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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 5/6
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Fries, Heinrich de: Gedanken zur Baukunst der Gegenwart
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Hoeber, Fritz: Das neue Bauhaus in Weimar
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0144

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Das neue Bauhaus in Weimar.

Ausdruck, wc> vvr zwanzig Jahren unzureichende Schwache
stand. Eine junge Kunst, eine junge Architektur, die in
der Kraft ihres Willens nicht danebenhaut, nicht zunachst
zuviel gibt, ist ihren Namen nicht wert und wird niemals
zur Reife gelangen.

Lassen wir uns nicht entmutigen durch die Resignativn
der Führer. Die Aeit ist bitter schwer für die Archi-
tektur. Grvße Aufgaben, besonders solche der Mvnu-
mentalitat, werden in naher Zukunft kaun> gestellt
werden können. Das Reich wird nach der furcbtbaren
Katastrvphe dieses Krieges allzu schwer arbeiten müssen,
uin an Aufgaben der Neprasentativn und der Mvnu-
mentalität irgendwie denken zu können. Vielleicht ist
aber gerade das gut für die Entwicklung der jungen
Baukunst. Es wird sie vor Dokumenten einer ivenig
reifen Periode bewahren, sie zwingen, sich in kleinen
Aufgaben zu betatigen und an ihnen das Maß ihres
Könnens und ihrer Liebe zu messen. Der Weg ist kaum
freudig und sicher nicht leicht. Wenn aber überhaupt
Werte stecken im Kunstwillen der jungen Generation,
dann wird sich hier erweisen, was wahr und echt ist.
Falsches, Ungerechtfertigtes muß nvtwendigerweise zu-
grunde gehen, wo nur zahester Wille zum Ausharren
und unverlöschliche Sehnsucht das Aiel nicht verlieren
kvnnen, daS die Beglückung des Stiles umschließt.

f859ss H. de Fries.

as neue Bauhaus in Weimar.

Unserer Aeit hat es bisher an architektvnischer
Gesinnung gemangelt: ini dvppelten Sinn, daß sie
nicht die Kraft zum Aufbau besaß, svndern nur zur Auf-
lösung in wissenschaftlicher wie künstlerischer Hinsicht
— Psychologie, Jmpressionismus — und daß ibr svdann
das ordnende Organ fehlte, mit deni sie die Beziehungen
der verschiedenen Künste untereinander regeln und in
klare Harmvnie bringen kvnnte. Schvn Advlf Hildebrand
klagt über den Verlust jenes tieferen Sinnes des Archi-
tekturbegriffs, den unsere Aeit erlitten: Architektur
will dieser klassische Plastiker als Bau eineS Fvrmganzen
aufgefaßt wissen, unabhangig vvn jeder Fvrmensprache.
Er meint, ein Drama, eine Symphvnie könne svlche
Architektur, solchen inneren Bau haben, falls es ein
vrganisches Ganze vvn Verhaltnissen sei, ebensv wie ein
Bild vder eine Statue, — wenn auch die verschiedenen
Künste in ganz verschiedenen Fvrmenwelten lebten.
Vvn diesem architektonischen Aentralbcgriff geht auch
daö Schulprvgranim aus, das der neue Leiter des
Weimarer Kunstunterrichtswesens, Walther Grvpius aus
Berlin, aufgestellt hat. Grvpius gehört zu der jüngeren
Gruppe vvn Werkbundkünstlern, die durch die raumlich
gebundenen und doch erfindungsreichen Fvrnien ihrer
großindustricllcn Bauten in der Aeit vvr dem Krieg Auf-
sehen erregten. Seine Schuhleistenfabrik Fagus in
Alfeld a. L. (1912) vereinte in origineller Weise die
breiten Glasflachen der Werkstattfenster mit hvrizvntal
gegliederten Bctvn- und Backsteinmauern. Sein Bureau-
hauS mit anschließender Maschinenhalle auf der Kvlner
Werkbundausstellung 1914 gab nicht nur phantasievolle
Monumentalitat, vermahlt mit sachlicher Aweckniäßigkeit,
svndern zvg auch in zukunftsverheißender Weise die

freien Künste des neuen Erpressivnismus, Malerei und
Bildnerei, in die architektonische Gesamtwirkung hinein.

