AuS Bächern von AlfonS Paquet.
zweifeln, in seine Aüge alles zu legen. Alle Begei-
sterung und alle Aerknirschung, deren die nackte Seele
des von Schuld geängsteten Menschen, alle Salbung,
deren die verhangene Seele des Pfasfen fähig ist . . .
Jch hvre das stille, ewige Getösc der Welt um diesen
Namen von gewaltigen Dimensivnen, ILLV8; die
Besitzergreifung der Atmvsphäre durch seine immer
neue, tausendfältige Erscheinung; das ärgerliche Sich-
wehren der Welt; das Erstaunen der Widerspenstigen;
das zornige Donnerwetter des alten Olymp; das trium-
phierende Dahinziehn des Lammes mit der blauen
Kreuzesfahne durch ein hohes Licht; die hochzeitliche,
mit mystischen Wonnen ersehnte Ankunft deS Bräuti-
gams; alle Wunder des Heilands als einen Kranz von
holden Ereignisscn, einem solchen Wesen angemessen,
das die Scharen nach sich zieht als ein Sohn und Ab-
gesandter Gyttes. Ach, daß nicht alles, was Odcm hat,
sein Leben in der Aeit verbringen konnte, da er lebte
und an dem Ort, wo er umherging, um ihn, die größte
aller Sehenswürdigkeiten, zu sehn! Sei es auch wie
Thomas, der eher fähig war, den Verweis des geliebten
Meisters zu ertragen als die Unseligkeit des Nicht-
glaubenkönnens, bis er mit scheuer Keckheit zwei Finger
tief in die Speerwunde hineinsenkte. Riesengroß sehe
ich Jhn hier emporgestiegen, das holde Gespenst der
Landschaft, die von ihrem Glanz nichts bewahrt hat
als den See. Jn blauen, leichten Umrissen steht die
Gestalt wie ein Gewölk in der Klarheit des Tages.
Staublos funkelnd wie ein Edelstein liegt die Fläche
hier an der niedersten Stelle der Erde zu seinen Füßen;
sein Haupt ragt in den dritten Hinimel, sein Wesen ist
unermeßlich wie die Gesamtheit der Sterne. Wie
rührend ist diese arme Landschaft hier in ihrer vertrock-
neten heißen Ausgestorbenheit und Stille, in ihrer Be-
grenzung durch das rötlich glühende Nund der See-
gebirge. Vielleicht hat ihr Verdorren einst als ein kos-
niisches Ereignis sich angekündigt mit wiederholten
Jahren übergroßer Hitze und schlechter Ernten, mit
Unruhe, Umherziehen und Ausammenstößen der Men-
schen, in einem allgemeinen drückenden Vorgefühl
schwerer Kriegszeit und einem Durst nach Erlösung vom
Naturgesetz. Diese Mulde hier ist nur das Abbild der
ganzen Erde, und das Schicksal der hier vergangenen
Menschcn ist das Schicksal aller. Jn einen bitteren Becher
aus schlechtem gebranntem Ton verwandelt sich zu-
weilen die reiche stsracht dieser Welt, und doch ist von
den Wassern seines Lebens der Trunk daraus so süß
und rein wie das Wasser, das aus dcm See Gcnezarcth
geschöpft wird.
Es wird Abendzeit. Die ersten Windstöße fahren
von den Höhen herab und heben aus meinem bis zum
Rand gefüllten Glas das Wasser in silbernen Kügelchen,
die glänzend umher über den Boden stürzen. Barken,
von der Stadt gesandt, nähern sich mit schräg geneigten
Segeln. Jch steige ein, das Boot entgleitet und hält
sich immer nah am Ufer. Auf der Landstraße am Wasser
zieht eine Schar von bestaubten, bunt gekleideten Land-
leuten mit ihren beladenen Tieren. Auf einem weichen
Bodenrücken über ihnen lagert wie ein lichtes, ziehendes
Strichgewölk eine Gruppe von Gräbern, die durch einen
schneeweißen und himmelblauen Kalkguß gefärbt sind.
Sie alle sind quer zum Rand des Sees nach Süden
gerichtet wie nach einem geheimen Kompaß, die Häupter
nach Jerusalem! Eine Herde schwarzer Aiegen weidet
zwischen diesem hellen Steingewölk dort oben in den
dürren Halmen.
Am Abend geh ich in der dumpfen, warmen Stadt
umher. Den Sturm crwartend, sitzen die Menschen
in ihren faltigen Nachtkleidern an den kaum beleuch-
teten Gassen. Friedliches, heiseres Rufen der Stimmen;
Schlürfen weich bekleideter Füße auf den Steinen;
zitternder, gepreßter Metallklang der Singmaschine;
laue Gespräche vor dem kleinen Kaffeehaus; hoch über
den engen, hohlen Menschenwohnungen die Sterne!
Alles geht spät schlafen. Nach Mitternacht braust es
plötzlich von den Höhen hernieder und wird zum Orkan.
Er heult in den Höfen, rüttelt an den festverschlossenen
Fenstern und bewegt den See zu breiten Flutgeräuschen.
