Verwendung:
Die Funktion und Verwendung der zoomorphen Figuri-
nen ist umstritten. Während sie in früheren Arbeiten
meist als Spielzeug aufgefaßt wurden (Lloyd 1961,
24 f.) 245), hat sich in neueren Materialdarstellungen die
Meinung durchgesetzt, die Tierfiguren gehörten in den
Bereich der Volksreligion und besaßen eine möglicher-
weise magische Bedeutung (Liebowitz 1988, 30; Choli-
dis 1989, 205; Pruß - Link, 1994).
Eine beweisbare Entscheidung für die eine oder an-
dere Möglichkeit ist an Hand des verfügbaren Denk-
mälerbestandes nicht zu treffen. Der in der vorliegenden
Arbeit verfolgte, strikte Ansatz, die Fundlage, die Fund-
vergesellschaftung und die Ablagerungsart als Hinweise
auf die Verwendung von Gegenständen zu werten, führt
bei den Tierfigurinen zu keinem eindeutigen Ergebnis.
Tierfigurinen fanden sich (im Gegensatz zu den anthro-
pomorphen Terrakotten, s. Kap. 12.3: C Xla) niemals in
einer Situation, die eine kultische Verwendung stützen
würde. Sie besitzen auch äußerlich keinerlei Attribute,
die auf religiös-magische Funktionen hinweisen wür-
den. Als ebenso wenig beweisbares Ersatzargument für
ihre kultische Deutung wird deshalb oft herangezogen,
die Tierfigurinen könnten keinem grundsätzlich anderen
Zweck gedient haben als die im Format und der Herstel-
lungsart ähnlichen anthropomorphen Terrakotten (Pruß
- Link, 1994).
Bei näherer Betrachtung zeigen sich herstellungsbe-
dingte Unterschiede zwischen den zoomorphen und
anthropomorphen Terrakotten. Bei der Herstellung der
Tierfigurinen erfolgte die Wiedergabe der Details in
der Regel erheblich weniger sorgfältig (Pruß - Link,
1994). Applikationen finden sich wesentlich seltener als
bei den anthropomorphen Terrakotten, Gesichtsdetails
sind nie durch Applikationen dargestellt und die Augen
sind in den meisten Fällen überhaupt nicht angegeben
(ebenda). Die Hersteller von anthropomorphen und
zoomorphen Terrakotten müssen also nicht dieselben
gewesen sein oder können die Figurinen mit unter-
schiedlichem Hintergrund hergestellt haben. Die An-
nahme einer gleichartigen Verwendung ist folglich nicht
zwingend.
Der bei der Herstellung der Tierfigurinen erkennbare
«technische und organisatorische Aufwand» ist als Ar-
gument dafür benutzt worden, daß sie nicht das Werk
von Kindern, sondern von Spezialisten seien (Pruß -
Link, 1994). Den einzigen erkennbaren Aufwand stellt
der Brand dar, der aber nicht speziell durchgeführt wor-
den sein muß, sondern gelegentlich des Brandes anderer
Haushaltsgegenstände erfolgt sein könnte. Die übrigen
Merkmale der Tierfigurinen sprechen für eine sehr un-
professionelle Herstellung. Sie sind aus einem Stück Ton
mit der Hand ohne Zuhilfenahme von Geräten geformt,
die undifferenzierten, stumpfartigen Beine und der
Schwanz wurden durch Ausziehen aus der Tonmasse
gebildet und die Darstellung ist insgesamt stark stili-
siert, d. h. sehr einfach (Liebowitz 1988, 15; Pruß -
Link, 1994).
Es wird aus diesen Gründen vorgeschlagen, die in den
Häusern des 3. Jtsds. so zahlreichen Tierfigurinen als
Spielzeuge zu deuten. Der kritische Hinweis von Choli-
dis (1989, 189. 205), daß eine Interpretation von alt-
orientalischen Objekten als Spielzeuge auf einer bedenk-
lichen und deshalb sehr fragwürdigen Übertragung un-
serer modernen, westlichen Vorstellungen von Kinder-
spielzeug beruht, ist prinzipiell richtig. Dem kann je-
doch im konkreten Fall der Tierfigurinen entgegenge-
halten werden, daß diese Art von Gegenständen gerade
in traditionellen, nicht-westlichen Kulturen als beliebtes
Kinderspielzeug vorkommt.
