Tcr aussätzigl' Wnld.
sagte den Bürgern Lebewohl. Er las weiter. Die Ge-
sichter unter ihm strafsten sich. Sie spannten sich in eine
atemlose Erregung. Einer hob die Hand. Alle hoben
die Hand. Ein Sturm von Handen hob an und warf
seinen Willen gegen die Brüstung, daß er bleibe. Und
die Gesichter entstarrten sich und flammten auf in Ek-
stase und sie schrien es. Sie tobten und stürmten vor.
Da hob Jehan beide Hände zum Hals, hakte sie ein
und riß nach beiden Seiten das Kleid auseinander und
stemmte ihrem Schreien seine nackte Brust entgegen.
Er breitete die Arme aus. Auf seiner Haut tanzten blaue
Flecken und ein rotes Geschwulst durchbrach die Brust.
Ein Iittern lang stand das Brausen gegen das
Ungeheure.
Die Arme sanken zurück. Das Schreien ward Geheul.
Männer rissen Weiber zurück von dem Aussatz. Sie
wichen. Wie unter Peitschenhieben verknirschte der Auf-
ruhr und duckte sich. Eins gab es nur: Flucht!
Einer wagte es noch, stieß die Faust in die Luft
und brüllte „Pilori".
Doch er blieb allein.
Als ginge ein Kreis von Jehan aus, der weiter wie
im Wasser werde, kam etwas von ihm her und preßte
die Menge vom Platz und warf sie in die Häuser und
Straßen. Iwei trugen Beautrir ohnmächtig.
Dann ward es still.
Kein Ton. —
Jehan lächelte: Wie in der Tonne.
Der Markt hatte zwei Ausgänge. Jehan schritt
nach dem einen. Es war ein Tor in einem Turm, der
oben geteilt ist wie in zwei Henkel, zwischen denen eine
große Glocke hängt. Jn seiner Mitte quoll ein Auswuchs
heraus, formlos gewölbt, wie ein Nabel. Das war die
Sonnenuhr. Jehan sah die Straße hinunter. Er sah
niemand. Darauf schritt er zurück über den Platz nach
der anderen Seite. Kein Auge stand an den Fenstern,
die ihn anklafften. Er trug den Aussatz auf seiner Brust
gerade wie ein Schild. — Hier lief eine dunkle Passage
durch kleine wüste Gassen.
Jehan Irug einen Turban aus Pelz. Seine Ärmel
waren eng und trugen an den Gelenken Krausen aus
Pelz. Eng schmiegte sich, nur vorn die Brust offcn
lassend, ein dunkelrotes Kostünr um seinen Oberkörper
und rann dann unter dem Gürtel (aus Krokodilshaut)
in einer breiten Glocke auseinander zu den Füßen, >vo
eine breite Pelzsäumung es aufhielt und ein Streifen
aus Gold. Grün waren seine Schuhe.
So schritt er in die dumpfschrägen Gassen cmd hoffte,
daß ihn einer erschlüge.
Doch es erschlug ihn keiner.
Sein Haus hatte eine breite Front. Jn den oberen
Teilen lagen große Fenster mit Säulen. Unten mitten
war eine hohe Tür. Sie stand auf den Tag und die
Nacht. Niemand kam. Jehan wartete.
Niemand kam.
Gegen Morgen gingen viele Türen aus und Reihen
von Menschen zogen mit Kerzen durch die Stadt und
zur Kirche.
Den ganzen Tag saß Jehan wieder auf seiner Otto-
mane. Das Iimmer war verschlossen. Beautrir klopfte
den Morgen nach jedem Glockenschlag. Sie rief weinend
Jehans Namen. Sie warf ihren Körper gegen die Tür
Sie fluchte auf den Provencalen, der die Pest auf ihn
geworfen hatte. Er hörte sie nicht. Die Tür knirschte
kaum.
Den folgenden Tag und die folgende Nacht stand
das Tor offen an Jehan Bodels Haus. Niemand kam.
Kaum ging jemand vorüber. Gegen Abend schaute
Jehan durch das Gitter. Beautrir lag vor die Tür ge-
streckt wie ein feincs helles Tier. Später zog ein Aug
fremder bretonischer Sänger durch die Stadt. Jhre
Roten und Viölen klangen unten.
Nach Mitternacht sagte eine baritonale St mme
aus dem Dunkel hervorklingend unter Jehans Iimmer
die Geschichte von Amis und Amile:
Sie waren Blutsbrüder, schön, ganz ähnlich und
liebten sich. Da verführte Amis die Tochter des Kaisers
und sollte ein Gottesgericht auskampfen, aber Amile
trat für ihn ein. Amile siegte und man erkannte ihn
nicht und gab ihm die Prinzessin als Frau. Allein weil
Amis Brunst heller war auf sie, ließ er sie ihm zum Ehe-
bett und ward aussätzig zur Strafe. Aber Amis tötete
seine beiden Söhne. Mit ihreni Blut gebadet ward
Amile gesund.-
Dann verlief sich die Stimme, die Nacht sog sie auf
und am Morgen bot ein Mönch zwei Knaben an zum
Verkauf.