Aber als der Morgen aufgeht, liegen Stadt und See
in kühler, goldener Ruhe. Mitten über dem blitzenden
und sprühenden Wasser steh ich auf dem Schisf und seh
einen im Wind vom Ufer fortgetriebenen Schmetterling
in die Wellen sinken. Jch trage von geliebter Hand
einen Brief bei mir, den nehme ich hervor und zerreiße
ihn in kleine Stücke. Er entflattert meiner Hand wie ein
Opferflug von Tauben, wirbelt im Wind hoch hinaus
und senkt sich weit verstreut auf die gleißende Mche
nieder.
Worte der Engel*).
Gabriel: Es ist die Nacht des Sterns, dessen wir
ewig gedenken. Es war uns aufgegeben, denen, die
wir draußen fanden, den Gruß zu sagen, den lieblichsten
für das Ohr der Menschen: Friede auf Erden! Wir
sagten ihn den wandernden Königen und den Hirten;
ihr Herz erklang vor Freude. Die Erde aber ging taub
ihren Weg. Was ist aus dem Gottessohn geworden?
Seht, die Nacht ist wieder hoch gewölbt mit ihren Sternen,
auf den Feldern draußen lagern Scharen von Menschen
wie Hirten mit ihren Herden, und Könige sind auf der
Wanderschaft. Was bedeuten die Donner und die Feuer
in ihrer Mitte?
Michael: O, daß ein Moses wieder vom Berg hin-
unterfliege und die Tafeln an den Felsen zerschmetterte
vor diesem Anblick! Jn Haufen stehen die Völker gegen
einander in unsäglichem Aerwürfnis und versprechen
cin jeder sich selber den Tod des andern zur Festesfreude.
Gott hat den Menschen sein Reich gcweissagt durch den
Mund der Gesetzgeber und der Propheten, er legte den
Grund leise und unsichtbar. Jhm entgegen aber stiegen
aus dem verschlossenen Meer der Menschengedanken
immer aufs neue die sichtbaren Reiche wie Tiere aus
dem Wasser; sie sprangen empor und kämpfen mit-
cinander und tauchen dann in das Nichts zurück, plötzlich
sind sie mit allem ihrem Raube nicht mehr da.
Ariel: Jn den Tagen des Friedens standen unter
dcn blühenden Obstbäumen nebeneinander der eine,
der das Feld pflügte und die Reben beschnitt, und der
andere, der in seinem Herzen nachsann, wie er alles
bis auf den Grund vernichte. Das Geheimnis des
*) AuS „D«r Kaiscrg 'danke". Derlag Nütten L Locning,
Frankfurt a. M.
zweifeln, in seine Aüge alles zu legen. Alle Begei-
sterung und alle Aerknirschung, deren die nackte Seele
des von Schuld geängsteten Menschen, alle Salbung,
deren die verhangene Seele des Pfasfen fähig ist . . .
Jch hvre das stille, ewige Getösc der Welt um diesen
Namen von gewaltigen Dimensivnen, ILLV8; die
Besitzergreifung der Atmvsphäre durch seine immer
neue, tausendfältige Erscheinung; das ärgerliche Sich-
wehren der Welt; das Erstaunen der Widerspenstigen;
das zornige Donnerwetter des alten Olymp; das trium-
phierende Dahinziehn des Lammes mit der blauen
Kreuzesfahne durch ein hohes Licht; die hochzeitliche,
mit mystischen Wonnen ersehnte Ankunft deS Bräuti-
gams; alle Wunder des Heilands als einen Kranz von
holden Ereignisscn, einem solchen Wesen angemessen,
das die Scharen nach sich zieht als ein Sohn und Ab-
gesandter Gyttes. Ach, daß nicht alles, was Odcm hat,
sein Leben in der Aeit verbringen konnte, da er lebte
und an dem Ort, wo er umherging, um ihn, die größte
aller Sehenswürdigkeiten, zu sehn! Sei es auch wie
Thomas, der eher fähig war, den Verweis des geliebten
Meisters zu ertragen als die Unseligkeit des Nicht-
glaubenkönnens, bis er mit scheuer Keckheit zwei Finger
tief in die Speerwunde hineinsenkte. Riesengroß sehe
ich Jhn hier emporgestiegen, das holde Gespenst der
Landschaft, die von ihrem Glanz nichts bewahrt hat
als den See. Jn blauen, leichten Umrissen steht die
Gestalt wie ein Gewölk in der Klarheit des Tages.
Staublos funkelnd wie ein Edelstein liegt die Fläche
hier an der niedersten Stelle der Erde zu seinen Füßen;
sein Haupt ragt in den dritten Hinimel, sein Wesen ist
unermeßlich wie die Gesamtheit der Sterne. Wie
rührend ist diese arme Landschaft hier in ihrer vertrock-
neten heißen Ausgestorbenheit und Stille, in ihrer Be-
grenzung durch das rötlich glühende Nund der See-
gebirge. Vielleicht hat ihr Verdorren einst als ein kos-
niisches Ereignis sich angekündigt mit wiederholten
Jahren übergroßer Hitze und schlechter Ernten, mit
Unruhe, Umherziehen und Ausammenstößen der Men-
schen, in einem allgemeinen drückenden Vorgefühl
schwerer Kriegszeit und einem Durst nach Erlösung vom
Naturgesetz. Diese Mulde hier ist nur das Abbild der
ganzen Erde, und das Schicksal der hier vergangenen
Menschcn ist das Schicksal aller. Jn einen bitteren Becher
aus schlechtem gebranntem Ton verwandelt sich zu-
weilen die reiche stsracht dieser Welt, und doch ist von
den Wassern seines Lebens der Trunk daraus so süß
und rein wie das Wasser, das aus dcm See Gcnezarcth
geschöpft wird.