Bei den Tubu, Bäle und Dazagada in der südöstlichen
Sahara (Tchad) formen die Kinder Tiere und Reiter aus
Lehm, mit denen sie gegeneinander Raubzüge unterneh-
men (Abb. 112). Die Tierfigurinen sind bei diesen Völ-
kern ein beliebtes Kinderspielzeug (Fuchs 1961, 47, Taf.
8 b). Im übrigen stellen in der gleichen Region die Müt-
ter oder ältere Geschwister für die kleinen Mädchen
Spielzeug-Puppen aus Holz mit harzgeformten Köpfen
und eingelegten Glasperlen für Augen, Nase und Mund
her (Fuchs 1961, 46), was die auf den ersten Blick plau-
sibel erscheinende Behauptung von Cholidis (1989,
198) widerlegt, daß in Kulturen mit hoher Kindersterb-
lichkeit Spielzeug nicht speziell hergestellt, sondern
allenfalls in primitiver Weise von den Kindern selbst
gebastelt werde.
Angesichts der ethnographischen Vergleiche werden
die Tierfigurinen vorläufig (d. h. bis zu einem eventuel-
len Nachweis eines sicheren kultischen Verwendungs-
kontextes) der Kategorie Unterhaltung innerhalb der
häuslichen Aktivitäten des 3. Jtsds. v. Chr. zugerechnet.
C XIII b: Terrakotta-Wagenmodelle
Auch die Wagenmodelle aus Terrakotta sind eine im
3. Jtsd. in Nordmesopotamien stark vertretene Fundgat-
tung, die - außer in Gräbern (Strommenger 1990, 297)
- am häufigsten in Wohnhäusern (Neufang - Pruß,
1994) vorkommt. Ihre Herstellung ist aufwendiger und
meist sorgfältiger durchgeführt als die der Tierfigurinen.
Viele Exemplare sind durch Ritzungen oder sogar Sie-
gelabrollungen reich verziert (Orthmann - Klein - Lüth
1986, 32. 55 f.; Abb. 16,1-7; 21; 35; Liebowitz 1988,
21). Einige Wagenmodelle sind sogar teilweise auf der
Töpferscheibe geformt (Strommenger 1990, 297; Neu-
fang - Pruß, 1994). Aus diesem Grund ist eine gemein-
24S) vgl. auch die von Cholidis 1989, Anm. 1 bzgl. der Tierfiguren
auf Rädern angegebene Literatur.
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Die Funktion und Verwendung der zoomorphen Figuri-
nen ist umstritten. Während sie in früheren Arbeiten
meist als Spielzeug aufgefaßt wurden (Lloyd 1961,
24 f.) 245), hat sich in neueren Materialdarstellungen die
Meinung durchgesetzt, die Tierfiguren gehörten in den
Bereich der Volksreligion und besaßen eine möglicher-
weise magische Bedeutung (Liebowitz 1988, 30; Choli-
dis 1989, 205; Pruß - Link, 1994).
Eine beweisbare Entscheidung für die eine oder an-
dere Möglichkeit ist an Hand des verfügbaren Denk-
mälerbestandes nicht zu treffen. Der in der vorliegenden
Arbeit verfolgte, strikte Ansatz, die Fundlage, die Fund-
vergesellschaftung und die Ablagerungsart als Hinweise
auf die Verwendung von Gegenständen zu werten, führt
bei den Tierfigurinen zu keinem eindeutigen Ergebnis.
Tierfigurinen fanden sich (im Gegensatz zu den anthro-
pomorphen Terrakotten, s. Kap. 12.3: C Xla) niemals in
einer Situation, die eine kultische Verwendung stützen
würde. Sie besitzen auch äußerlich keinerlei Attribute,
die auf religiös-magische Funktionen hinweisen wür-
den. Als ebenso wenig beweisbares Ersatzargument für
ihre kultische Deutung wird deshalb oft herangezogen,
die Tierfigurinen könnten keinem grundsätzlich anderen
Zweck gedient haben als die im Format und der Herstel-
lungsart ähnlichen anthropomorphen Terrakotten (Pruß
- Link, 1994).
Bei näherer Betrachtung zeigen sich herstellungsbe-
dingte Unterschiede zwischen den zoomorphen und
anthropomorphen Terrakotten. Bei der Herstellung der
Tierfigurinen erfolgte die Wiedergabe der Details in
der Regel erheblich weniger sorgfältig (Pruß - Link,
1994). Applikationen finden sich wesentlich seltener als
bei den anthropomorphen Terrakotten, Gesichtsdetails
sind nie durch Applikationen dargestellt und die Augen
sind in den meisten Fällen überhaupt nicht angegeben
(ebenda). Die Hersteller von anthropomorphen und
zoomorphen Terrakotten müssen also nicht dieselben
gewesen sein oder können die Figurinen mit unter-
schiedlichem Hintergrund hergestellt haben. Die An-
nahme einer gleichartigen Verwendung ist folglich nicht
zwingend.
