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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 11/12
DOI Artikel:
Schürmeyer, Walter: Christian Rohlfs
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0237

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Christian Rohlfs.

Die Stadt Soest.

mus der Neoimpressionisten. Abcr die nüchterne Sach-
lichkeit dieser Technik bcfricdigte ihn nicht. Aus ihren
Lehren gewann er sich seinc cigene Anwendungs-
mcthode, die er mit van Goghs ncrviger Pinsclführung
zu verbinden verstand. Auch Munch kreuzte seinen Weg.
Mit erstaunlicher Elastizität gelang es ihm, alle diese
Pole zu streifen, ohne aus der eigenen Bahn geschleudert
zu werden. Und heute, an der Grenze des Alters, lebt
er neu auf mit den Jüngstcn. Die Lebhaftigkeit seines
Tenipcrancents duldet kein träges Hindamnccrn auf dem
Errungenen. Jn ihm wirkt eine uncrschöpfliche Energie,
die ihn rastlos vorwarts treibt. Aber seine Entwicklung
war nie sprunghaft. Sie ist folgerichtig und organisch
mit der Aeit gegangen. Naturgemaß mcißte sich bei
cinenc Künstler seines Alters die Loslösung vonc Jni-
pressioniömus zäher vollziehen als bei den jüngeren
Künstlern. Aber ist es nicht fast ein Wunder, daß er
trotz seines Alters nicht nur den Willen, sondern auch die
Kraft hat, im Geiste der neuen Kunst Schöpfungen
hervorzubringen, die sich ebenbürtig nnt den besten
Werken der Jüngsten messen können und die die Bekrö-
nung seines eigenen Schaffens darstellen?

Seit Rohlfs Bilder von Seurat sah, war es das
Problem der Farbe, das ihn am meisten beschäftigte.
Auerst natürlich als Mittel optische Eindrücke festzu-
halten. Aber immer eigenwilliger sprang cr mit ihr um.
Die Liebe zur Farbe bekommt etwas Fanatisches. Er
vergißt darüber alle anderen Elemente des Bildes.

Jst es nicht naheliegend, daß Rohlfs eines Tages Pinsel
und Palette aus der Hand legte und zu Nadel und Faden
griff? Die bunten Wollfäden hatten eine viel intensivere
Leuchtkraft alö die besten Farben und machten eine Ab-
schwachung und Verunreinigung durch Mischen un-
möglich. Als er dann aber doch wieder den Pinscl nahm,
arbeitete er mit ihni wie mit der Nadel, zog lange Striche
über die Leinwand und bevorzugte ungemischte Töne.

Dann kam die große Umwälzung in der Kunst, und
nun sah er von den Jüngeren, was er selbst nicht mehr
auszusprechen gewagt hatte, daß ein Bild nur aus einem
rhythmischen Spiel von Farben aufgebaut werden könne
und daß es ganz belanglos sein kann, an welcheni zeich-
nerischen Gerüst diesc Farben hängen. Das war nun
endlich die Erfüllung dessen, was keimhaft schon seit
Jahren sich in ihm geregt hatte, aber keinen Boden fand,
auf deni es gedeihen konnte. Malerei um der Farbe
willen. Vielleicht auch einmal als Träger einer im Bild-
objekt liegenden Stimmung. Aber nicht von ihm ab-
hangig, sondern frei, als selbst bild- und stimmung-
schaffender Faktor. Jn großen Flächen oder in breiten
die Ieichnung zerreißenden Pinselstrichen streicht er sie
hin. Wie ein Gewirr von vielen Fahnen flattert sie auf
der Leinwand. Manchmal, besonders wenn er Blumen
malt, bleibt auch von diesem Farbenspiel nicht mehr als
die Wirkung eines schönen Teppichs übrig. Er kommt
nicht über das Dekorative hinaus. Aber in anderen Bil-
dern hat sie eine suggestive Wirkung von unerhörter Aus-

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