Es wird Abendzeit. Die ersten Windstöße fahren
von den Höhen herab und heben aus meinem bis zum
Rand gefüllten Glas das Wasser in silbernen Kügelchen,
die glänzend umher über den Boden stürzen. Barken,
von der Stadt gesandt, nähern sich mit schräg geneigten
Segeln. Jch steige ein, das Boot entgleitet und hält
sich immer nah am Ufer. Auf der Landstraße am Wasser
zieht eine Schar von bestaubten, bunt gekleideten Land-
leuten mit ihren beladenen Tieren. Auf einem weichen
Bodenrücken über ihnen lagert wie ein lichtes, ziehendes
Strichgewölk eine Gruppe von Gräbern, die durch einen
schneeweißen und himmelblauen Kalkguß gefärbt sind.
Sie alle sind quer zum Rand des Sees nach Süden
gerichtet wie nach einem geheimen Kompaß, die Häupter
nach Jerusalem! Eine Herde schwarzer Aiegen weidet
zwischen diesem hellen Steingewölk dort oben in den
dürren Halmen.
Am Abend geh ich in der dumpfen, warmen Stadt
umher. Den Sturm crwartend, sitzen die Menschen
in ihren faltigen Nachtkleidern an den kaum beleuch-
teten Gassen. Friedliches, heiseres Rufen der Stimmen;
Schlürfen weich bekleideter Füße auf den Steinen;
zitternder, gepreßter Metallklang der Singmaschine;
laue Gespräche vor dem kleinen Kaffeehaus; hoch über
den engen, hohlen Menschenwohnungen die Sterne!
Alles geht spät schlafen. Nach Mitternacht braust es
plötzlich von den Höhen hernieder und wird zum Orkan.
Er heult in den Höfen, rüttelt an den festverschlossenen
Fenstern und bewegt den See zu breiten Flutgeräuschen.
Aber als der Morgen aufgeht, liegen Stadt und See
in kühler, goldener Ruhe. Mitten über dem blitzenden
und sprühenden Wasser steh ich auf dem Schisf und seh
einen im Wind vom Ufer fortgetriebenen Schmetterling
in die Wellen sinken. Jch trage von geliebter Hand
einen Brief bei mir, den nehme ich hervor und zerreiße
ihn in kleine Stücke. Er entflattert meiner Hand wie ein
Opferflug von Tauben, wirbelt im Wind hoch hinaus
und senkt sich weit verstreut auf die gleißende Mche
nieder.
Worte der Engel*).
Gabriel: Es ist die Nacht des Sterns, dessen wir
ewig gedenken. Es war uns aufgegeben, denen, die
wir draußen fanden, den Gruß zu sagen, den lieblichsten
für das Ohr der Menschen: Friede auf Erden! Wir
sagten ihn den wandernden Königen und den Hirten;
ihr Herz erklang vor Freude. Die Erde aber ging taub
ihren Weg. Was ist aus dem Gottessohn geworden?
Seht, die Nacht ist wieder hoch gewölbt mit ihren Sternen,
auf den Feldern draußen lagern Scharen von Menschen
wie Hirten mit ihren Herden, und Könige sind auf der
Wanderschaft. Was bedeuten die Donner und die Feuer
in ihrer Mitte?
Michael: O, daß ein Moses wieder vom Berg hin-
unterfliege und die Tafeln an den Felsen zerschmetterte
vor diesem Anblick! Jn Haufen stehen die Völker gegen
einander in unsäglichem Aerwürfnis und versprechen
cin jeder sich selber den Tod des andern zur Festesfreude.
Gott hat den Menschen sein Reich gcweissagt durch den
Mund der Gesetzgeber und der Propheten, er legte den
Grund leise und unsichtbar. Jhm entgegen aber stiegen
aus dem verschlossenen Meer der Menschengedanken
immer aufs neue die sichtbaren Reiche wie Tiere aus
dem Wasser; sie sprangen empor und kämpfen mit-
cinander und tauchen dann in das Nichts zurück, plötzlich
sind sie mit allem ihrem Raube nicht mehr da.
Ariel: Jn den Tagen des Friedens standen unter
dcn blühenden Obstbäumen nebeneinander der eine,
der das Feld pflügte und die Reben beschnitt, und der
andere, der in seinem Herzen nachsann, wie er alles
bis auf den Grund vernichte. Das Geheimnis des
*) AuS „D«r Kaiscrg 'danke". Derlag Nütten L Locning,
Frankfurt a. M.