47§
Litteraturbericht.
Bedeutung, wozu noch kommt, dass, Dank der umsichtigen Leitung, das ganze
System der ursprünglichen Gliederung nachgewiesen werden konnte. Selbst
die Trageglieder entbehrten der farbigen Ausstattung nicht; die Säulenschäfte
waren mit einem tiefrothen Anstriche versehen, die Capitäle mit gelb in Gelb
gemalten Blattornamenten geschmückt. So wird es erklärlich, warum sich
die Steinmetzen begnügten, diese Knäufe als glatte Trapezblöcke zu gestalten,
es war eben von Anfang an darauf abgesehen, den Mangel plastischen Zierathes
durch farbige Decorationen zu ersetzen. Zwischen den Archivolten füllen
Medaillons die dreieckigen Zwickel, sie enthalten die Halbfiguren von Propheten
(oder Bischöfen und Aebten?). Dann folgt ein bunter, dreifach in die Per-
spective gezogener Mäander. Er bildet die Basis einer Folge von Bildern, welche
auf blauem Grunde mit überlebensgrossen Figuren die acht Wunder des Hei-
landes darstellen. Ein zweiter Mäanderfries zieht sich unter den Fenstern hin,
zwischen denen die Hochwände mit den Golossalfiguren der Apostel geschmückt
sind. Ein dritter Mäander schliesst die Oberwände unter der Decke ab. Mit
derben schwarzbraunen Linien sind die Figuren herzhaft gezeichnet, die nackten
Theile fleischroth und mit graublauem Schalten etwas schwer modellirt. In
den G-ewändern fällt die ausgiebige Verwendung von Deckweiss auf, mit dem
die zwischen den Falten befindlichen Flächen schematisch specialisirt sind. Aus
genauer Untersuchung geht hervor, dass die Malereien al secco und zwar sofort
nach der Erbauung des Langhauses ausgeführt worden sind. Dass ursprünglich
auch der Chor bemalt war, zeigen die Spuren von Bildern, die an der Stirn-
wand des Triumphbogens zum Vorscheine gekommen sind. Leider schliesst
die dicke Oelfarbe, mit der ein »Bestaurator« die Wände anstreichen liess,
jede Möglichkeit einer erfolgreichen Nachforschung aus.
Auf die kunstgeschichtliche Stellung dieser Malereien übergehend, hebt
Verfasser hervor, dass die grossen historischen Wandbilder sowohl der Gegen-
stände willen, als auch hinsichtlich deren Behandlung und der hiebei verwen-
deten Typen auf altchristliche Wurzeln weisen. Es sind dieselben Vorwürfe,
mit denen sich die Kunst des 5—6. Jahrhunderts befasste und deren noch
ein Reichenauer Schriftsteller des 9. Jahrhunderts gedenkt. Die einzige Dar-
stellung, die auf altchristlichen Bildwerken fehlt, ist die Heilung des Aus-
sätzigen. Elfenbeine des 10. —11. Jahrhunderts sind die ersten Denkmäler,
auf denen sich dieselbe nachweissen lässt.
Auf denselben Zusammenhang mit altchristlichen Kunsttraditionen deutet
der Stil unserer Wandgemälde hin. Man weiss, dass die Mosaikkunst seit dem
6. Jahrhundert mehr und mehr dem Byzantinismus verfiel, während die Mi-
niaturmalerei bis zur Ottonenzeit von diesen Einflüssen unberührt geblieben
ist. Allein auch damals ist nur die Hofkunst eine byzantinisirende geworden,
neben welcher das Nachleben einer älteren Richtung, der altchristlich-karo-
lingischen, in zahlreichen Werken nachgewiesen werden kann. So ist es be-
zeichnend, wie auf den Reichenauer Bildern Christus noch durchwegs nach alt-
christlicher Auffassung mit dem bartlosen jugendlichen Antlitze erscheint. »In
der Kleidung — führt Verfasser aus — zeigt sich das allerentschiedendste
Fortleben altrömischer Traditionen, ohne irgend welches Anklingen byzan-
Litteraturbericht.
