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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 3/4
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0097

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Obgleich noch jung, rang er schon etliche Zeit glühend; er hatte
bereits ziemlich viel Unbrauchbares geschaffcn, d. h. Verse ver-
faßt, die ihm mangelhaft schienen. Verleger brauchten nicht zu
fürchten, daß er ihnen Manuskripte zur Begutachtung einsrnde.
Lr dachte bis dahin zum Glück an Druck nur schwach. Für den
Buchhandel kam er schwerlich schon in Frage, das sah er eifrig cin.
Er war mshr hingebend und sehnend als berühmt, u»d mehr an-
gehend als anerkannt und abgetan.

Jeht zog er sein Taschen- oder Tagebuch aus der Rocktaschc
hervor; ein passendcr Blcistift war bereits gespitzt, und so konnte
er ansetzen und mit Tonsatz jeden Augenblick beginnen. Cr tat's.
Bissiger Wind pfiff ihm durch den dünnen Anzug, der cine Arr
schwarzer Ballanzug war. Dcr Tanz ging los.

Herrlrch war er von Liebe zur Sache, von Tapferkcit und
Künstlerernst und von Lachlust durchdrungen. Weil er so geduldig
dastand, lachte er nümlich laut über sich sclbst und rief aus: „Wic
bin ich spaßhaft, daß ich hicr friere rrnd auf dic Ratur lausche."

Zu lauschen gab es nicht sonderlich viel. AllcS rings verhiclt
sich tonkarg, d. h. schweigsam. Hin und wieder schrie nur etwa
ein Raubvogel oder ein Fuchs. Wahrscheinlich würdcn Wenige
arm dastehen und aushaltcn, was er aushiclt, der mit halberfrorenen
Fingern Verskrmst trieb.

Wenn ich sage, daß er lachte, so bcruht das auf Wahrhcit, und
wenn ich handkehrum sagc, daß er dabei dennoch ticfernst war, so
trifft das nicht weniger zu. Er stehe in offcner Welt, die von
harten Gefetzen voll sei, wie in einem Tempcl voll Ahnung und
Erhebung, dachte er und hauchte mehrmals in die Hand, die vor
lautcrKülte rot und blarr zugleich war. Che er vorr zuHause wcglicf,
hatte cr sich tüchtig dic Glieder gerieben, was er rcgelmäßig und
gerne tat, da es wie Religionsübung in Jndien aussah. Jndicn
war ja göttlich schöu, und Rcligion war groß und süß, eine wie dic
andere, jede auf ihre Art.

Cs freute ihn, daß cr hier im Schwercn wie in einern gcistigcn
Feuer stand. Der Gedanke, daß alles Schöne schwierig sei, flößtc
ihm Trost cin. Ein Blatt zittcrtc im Wind, als schlottere cs. Cr
nahm es in sein Gedicht auf; ebenso cinen Barim, ebenso cin
Häufchen Schnee, das in cinem Grabcn lag, ebcnso sich sclbst,
der auch im Froste zitterte und eines Tages im Grabe oder am
Bodcn lag wie das Blatt und das Häufchen Schnee.

Ein Stück Wald sah kahl, doch warm und gut genug aus.
Rundumher lagcn Berge, und irgendwo in der Gasse, vor der
Türe odsr an einer Hecke stand ein armer Mann. Dem Schweren
entwich nicmand; überall mußtcn ihm die Menschen standhalten,
so gut cs ging. Doch war's ja schön so.

In der Niedrigkeit lag Höhe, in der Angstlichteit Mut, in der
Barschheit Güte, in der Armut fröhliche Beweglichkeit, Frcihcit
und Freude.

Kälte gab Glut. Wer nie in Unsicherheit war, nic um ctwas
litt, nie um Liebes zitterte, wußte wcnig von Glück, und wer
jedcsmal siegte, wem das Billige immcr spiclend gelang, war
noch nie der wahrc Sicger.

