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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0331

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Die soziale lnterpretation

Die Parzellenhäuser wie auch die Doppelbogenhäuser
waren in ihren rekonstruierbaren Ursprungsplänen auf
einen Wohnraum konzentriert, der das soziale Zentrum
des Haushaltes darstellte. Sie waren deshalb für Haus-
halte konzipiert, die eine geschlossene soziale Gruppe
bildeten. Die unterschiedlichen Grundstücksgrößen der
Parzellenhäuser sind nicht in erster Linie als Kennzei-
chen unterschiedlicher Familienstärken bzw. Haushalts-
größen aufzufassen, da dieses Maß ja bereits zu Beginn
des Bestehens des Hauses festliegt. Stattdessen dürfte
darin in erster Linie ein unterschiedlicher Wohlstand der
Haushalte zum Ausdruck kommen, da von diesem Kri-
terium sowohl die Mittel zum Erwerb und zur Bebau-
ung eines Grundstückes als auch der Platzbedarf für
Aktivitäten, Lagerung und Repräsentation abhängig
sind.

Da die einzelnen Nutzungsphasen der Häuser nicht
freigelegt wurden, läßt sich der Entwicklungszyklus der
Haushalte nicht ablesen. In mehreren Fällen (Haus B 4
und Haus G 1) weist die räumliche Organisation des
Endplanes aber darauf hin, daß der Haushalt soziale
Untereinheiten herausgebildet hat, die architektonische
Untereinheiten des Hauses mit eigenen Kernräumen be-
wohnten. Dies könnten zum Beispiel Kernfamilien in
einem erweiterten Familienverband gewesen sein (s.
Kap. 18).

13.5. Tall ar-Raqa’i

Haus 1

(Taf. 30)

Das Haus 1 besteht nur aus zwei Räumen. Der größere
Raum 2 (4 x 3,5 m), der in seiner zweiten Benutzungs-
phase mit einem Gipsboden, Bänken längs der Wände
und einem Herd («werkplateau»; s. Kap. 12.1: A Ilb)
ausgestattet war (Nieuwenhuyse 1992, 80), ist als Kern-
raum anzusprechen. Der Zugang zum Hauptraum ist
unklar, muß aber direkt von außen erfolgt sein. Der vom
Kernraum aus zugängliche, kleinere Nebenraum 2 ent-
hielt nur einen Gipsboden (Phase 1) und keine Installa-
tionen. Möglicherweise diente er als Vorratsraum oder
als Raum für häusliche Arbeiten (Mahlen, Nahrungs-
zubereitung). Wie die im Verhältnis zur sonstigen Süd-
mauer des Raumes 2 doppelte Breite der Mauer zwi-
schen Raum 2 und 1 anzeigt, wurde Raum 1 nachträg-
lich mit einer Doppelmauer an den Kernraum angesetzt.
Im Ursprungsplan war Haus 1 folglich ein «Einzelraum-

haus». Das Haus war von Gassen (im Westen und
Osten) und Freiflächen (im Norden und Süden) umge-
ben und besaß keinen eigenen, abgegrenzten Hof.

Sich gegenüberliegende Mauerzungen an der Ost-
und Westseite des Kernraumes ermöglichen die Rekon-
struktion eines Binnenbogens (s. Kap. 11.4) oder eines
Kreuzbogens (ebenda). Der annähernd quadratische, ca.
3,5 x 4 m große Raum war also durch vorkragende
Lehmziegelbögen unterteilt, die die freitragende Spann-
weite des Daches reduzierten.

Haus 2

(Taf. 30)

Das in seinem Endplan ebenfalls zweiräumige Haus 2
besaß Gipsböden, aber keine Installationen, die auf
Raumfunktionen hinweisen würden (Nieuwenhuyse
1992, 80). Wie im Beispiel des Hauses 1 handelt es sich
um einen größeren und einen kleineren Raum. Der Zu-
gang von außen erfolgte in den größeren Raum (20)
(3 x 2,3 m), der wahrscheinlich als Kernraum anzuspre-
chen ist. Ein zum Haus gehöriger Hof fehlt auch hier.
Ob der kleinere Raum (83) bei diesem Haus später an-
gebaut wurde, läßt sich nicht entscheiden. In Raum 83
weisen sich gegenüber liegende Mauerzungen darauf
hin, daß der Raum mit einem Binnenbogen in Querrich-
tung überspannt war. Der Hauptraum 20 scheint keinen
Binnenbogen besessen zu haben.

Haus 3

(Taf. 30)

In dem doppelräumigen Haus 3 ist der hintere Raum 19
zwar kleiner, besitzt aber dieselbe Breite wie der große
Raum 18. Dies könnte darauf hinweisen, daß beide
Räume zur ursprünglichen Anlage des Hauses gehören.
Der in Analogie zu Haus 1 als Kernraum zu deutende,
annähernd quadratische, ca. 3,5 x 3 m große Raum 18
besaß einen Binnenbogen in Querrichtung, wie zwei
sich gegenüber liegende Mauerzungen anzeigen. Die
beiden auf diese Weise entstehenden Raumabschnitte
waren nicht gleich groß. Außer einer Lehmziegelplatt-
form in Raum 18 und zwei Becken in Raum 19 fehlen
funktional signifikante Installationen (Nieuwenhuyse
1992, 80).

Haus 4

Von diesem Haus hat sich nur die östliche Hälfte eines
Raumes erhalten (Taf. 29; Raum 17). Es könnte sich
ebenfalls um ein zweiräumiges Haus gehandelt haben.
Eine Mauerzunge in Raum 17 läßt einen Binnenbogen

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