Der bei der Herstellung der Tierfigurinen erkennbare
«technische und organisatorische Aufwand» ist als Ar-
gument dafür benutzt worden, daß sie nicht das Werk
von Kindern, sondern von Spezialisten seien (Pruß -
Link, 1994). Den einzigen erkennbaren Aufwand stellt
der Brand dar, der aber nicht speziell durchgeführt wor-
den sein muß, sondern gelegentlich des Brandes anderer
Haushaltsgegenstände erfolgt sein könnte. Die übrigen
Merkmale der Tierfigurinen sprechen für eine sehr un-
professionelle Herstellung. Sie sind aus einem Stück Ton
mit der Hand ohne Zuhilfenahme von Geräten geformt,
die undifferenzierten, stumpfartigen Beine und der
Schwanz wurden durch Ausziehen aus der Tonmasse
gebildet und die Darstellung ist insgesamt stark stili-
siert, d. h. sehr einfach (Liebowitz 1988, 15; Pruß -
Link, 1994).
Es wird aus diesen Gründen vorgeschlagen, die in den
Häusern des 3. Jtsds. so zahlreichen Tierfigurinen als
Spielzeuge zu deuten. Der kritische Hinweis von Choli-
dis (1989, 189. 205), daß eine Interpretation von alt-
orientalischen Objekten als Spielzeuge auf einer bedenk-
lichen und deshalb sehr fragwürdigen Übertragung un-
serer modernen, westlichen Vorstellungen von Kinder-
spielzeug beruht, ist prinzipiell richtig. Dem kann je-
doch im konkreten Fall der Tierfigurinen entgegenge-
halten werden, daß diese Art von Gegenständen gerade
in traditionellen, nicht-westlichen Kulturen als beliebtes
Kinderspielzeug vorkommt.
Bei den Tubu, Bäle und Dazagada in der südöstlichen
Sahara (Tchad) formen die Kinder Tiere und Reiter aus
Lehm, mit denen sie gegeneinander Raubzüge unterneh-
men (Abb. 112). Die Tierfigurinen sind bei diesen Völ-
kern ein beliebtes Kinderspielzeug (Fuchs 1961, 47, Taf.
8 b). Im übrigen stellen in der gleichen Region die Müt-
ter oder ältere Geschwister für die kleinen Mädchen
Spielzeug-Puppen aus Holz mit harzgeformten Köpfen
und eingelegten Glasperlen für Augen, Nase und Mund
her (Fuchs 1961, 46), was die auf den ersten Blick plau-
sibel erscheinende Behauptung von Cholidis (1989,
198) widerlegt, daß in Kulturen mit hoher Kindersterb-
lichkeit Spielzeug nicht speziell hergestellt, sondern
allenfalls in primitiver Weise von den Kindern selbst
gebastelt werde.
Angesichts der ethnographischen Vergleiche werden
die Tierfigurinen vorläufig (d. h. bis zu einem eventuel-
len Nachweis eines sicheren kultischen Verwendungs-
kontextes) der Kategorie Unterhaltung innerhalb der
häuslichen Aktivitäten des 3. Jtsds. v. Chr. zugerechnet.
C XIII b: Terrakotta-Wagenmodelle
Auch die Wagenmodelle aus Terrakotta sind eine im
3. Jtsd. in Nordmesopotamien stark vertretene Fundgat-
tung, die - außer in Gräbern (Strommenger 1990, 297)
- am häufigsten in Wohnhäusern (Neufang - Pruß,
1994) vorkommt. Ihre Herstellung ist aufwendiger und
meist sorgfältiger durchgeführt als die der Tierfigurinen.
Viele Exemplare sind durch Ritzungen oder sogar Sie-
gelabrollungen reich verziert (Orthmann - Klein - Lüth
1986, 32. 55 f.; Abb. 16,1-7; 21; 35; Liebowitz 1988,
21). Einige Wagenmodelle sind sogar teilweise auf der
Töpferscheibe geformt (Strommenger 1990, 297; Neu-
fang - Pruß, 1994). Aus diesem Grund ist eine gemein-
24S) vgl. auch die von Cholidis 1989, Anm. 1 bzgl. der Tierfiguren
auf Rädern angegebene Literatur.
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