Jehan lehnte ab.
An diesem Morgen bearbeitete Beautrir die Tür
mit einem Messer und schälte Span auf Span heraus.
Doch die Tür hatte eine Mittellage aus Eisen. Die
Klinge brach ab.
Da legte sie sich stumpf über die Schwelle.
Gegen Abend hieb sie ihre Fauste so lange gegen
die Tür, bis sie das Gefühl ihrer Hände verloren hatte.
Sie sah durch das Gitter Jehan dasitzen. Es schien, er
schaue auf seine Hände. Da biß sie in das Metall der
Klinke und sank blutend auf den Boden.
Auch die dritte Nacht kam. Weit stand die Tür auf
in Jehans Haus. Sie spreizte sich auf, so offen stand sie.
Niemand kam. Der Henker? Nein. Nacht. Die Nacht
war so still, daß das Dunkel brauste.
Wie. . .?
Stille, kein Ton kam durch die Straße.
Einmal stand er auf. Beautrir lag quer vor der
Tür, eine Rinne Blut über dem Kinn. Er sah es.
Allein ... Er saß auch diese Nacht auf der Ottomane
zwischen den Saulen.
Als die Dammerung kommen mußte, erhob er sich.
Er ging gerade auf die Tür und öffnete sie. Beautrir
war verschwunden. Es war die Ieit der ersten Messe.
Jehan rieb sich Gesicht und Hande mit askalonischen
Iwiebeln, die die erste Ansteckung verhinderten. Lang-
sam ging er darauf in das Iimmer von Beautrir. Er
roch an den weißen Blumen in der Nische . . . der Ka-
min . . . das Modell des großen Schiffes hatte er mit-
gebracht aus Dijon. Er empfand, wie der Papagei sich
regte, sah das geschnitzte Holz des Büfett mit derselben
Drehung und die Tafelung und die Teppiche aus
Palästina darüber. Er zündete Lichter an an der Wand,
und sie blitzten auf. Sie spiegelten flackernd in runden
Metallplaketten und bestäubten das Iimmer mit einer
dünnen Schicht Licht, in der er es mit einem Blick
noch einmal aufnahm.
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sagte den Bürgern Lebewohl. Er las weiter. Die Ge-
sichter unter ihm strafsten sich. Sie spannten sich in eine
atemlose Erregung. Einer hob die Hand. Alle hoben
die Hand. Ein Sturm von Handen hob an und warf
seinen Willen gegen die Brüstung, daß er bleibe. Und
die Gesichter entstarrten sich und flammten auf in Ek-
stase und sie schrien es. Sie tobten und stürmten vor.
Da hob Jehan beide Hände zum Hals, hakte sie ein
und riß nach beiden Seiten das Kleid auseinander und
stemmte ihrem Schreien seine nackte Brust entgegen.
Er breitete die Arme aus. Auf seiner Haut tanzten blaue
Flecken und ein rotes Geschwulst durchbrach die Brust.
Ein Iittern lang stand das Brausen gegen das
Ungeheure.
Die Arme sanken zurück. Das Schreien ward Geheul.
Männer rissen Weiber zurück von dem Aussatz. Sie
wichen. Wie unter Peitschenhieben verknirschte der Auf-
ruhr und duckte sich. Eins gab es nur: Flucht!
Einer wagte es noch, stieß die Faust in die Luft
und brüllte „Pilori".
Doch er blieb allein.
Als ginge ein Kreis von Jehan aus, der weiter wie
im Wasser werde, kam etwas von ihm her und preßte
die Menge vom Platz und warf sie in die Häuser und
Straßen. Iwei trugen Beautrir ohnmächtig.
Dann ward es still.
Kein Ton. —
Jehan lächelte: Wie in der Tonne.
Der Markt hatte zwei Ausgänge. Jehan schritt
nach dem einen. Es war ein Tor in einem Turm, der
oben geteilt ist wie in zwei Henkel, zwischen denen eine
große Glocke hängt. Jn seiner Mitte quoll ein Auswuchs
heraus, formlos gewölbt, wie ein Nabel. Das war die
Sonnenuhr. Jehan sah die Straße hinunter. Er sah
niemand. Darauf schritt er zurück über den Platz nach
der anderen Seite. Kein Auge stand an den Fenstern,
die ihn anklafften. Er trug den Aussatz auf seiner Brust
gerade wie ein Schild. — Hier lief eine dunkle Passage
durch kleine wüste Gassen.
