Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0744

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
706

Miniaturen.

auf dem unverwüstlichen massiv-glänzenden Goldgründe sehr gering. Die
Figuren sind auffallend gedrungen, die Gesichter geistlos, die Umrisse mit
dicken schwarzen Zügen gezeichnet, ebenso die Faltenlinien, die von breiten
rohen Schatten in einer dunkleren Nuance der Localfarbe begleitet werden.
Einiges Interesse bietet die mitunter originelle Auffassung der heiligen Ge-
schichten: beim Abendmahl kniet Judas, ein winziges Figürchen, einsam
vor dem Tische, aus seinem Munde entfliegt der Teufel. Gegenüber ist
Christus, gleich den Jüngern, stehend, und unter ihm der hl. Johannes
schlafend dargestellt. Noch bemerkenswerther ist das Bild des Gekreuzigten,
neben welchem weibliche Gestalten mit aufgelösten Haaren und gekröntem
Haupte die verschiedenen Passionsinstrumente: Hammer, Dornenkrone,
Schwamm, den Speer u. s. w. tragen,1) endlich das Bild des Auferstandenen,
wo den schlafenden Wächtern gegenüber die symbolische Darstellung des
Löwen erscheint, der seinen todtgeborenen Welf durch Anblasen nach drei
Tagen zum Leben weckt.2) Zahlreiche Miniaturen verwandten Stiles und
Inhaltes finden sich in dem Manuscripte No. I. 4/7.

Einen entschiedenen Fortschritt dagegen zeigen die neutestamentarischen
Bilder in dem Codex I 6/6. Die Zeichnung, zwar noch immer schwarz und
schwer, verräth ein Streben nach besseren Verhältnissen und einer edlen
oft grossartigen Drapirung der Gestalten. Auch der Auftrag der Farben
ist fleissiger, die Modellirung weicher, und wenn auch die Schilderung
dramatischer Vorgänge in der Regel eine gebundene, fast kindliche ist, so
gelang umso besser die Darstellung ruhiger Situationen, unter denen das
Bild der Verkündigung sich durch wirkliche Schönheit auszeichnet. Für
den gleichzeitigen Stand der Kalligraphie bietet der Codex No. I. 1/17 mit
seinen ausschliesslich ornamentalen Initialen eine Auswahl virtuos gezeich-
neter Belege dar.

Dass sich diese prunkhafte und fleissige, aber dabei doch geistlose
Weise keineswegs auf die Erzeugnisse der abgelegenen Schule von Engel-
berg beschränkte, beweisen zwei andere in der Stiftsbibliothek von S. Gallen
befindliche Handschriften: das Breviarium No. 402, wo erst auf jeder Blatt-
seite zwei Medaillons mit Monatsdarstellungen und sodann in 14 Bildern
die Geschichten des neuen Testamentes erscheinen, und das bilderreiche
Evangeliarium No. 368. Sie sind, wie das Graduale No. 600 zu Ein-
siedeln (vom Jahre 1494) mit seinen grossen figurirten Initialen, ohne
höheren Werth, Zeugnisse entweder der Verarmung, oder des handwerk-

1) Eine ähnliche Darstellung wiederholt sich in dem Codex I. 4/8, doch trägt
liier nur die eine der Frauen, diejenige, welche Christus den Schwamm emporreicht,
eine Krone auf dem Haupte.

2) Note 1 Seite 551 oben.
 
Annotationen