Bedeutung, wozu noch kommt, dass, Dank der umsichtigen Leitung, das ganze
System der ursprünglichen Gliederung nachgewiesen werden konnte. Selbst
die Trageglieder entbehrten der farbigen Ausstattung nicht; die Säulenschäfte
waren mit einem tiefrothen Anstriche versehen, die Capitäle mit gelb in Gelb
gemalten Blattornamenten geschmückt. So wird es erklärlich, warum sich
die Steinmetzen begnügten, diese Knäufe als glatte Trapezblöcke zu gestalten,
es war eben von Anfang an darauf abgesehen, den Mangel plastischen Zierathes
durch farbige Decorationen zu ersetzen. Zwischen den Archivolten füllen
Medaillons die dreieckigen Zwickel, sie enthalten die Halbfiguren von Propheten
(oder Bischöfen und Aebten?). Dann folgt ein bunter, dreifach in die Per-
spective gezogener Mäander. Er bildet die Basis einer Folge von Bildern, welche
auf blauem Grunde mit überlebensgrossen Figuren die acht Wunder des Hei-
landes darstellen. Ein zweiter Mäanderfries zieht sich unter den Fenstern hin,
zwischen denen die Hochwände mit den Golossalfiguren der Apostel geschmückt
sind. Ein dritter Mäander schliesst die Oberwände unter der Decke ab. Mit
derben schwarzbraunen Linien sind die Figuren herzhaft gezeichnet, die nackten
Theile fleischroth und mit graublauem Schalten etwas schwer modellirt. In
den G-ewändern fällt die ausgiebige Verwendung von Deckweiss auf, mit dem
die zwischen den Falten befindlichen Flächen schematisch specialisirt sind. Aus
genauer Untersuchung geht hervor, dass die Malereien al secco und zwar sofort
nach der Erbauung des Langhauses ausgeführt worden sind. Dass ursprünglich
auch der Chor bemalt war, zeigen die Spuren von Bildern, die an der Stirn-
wand des Triumphbogens zum Vorscheine gekommen sind. Leider schliesst
die dicke Oelfarbe, mit der ein »Bestaurator« die Wände anstreichen liess,
jede Möglichkeit einer erfolgreichen Nachforschung aus.
Auf die kunstgeschichtliche Stellung dieser Malereien übergehend, hebt
Verfasser hervor, dass die grossen historischen Wandbilder sowohl der Gegen-
stände willen, als auch hinsichtlich deren Behandlung und der hiebei verwen-
deten Typen auf altchristliche Wurzeln weisen. Es sind dieselben Vorwürfe,
mit denen sich die Kunst des 5—6. Jahrhunderts befasste und deren noch
ein Reichenauer Schriftsteller des 9. Jahrhunderts gedenkt. Die einzige Dar-
stellung, die auf altchristlichen Bildwerken fehlt, ist die Heilung des Aus-
sätzigen. Elfenbeine des 10. —11. Jahrhunderts sind die ersten Denkmäler,
auf denen sich dieselbe nachweissen lässt.
Auf denselben Zusammenhang mit altchristlichen Kunsttraditionen deutet
der Stil unserer Wandgemälde hin. Man weiss, dass die Mosaikkunst seit dem
6. Jahrhundert mehr und mehr dem Byzantinismus verfiel, während die Mi-
niaturmalerei bis zur Ottonenzeit von diesen Einflüssen unberührt geblieben
ist. Allein auch damals ist nur die Hofkunst eine byzantinisirende geworden,
neben welcher das Nachleben einer älteren Richtung, der altchristlich-karo-
lingischen, in zahlreichen Werken nachgewiesen werden kann. So ist es be-
zeichnend, wie auf den Reichenauer Bildern Christus noch durchwegs nach alt-
christlicher Auffassung mit dem bartlosen jugendlichen Antlitze erscheint. »In
der Kleidung — führt Verfasser aus — zeigt sich das allerentschiedendste
Fortleben altrömischer Traditionen, ohne irgend welches Anklingen byzan-