Damit er sich Wärmc vcrschaffe, sprang er am Abhang hin
und her, was ein wenig närrisch aussah. Unten lag die graue Stadt.
„Weint jcmand?" fragte er ernst. Es war ihm, als kehre jcmand
das Gesicht ab, um die Tränen zrr verbergen. Jn der Luft war ein
leises Schneien. Cr nahm nun auch das Gesicht, nebst den Berg-
spitzen, sowie das Abhärmcn in der Welt ins Gedicht auf, wovon
er hoffte, daß es sich eigne, von Kennern ernst genommen zu werden
und liebcn Menschen eine kleine Freude zu rnachcn.

Nicmand störte ihn, da die meisten Lcute licber zu Hause
in dcr warmen Stube saßen als irn Frierlichen und Fröstlichen
spazicren gingen.

Endlich war cr fertig und gab dcin Gedicht den Titel „Laud-
schäftchen". Iu Hause würde cr es ins Reine schreiben, um cs
vicllcicht bald darauf an cine Frau abzusenden, die an der bc-
scheidencn Gabe Gefallcn fände.

Da es zu nächtigen begonncn hattc, ging cr heim. Außerlich
war er wic sonst und niemand merkte ihm an, wie froh er war.

2.

Die Straße.

Ich hattc Schritte gctan, die sich als nutzlos crwicscn, und ging
nun auf die Straße, erregt, betäubt. Zuerst war ich wie blind
und meinte, kciner sehe mehr den andern, alle seien erblindet,
und das Lebcn stocke, weil alles wirr umhertaste. Angespanntc
Nerven ließen mich die Dinge besondcrs scharf cmpfinden. Kalt
stiegen die Fassaden vor mir auf. Köpfe, Klcider kamen hastig
daher und verschwanden wie Spukgestalten.

Cin Zittern durchlicf mich; kaum wagte ich vorwärtszugehcn.
Eirr Eindruck nach dem andern packte mich an. Ich und allcs
schwankte. Alle, die hicr gingcn, hattcn cincu Plan, cine Absickt
Socben hatte auch ich ctwas beabsichtigt, doch jetzt war ich planlos;
forschte abcr und hoffte ctwas zu findcn.

Jm Gcwühlc wimnrcltc es von Cnergic. Ieder war im Geistc
der Vorderste. Männcr, Fraucn schwcbtcn vorbci. Alle schicncn
nach ein und dcmsclben Zicl zu streben. Woher kamcn, und wohin
gingen sie?

Einer war dics, der anderc das, der dritte nichts. Viele
wurden getricbcn, lebten ohnc Zweck, ließcn sich da- und dorthin
wersen. Sinn fürs Gute blieb ungenutzt; Jntclligcnz grisf in cin
Leercs; manche schönc Kraft fruchtete wcnig.

Abend war's; die Straße glich eincm Phänomcn. Tauscnde
gingen hier täglich. Sonstwo gab es kcincn Plah. Frühmorgcns
waren sie frisch; nächtlings müde. Sie erreichtcn vielmals nicht, was
sie erringcn wolltcn. Tätigkeitcn rollten cinc über die andcre,
und dic Tüchtigkeit ricb sich oft vcrgcblich auf.

Wie ich so ging, traf mich der Blick eincs Herrschaftslutschers.
Da sprang ich auf eincn Ornnibus, fuhr cinc Strccke wcit, sprang
dann ab, trat in cin Rcstaurant, aß etwas und ging wicder hinaus.

Glcickmäßig licf und floß es. Jn allcm war cin Dunst, ein
Hoffcn, Mcnschcnkcnntnis vcrstand sich von scltst. Icdcr wußtc
vom andern im Nu zicmlich allcs, aber das Jnncnlcbcn blieb ein
Gehcrmnis. Secle erncuert sich fortwährcnd. Räder knarrtcn,
Stimmcn waren laut; dcnnoch war das Ganze seltsam still.