Dieses neue Gesamtkunstwerk erscheint nun auch
als das hohe Aiel der Weimarer universalen Kunstschule,
zu der Gropius die alte Malerakadcmie Fritz Mackensens
und die Kunstgewerbeschule, die, dank der vielseitigen
Anregung Henry van de Veldes, zu sv vorbildlicher Blüte
gediehen war, zusammenfassen will: das gebaute HauS
und sein mannigfaltiger Schmuck, vvm untergevrdneten
Ornament bis zum gcistig den Raum beherrschenden
Mvnumentalfreskv und der mvnumentalen Skulptur
sclbst ist die wundervvll utvpische Aufgabe, an der die
ganze Schule in reich abgestufter Tatigkeit als schöpfe-
rische Gemeinschaft niitwirken svll. Das svll aber nicht
in langweiligen, vvm frischen Lufthauch der Neuzeit her-
metisch abgeschlvssenen Aeichensälen geschehen, svndern
in Werkstatten für jede der einzelnen Kunstübungen, wo
diesolidetechnischeGrundlagepraktisch durchgeprobtwird.

Künstler und Handwerker scheiden sich nun nicht mehr
nach den hochmütigen Standeskategorien des 19. Jahr-
hunderts, sondern sie bilden wieder jene zunftmäßige
Einheit, die uns verloren gegangen war, die aber heute
bereits die besten deutschen Baukünstler wieder ge-
bieterisch zurückverlangen. (Theodor Fischer: Für die
deutsche Baukunst, Flugschriften des Münchener Bundes,
II. Heft, Oktober 1917; Heinrich Tessenow: Handwerk
und Kleinstadt, Berlin 1919.)

Wie hier die Schulc nur die Dienerin der Werkstatt
ist, so ist auch das Verhältnis der Lehrenden und Lernen-
den kein akademisches, sondern ein rein zunftmäßiges:
der Meister an der Spitze jeder Werkstatt, ihm unter-
geordnet die Gesellen, darunter die Lehrlinge.

Es ivird natürlich schon in der Auswahl der unter-
richtenden Persönlichkeiten sehr darauf zu sehen sein,
daß alle Starrheit eines abstrakten Systems vermieden,
alles mit organischer Lebendigkeit durchtränkt wird. An
Stelle der Eraniina treten Meister- und Gesellenprvben;
die freien und die angewandten Künste verbinden sich
unter wechselseitigem Einfluß zu phantastisch gestellten
Monumentalaufgaben. Die Beziehungen zum außer-
künstlerischen Leben und Publikum sollen Ausstellungen,
Theateraufführungen, heitere Volksfeste herstellen usw.

Aber alle diese Manifestationen sind von einem
architektonischen Gewissen beherrscht, das die Logik des
schöpferischen Ausammenhangs überwacht. Die sich
selbst genügende Salonkunst des aus jeder Lebenseinheit
herausgelösten, inipressionistischen Rahmenbildes hat
hier keine Eristenzberechtigung. Jn dem Weimarer
Bauhaus, wie es Walther Gropius plant, gibt es keine
„Stars" der Malerei oder Bildhauerei mehr, die durch
selbstherrliche Effekte verblüsfen. Jede Stimme dieser
großen Partitur hat dem einen Kapellmeister zu ge-
hvrchen, und dieser Kapellmeister ist der Architekt, der
die Gesanitwirkung in optischer wie geistiger Hinsicht
organisiert, ihren Reichtuni ordnet und zur höchsten
Harmonie steigert.

Weiniar ist um diese moderne Organisation seines
Kunstunterrichts zu beneiden, deren Programm allein
schon vorbildlich wirkt. Es ist vor allem auch um seinen
jungen schaffensfreudigen Schulleiter zu beneiden, uni
dessen höchst vriginelle Persönlichkeit, dessen weitherzige
Gesinnung. K866) Fritz Hoeber.
 
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