im 3. Jtsd. v. Chr. zu rechnen.
Dies wird durch die paläobotanischen und archäozoolo-
gischen Daten aus den Siedlungen und vor allem den
Wohnhäusern des 3. Jtsds. v. Chr. bestätigt, die für den
gesamten nordmesopotamischen Raum ein Vorherr-
schen von Getreideanbau und Schaf/Ziegenzucht erken-
nen lassen (s. Kap. 12.4.: D III und D IV).

Aus diesem Grund soll aufgezeigt werden, mit wel-
chen ethnographisch beobachteten Hauskonzepten und
Hausformen die unterschiedlichen Wirtschaftsweisen
und Organisationsformen der Subsistenzproduktion in
der Gazlra verbunden sein können 37). Dies kann als
Modell für den Bezug zwischen Hausform und Wirt-
schaftsform in dieser Region gelten.

7.1. Die ethnographisch belegten
Hauskonzepte in Nordmesopotamien 38)

Ethnographische Gruppe A:

Häuser von nomadisierenden Viehzüchtern

Das typische Haus von nomadisierenden Viehzüchtern
ist das Zelt 39). In seiner Eigenschaft als Wohnstätte und
weil es eine soziale Einheit definiert, ist auch das Zelt als
Haus aufzufassen (Nippa 1991, 88 ff.).

Über die Form von Zelten in der Gazlra müssen an
dieser Stelle keine Angaben gemacht werden, weil aus-
führliche Beschreibungen in der ethnologischen Literatur
vorhanden sind (Oppenheim 1939; Daker 1984, 52 f.;
Nippa 1991, 88-101; etc.). Die archäologische Lokali-
sierung von Zeltplätzen ist zwar möglich (Bernbeck
1993, 63. 171 f.), aber in vielerlei Hinsicht problema-
tisch (ebenda 68) und nicht Gegenstand der vorliegenden
Untersuchung, weil aus dem 3. Jtsd. v. Chr. bisher keine
direkten Nachweise für Nomadenlager vorhanden sind.

Ethnographische Gruppe B: Häuser von
transhumanten Viehzüchtern/Ackerbauern

Für den Bereich des Mittleren Euphrat sind nach ethno-
graphischen Quellen semi-nomadische Viehzüchter seit
dem späten 18. Jhdt. belegt (Charles 1993; Daker 1984,
51). Sie waren temporär im Flußtal anwesend, um dort
Landwirtschaft zu betreiben. Die bis ins 16. Jhdt. zu-
rückreichenden osmanischen Steuerlisten belegen eine
vergleichbare Praxis im Euphrat- und Häbürtal schon
zu dieser Zeit (Hütteroth 1990, 181). Halbnomadische
Stämme (gemä cat) bauten auf den mit Hilfe von Kanä-
len (nahr) bewässerten Feldern Hirse an. Sie waren nur
im Frühjahr/Sommer im Flußtal ansässig, weshalb in
den Steuerlisten keine Dörfer erwähnt sind.

In der ersten Periode der Seßhaftwerdung errichten
die transhumanten Beduinen ihre Zelte in der Nähe der
Felder. Im Laufe der Zeit werden die Zelte mit Einfas-
sungsmauern oder anderen Umzäunungen versehen und
sind auf diese Weise weniger leicht versetzbar. Am Über-
gang zu fest gebauten Häusern stehen verschiedene
Hüttenformen aus pflanzlichen Baumaterialien (Daker
1984, 51-56).

Die mit einer ethnoarchäologischen Fragestellung am
detailliertesten untersuchten Häuser von halbnomadi-
schen Viehzüchtern finden sich in der Siedlung Qdeir
(Provinz ar-Raqqa/Syrien) (Aurenche - Desfarges 1983;
Desfarges unpubl.; Jarno 1984). Die festen Häuser die-
ses Ortes werden nur für 2 bis 3 Monate im Jahr (Juni/
Juli bis September) von in der übrigen Zeit des Jahres
nomadisierenden Viehzüchtern bewohnt (Aurenche -
Desfarges 1983, 151. 157f.). In der Umgebung des
Ortes ist Wasser für die Schafherden in den Sommer-

37) Im Rahmen der vorliegenden Arbeit und Intention kann nur ein
stark gestraffter und exemplarischer Überblick über die Haus- und
Wirtschaftsformen der Gazlra gegeben werden. Dem Verf. ist be-
wußt, daß dies an vielen Punkten eine starke Vereinfachung beinhal-
tet. Eine tiefgehende Beschäftigung mit dem Thema würde eine eigene
wissenschaftliche Untersuchung ausfüllen. In diesem Zusammenhang
sei auf die in Vorbereitung befindliche Arbeit von K. Pütt, Hausfor-
men der Syrischen Gazira (Arbeitstitel) hingewiesen.

38) Es werden auch Beispiele außerhalb des strikt definierten Gebie-
tes zwischen Euphrat und Tigris einbezogen (z. B. das Gebiet von
al-Kowm ca. 80 km südlich des Euphrat), falls die ethnologische For-
schungslage dies erfordert.

39) Zelte können aber auch in Wohnstätten von Haushalten mit an-
deren Wirtschaftsweisen (mit)verwendet werden (s. u.).

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