Ich wollte mit j>mand rcdcn, fand abcr keinc Zeit; wünschte
mir einen fcstcn Punkt, cntdecktc ihn nicht. Mittcn in unrmtcr-
brochencm Vorwärts hattc ich Lust, stillzustehen. Das Dicle und
Schuellc war zu viel und ging zu schncll. Alle cntzogcn sich allcn.
Es rnr.n wie cin Rinncndes, ging sort, als ob es zergche, kam wie ^
mcckanisch und entfcrntc sich ebcnso. Allcs war schemcnhast;
auch ich.

Mit einmal sah ich in all dcr Hast und Eile etwas unsäglich
Trägcs und sagte min „Dicse angehäufte Gesamtheit willnichts und
tut nichts. Sie sind ineinander verknäuclt, rühren sich nicht, sind
wie cingespcrrt, gckncbclt, übcrlassen sich dumpfer Gcwalt, sind
aber sellicr die Macht, die panzerähnlich auf ihncn licgt und Gcistcr
und Glicdcr umklammcrt."

Jm Vorübergehcn sprachcn die Augen einer Frau: „Komni
doch mit mir. Geh vom Strudel wcg, laß das Vielcrlci und wcile
bci der Cinen, die dick stark machcn wird. Wcnn du mit mir ziehst
und mir trcu bist, wirst du rcich scin. Jm Gctümmcl bist du arm."

Schon wollte ich dem Rufe gehorchcn, doch der Strom zog
mich fort, und ich ging im Unbcstimmten, Uncntschlossencn wcitcr.
Dic Straße war gar zu hinreißend.

Dann kam ich aufs Feld, wo alles still und sckwarz war. Ein
Eisenbahnziig mit roten Fcnstcrn sauste noch vorbci. Hier gingcn
nur einzclne Gcstaltcn. Von fern war das Gcwoge, das unauf-
börliche fcine Donnern des Verkehrs leise hörbar. Jch ging dcn
Tanncnwald cntlang und murmclte ein Gcdicht von Brcntano.

Durch die Rcste blinkte der Mond. Plötzlich bc mcrkte ich in
klciner Cntfcrnung cincn Menschcn, der stockstille stand und mir
aufzulaucrn schien.

Jch ging in großcrn Bogen um ihn herum, ihn bcständig im
Auge bchaltend, was ihn verdroß, denn er rief mir zu: „Was
sürchtcst du dich? Komm doch her und schau mich ordentlich an.
Jch bin nicht, was du glaubst."

Jch ging zu ihm hin. Cr war wie irgendcincr, sah nur sondcrbar
aus, weiter nichts. „Guten Abend", sagte ich und ging wicdcr sort,
d. h. dorthin, wo das Licht, wo die Straße war. f8b0j

duard Bendemannö Porträt seiner Gattir?).

Nach vielen Iahrzehnten fast völliger Vergessenheit hat sich
dic Kunst Cduard Bendemanns durch die kürzliche Ausstcllung des
Porträts seiner Gattin Lida, geb. Schadow, ncuc Freunde und
Bewunderer erworben. Das Bildnis entstand im Winter 1846/47
in Dresden zwischen den großen Arbeitcn an den Fresken im
dortigen Schloß, die den Künstler 17 Iahrc hindurch in ange-
strcngtesterWeisebeschäftigten. Diese fastausschließlicheBetätigung
in der Malerci großen Stils crklärt die strcnge, dekorativ-flächcii-
mäßigc Komposition, die idcalisiercnde Auffassung dcr Persönlich-
keit, die auffallend absticht gegcn den derben, nüchtcrncn Rcalismus

*) ve. Cduard v. Bendemann in Frankfurt a. M. hat bereitwillig
unsernWunsch erfüllt, cinigcs zu dcm imIanuar/Fcbruar-Heftc ver-
LffentlichtenBildnis seines Großvaters zu sagen. Die Redaktion.

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