Jehan Irug einen Turban aus Pelz. Seine Ärmel
waren eng und trugen an den Gelenken Krausen aus
Pelz. Eng schmiegte sich, nur vorn die Brust offcn
lassend, ein dunkelrotes Kostünr um seinen Oberkörper
und rann dann unter dem Gürtel (aus Krokodilshaut)
in einer breiten Glocke auseinander zu den Füßen, >vo
eine breite Pelzsäumung es aufhielt und ein Streifen
aus Gold. Grün waren seine Schuhe.
So schritt er in die dumpfschrägen Gassen cmd hoffte,
daß ihn einer erschlüge.
Doch es erschlug ihn keiner.
Sein Haus hatte eine breite Front. Jn den oberen
Teilen lagen große Fenster mit Säulen. Unten mitten
war eine hohe Tür. Sie stand auf den Tag und die
Nacht. Niemand kam. Jehan wartete.
Niemand kam.
Gegen Morgen gingen viele Türen aus und Reihen
von Menschen zogen mit Kerzen durch die Stadt und
zur Kirche.
Den ganzen Tag saß Jehan wieder auf seiner Otto-
mane. Das Iimmer war verschlossen. Beautrir klopfte
den Morgen nach jedem Glockenschlag. Sie rief weinend
Jehans Namen. Sie warf ihren Körper gegen die Tür
Sie fluchte auf den Provencalen, der die Pest auf ihn
geworfen hatte. Er hörte sie nicht. Die Tür knirschte
kaum.
Den folgenden Tag und die folgende Nacht stand
das Tor offen an Jehan Bodels Haus. Niemand kam.
Kaum ging jemand vorüber. Gegen Abend schaute
Jehan durch das Gitter. Beautrir lag vor die Tür ge-
streckt wie ein feincs helles Tier. Später zog ein Aug
fremder bretonischer Sänger durch die Stadt. Jhre
Roten und Viölen klangen unten.
Nach Mitternacht sagte eine baritonale St mme
aus dem Dunkel hervorklingend unter Jehans Iimmer
die Geschichte von Amis und Amile:
Sie waren Blutsbrüder, schön, ganz ähnlich und
liebten sich. Da verführte Amis die Tochter des Kaisers
und sollte ein Gottesgericht auskampfen, aber Amile
trat für ihn ein. Amile siegte und man erkannte ihn
nicht und gab ihm die Prinzessin als Frau. Allein weil
Amis Brunst heller war auf sie, ließ er sie ihm zum Ehe-
bett und ward aussätzig zur Strafe. Aber Amis tötete
seine beiden Söhne. Mit ihreni Blut gebadet ward
Amile gesund.-
Dann verlief sich die Stimme, die Nacht sog sie auf
und am Morgen bot ein Mönch zwei Knaben an zum
Verkauf.
Jehan lehnte ab.
An diesem Morgen bearbeitete Beautrir die Tür
mit einem Messer und schälte Span auf Span heraus.
Doch die Tür hatte eine Mittellage aus Eisen. Die
Klinge brach ab.
Da legte sie sich stumpf über die Schwelle.
Gegen Abend hieb sie ihre Fauste so lange gegen
die Tür, bis sie das Gefühl ihrer Hände verloren hatte.
Sie sah durch das Gitter Jehan dasitzen. Es schien, er
schaue auf seine Hände. Da biß sie in das Metall der
Klinke und sank blutend auf den Boden.
Auch die dritte Nacht kam. Weit stand die Tür auf
in Jehans Haus. Sie spreizte sich auf, so offen stand sie.
Niemand kam. Der Henker? Nein. Nacht. Die Nacht
war so still, daß das Dunkel brauste.
Wie. . .?
Stille, kein Ton kam durch die Straße.
Einmal stand er auf. Beautrir lag quer vor der
Tür, eine Rinne Blut über dem Kinn. Er sah es.
Allein ... Er saß auch diese Nacht auf der Ottomane
zwischen den Saulen.
Als die Dammerung kommen mußte, erhob er sich.
Er ging gerade auf die Tür und öffnete sie. Beautrir
war verschwunden. Es war die Ieit der ersten Messe.
Jehan rieb sich Gesicht und Hande mit askalonischen
Iwiebeln, die die erste Ansteckung verhinderten. Lang-
sam ging er darauf in das Iimmer von Beautrir. Er
roch an den weißen Blumen in der Nische . . . der Ka-
min . . . das Modell des großen Schiffes hatte er mit-
gebracht aus Dijon. Er empfand, wie der Papagei sich
regte, sah das geschnitzte Holz des Büfett mit derselben
Drehung und die Tafelung und die Teppiche aus
Palästina darüber. Er zündete Lichter an an der Wand,
und sie blitzten auf. Sie spiegelten flackernd in runden
Metallplaketten und bestäubten das Iimmer mit einer
dünnen Schicht Licht, in der er es mit einem Blick
noch einmal aufnahm.
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