Chriflian Rohlfs
s gibt Künstler, die in ihre Aeit hineinwachsen
müssen, die vielleicht den größten Teil ihres Lebens
Um- und Jrrwege gehen, bis sie endlich in später
Stunde das Aiel der Wanderung finden< Sie sind selten,
denn die meisten brechen am Wege znsammen nnd sehen
nicht einmal das Iiel ihres Lebens. Diese Künstler sind
ihrer Aeit voraus, ohne Wegbereiter zu soin. Jn ihnen
steckt ein unerkannter Formwille, der auf den Augenblick
wartet, in dem er sich auslösen kann. Es ist oft schwer,
zu entscheiden, ob diese Erfüllung auch eingetreten ware,
wenn nicht von anderer Seite der Schleier hinweggerissen
worden ware, der den Kern des eigenen Wesens ver-
hüllte. — Christian Rohlfs ist heute 70 Jahre alt. Er
hat mehrere Generationen künstlerischer Entwicklung
nicht nur gesehen, sondern selbst durchgemacht. Seine
reifsten und stärksten Werke aber schuf er erst, als er die
Sechziger bereits überschritten hatte. Es muß also etwas
in ihm gesteckt haben, das der Erweckung harrte. Rohlfs
war auf allen Stufen seiner Entwicklung eine durchaus
abgeschlossene originelle Pcrsönlichkeit, und mit Recht
machte bereits 1905 in dieser selben Aeitschrift Karl Ernst
Osthaus auf den nur von wenigen gekannten in aller
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Stille und Aurückgezogenheit unermüdlich Arbeitenden
aufmerksam, als auf cinen Künstler, der nicht nur nnt
seiner Zeit, sondern nmtig in ihrer ersten Reihe mar-
schierte. Freilich konnte Osthaus nicht wissen — wenn
er es auch vielleicht ahnte —, daß die Blütezeit von
Rohlfs noch bevorstand. Er hatte zwar schon angefangen,
sich loszulösen von seinen Ieitgenossen,undWege einge-
schlagen, dic in anderer Richtung gingen als die ihren.
Aber wcr hätte wagen wollen zu behaupten, daß sich
aus diesen Anfängen im Schatten einer nenen geistigen
Bcwegung Rohlfs'eigentliche Begabung erst richtig ent-
falten werde.
Jn dem langen Lebcn dieses Christian Rohlfs, der
am 22. Dezember 1849 als Sohn eines Bauern in dem
holsteinischen Dorfe Niendorf geboren wurde, war nicht
immer Sonnenschein. Die trüben Tage waren weit
zahlreicher als die heiteren. Aber wie schwer ihn Miß-
geschick und Not auch heimsuchten, am Ende wendete
es sich doch stets zum Guten. Wer weiß, ob Rohlfs
jemals den Weg zur Kunst gefunden hätte, wenn nicht
ein schweres, hartnäckiges Leiden, das schließlich nnt der
Amputation eines Beines endete, den fünfzehnjährigen
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s gibt Künstler, die in ihre Aeit hineinwachsen
müssen, die vielleicht den größten Teil ihres Lebens
Um- und Jrrwege gehen, bis sie endlich in später
Stunde das Aiel der Wanderung finden< Sie sind selten,
denn die meisten brechen am Wege znsammen nnd sehen
nicht einmal das Iiel ihres Lebens. Diese Künstler sind
ihrer Aeit voraus, ohne Wegbereiter zu soin. Jn ihnen
steckt ein unerkannter Formwille, der auf den Augenblick
wartet, in dem er sich auslösen kann. Es ist oft schwer,
zu entscheiden, ob diese Erfüllung auch eingetreten ware,
wenn nicht von anderer Seite der Schleier hinweggerissen
worden ware, der den Kern des eigenen Wesens ver-
hüllte. — Christian Rohlfs ist heute 70 Jahre alt. Er
hat mehrere Generationen künstlerischer Entwicklung
nicht nur gesehen, sondern selbst durchgemacht. Seine
reifsten und stärksten Werke aber schuf er erst, als er die
Sechziger bereits überschritten hatte. Es muß also etwas
in ihm gesteckt haben, das der Erweckung harrte. Rohlfs
war auf allen Stufen seiner Entwicklung eine durchaus
abgeschlossene originelle Pcrsönlichkeit, und mit Recht
machte bereits 1905 in dieser selben Aeitschrift Karl Ernst
Osthaus auf den nur von wenigen gekannten in aller
217
Stille und Aurückgezogenheit unermüdlich Arbeitenden
aufmerksam, als auf cinen Künstler, der nicht nur nnt
seiner Zeit, sondern nmtig in ihrer ersten Reihe mar-
schierte. Freilich konnte Osthaus nicht wissen — wenn
er es auch vielleicht ahnte —, daß die Blütezeit von
Rohlfs noch bevorstand. Er hatte zwar schon angefangen,
sich loszulösen von seinen Ieitgenossen,undWege einge-
schlagen, dic in anderer Richtung gingen als die ihren.
Aber wcr hätte wagen wollen zu behaupten, daß sich
aus diesen Anfängen im Schatten einer nenen geistigen
Bcwegung Rohlfs'eigentliche Begabung erst richtig ent-
falten werde.
Jn dem langen Lebcn dieses Christian Rohlfs, der
am 22. Dezember 1849 als Sohn eines Bauern in dem
holsteinischen Dorfe Niendorf geboren wurde, war nicht
immer Sonnenschein. Die trüben Tage waren weit
zahlreicher als die heiteren. Aber wie schwer ihn Miß-
geschick und Not auch heimsuchten, am Ende wendete
es sich doch stets zum Guten. Wer weiß, ob Rohlfs
jemals den Weg zur Kunst gefunden hätte, wenn nicht
ein schweres, hartnäckiges Leiden, das schließlich nnt der
Amputation eines Beines endete, den fünfzehnjährigen
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