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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 3/4
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Hoeber, Fritz: Ein neues Ledermuseum in Offenbach am Main
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0073

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Cin neues Ledermuseum in Offenbach am Main

stickten Perlenbeutel in einer nirgendwo anders gcsehenen
Aahl und Schönheit. Hier wird weiterhin noch eine orts-
geschichtliche Sonderabteilung der Offenbacher Fein-
lederverarbeitung einzufügen sein, zu der die vielen,
auf eine mehr als hundertsahrige Bergangenheit zurück-
blickenden einheimischen Geschäfte und Fabrikcn ein
reiches, in jeder Hinsicht merkwürdiges Material bei-
steuern können.

Und geradeso wie das Portefeuille-Handwerk bean-
spruchen auch die Buchbinder ihre besondere mono-
graphische Berücksichtigung in diesem Ledermuseum. Jst
doch die Mehrzahl der ältesten tind vor allem auch der
schönsten Bucheinbände aus Leder angefertigt, wovon
die reiche Leihgabe prachtiger Ledereinbände, die die
Offenbacher Samnrlr>ng zurzeit von dem Gewerbemuseum
inDarmstadt erhalten hat, Aeugnis ablegt. Gerade
an den Bucheinbänden wird sich besonders lehrreich
der technische Vorgang und die geschichtliche Entwicklung
der Feinlederbearbeitung — etwa in Entwürfen, vorbe-
reiteten, halbfertigen und vollendeten Stücken — zeigen
lassen, wie Lederschnitt und Blinddruck, das Leder-
punzen, die Jntarsia, die Handvergoldung, die Brenn-
und Atztechnik usw., jedesmal indem auch die betreffenden
Werkzeuge selbst noch den eigentlichen Arbeitsverlauf
vorführen.

Diese somit gegenständlich nach einzelnen Erzeugnis-
gattungen geordncte Abteilung hat ihre Ergänzung
in einer reich versehenen kunstgewerblichen Abteilung
zu finden, die einen nach Zeiten, Völkern und Ländern
geordneten Überblick über die vielfache kunst- und kultur-
geschichtliche Bedeutung des Leders gibt. Jn ihr wird die
Form und die Formentwicklung an erster, museums-
technisch maßgebender Stelle stehen müssen.

Bereits in den homerischen Epen spielen kunst-
voll verzierte Schutzwaffen aus Leder, >vie Panzer,
Helme, große Schilde, eine wesentliche Rolle. Und
ebenso zeigen uns die ethnographischen Samm-
lungen den häufigen Gebrauch gegerbter und dann
mannigfach mit bunten Federn, Muscheln, Korallen,
Bastflechten geschmückter Tierhäute der Naturvölker
Afrikas und Amerikas, Australicns und Polynesiens:
in ihrer so charaktervollen Primitivität können gerade
diese Arbeiten dem heutigen Kunstgewerbe eine Fülle
von Anregung gewähren. Jn einem andern Sinn,

Schwarze Kassette iu handvergoldetem Lederschuitt
mit Eisenbeschlägeu.

Deutsches Barock. Aufang 18. Jahrh.

im Sinn der spezifisch europäischen rnaments-
entwicklung, sind die Lederarbeiten des Mittelalters
und der Renaissance wichtig mit ihren gctriebencn und
geschnittenen Akanthus- und Dornblattrankcn, von
denen der Stamm der jungen Offenbacher Sammlung
schon höchst reizvolle Beispiele in Truhen und Kassetten,
Futteralen und Buchdecken aller Art aufweist. Das
Barock und Rokoko hat — wie seine gesamte Kunst-
produktion — auch seine Ledererzeugnisse ins Uppige,
Reiche, Grandiose gesteigert, wovon Schabracken und
Sättel, mächtige Albumdecken und ganze Ledermöbel
beredtes Ieugnis ablegen. Die Lebenshaltung ver-
feinert sich, bereichcrt sich ins Vielfältige: lederne Näh-
und Schreibnecessaires, Brieftaschen mit Emaille-
medaillons, Besteckkasten, elegant gearbeitete Reisc-
koffer leilen zum Empire, zum industriellen 19. Jahr-
hundert über.

Dieser stilstrengen Entwicklungsreihe der hohen
Kunst steht dann eine volkstümliche Aierweise der Leder-
verarbcitung zur Seite: man braucht nur die köstlichen
Schätze islamischer, türkischer oder der auf dem Balkan
heute noch geübten Lederpunzarbeit zu nennen, die
ungarischen, russisch-polnischen, spanischen und skandi-
navischen Handwerker zu erwähnen, um den hier noch zu
schöpfenden Reichtum nur im großcn und ganzen zu
umschreiben. Auch die deutsche Bauernkunst käme
in dieser volkstümlichen Abteilung zu Wort: man dcnke
an die prächtigen Ledergurte, Hosentrager, kunstvoll
verzierten Schuhe und Kappen, wie sie in Bayern und
Hessen, den Vierlanden, dem Spreewald und sonst noch
vielfach in unserm deutschen Vaterland als crerbter
Bestand urtümlicher Bauerntrachten heute noch fort-
bestehen; man denke an diese aus schwarz oder rot ge-
färbtem Leder gefertigten Schmuckstücke, die dann aufs
feinste mit Glasperlen oder Pfauenfeder-Kielen bestickt
erscheinen.

Jm Sinne des Fachmuseums wird diese große Uber-
sicht aus dcn Gebieten der Kunstgeschichte und der
Völkerkunde natürlich lehrhaft angeordnet sein müssen,
damit sie den Absichten des Fachmanns soweit als nur
irgend möglich cntgegenkommt, damit sie gerade auf
ihn anregend, instruktiv wirkt, ein schöpferisches Verhält-
nis zwischen Vergangenheit und Gegenwart wie zwischen
Nah und Fern knüpfend. Aur Seite wird ihr dann

Lederkassette mit reicher getriebener Tier- und Pflanzen-'
ornamentik nnd eisernen Beschlägen.

Deutsches Barock. 17. Jahrh.
 
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