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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 11/12
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Schubert, Else: Herbst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0265

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Hcrbsc.

Die Vorortbahn schnaubt geschäftig durch den nächt-
lichen Wald hinaus nach der Villenkolonie. Das trübe
Licht zittert auf dcn seidenen Kopftüchern der heim-
kehrenden Theaterbesucherinnen, abgerissene Kritiken von
Sängern und Dirigenten schwirren in die Gedanken
der Frau. Fast muß sie lachen über die Wichtigkeit,
mit der die gedankenlosen Gesichter und gebrannten
Frisuren sich ihre Meinungen zunicken. Jhr ist heimatlich
zumute. Gedanken ihrer Jugend tarcchen in ihr auf,
da ihr Mann sie an seiner Arbeit teilnehmen ließ, ihr
erzählte, sie mitnahm in seine Vorlesungen. Wie er
ihr an stillen Abenden vorlas aus philosophischen Büchern
und wie sie über manches sprachen, erst in entzweiter
Meinung, schlicßlich geeinigt, einS dem andern entgegen-
gekommen. Die ganze klare Welt der Gedanken tritt
vor sie hin. Sonnige Bilder schieben sich zwischen das
zitternde Licht des Wagens und das rauschende dunkle
Laub der Bäume draußen. — Wie ist es gekommen,
daß sie dies Glück mutwillig zerstört hat, daß sie sich ge-
löst hat von der Seele, die so eng der ihren verbunden
war, die so heimatlich vcrtraut all ihre Gcdanken mit
dachte? Ja es ist, als wäre sie heimgekommen, als die
ruhige Stimme sie umfing und lichte, schöne Gedanken
zu ihr sprachen.

Mit viel Gebimmel und Pfeifen halt die Bahn. Die
Frau steigt aus und betritt einen Seitenweg, der zwischen
Gärten hingeht. Die Villen liegen versteckt hinter Bau-
men. Wachsame Hunde knurren. Weiche Töne eines
Cellos sprechen aus dem Dunkel heraus. Die fragen
und wühlen alles Schwere und Verschwiegene hervor.
Eine Geige fällt hoch und tanzend ein. Die wirft Be-
denken beiseite, ruft lockend und reißt das Leben an sich.
Licht blinkt auf. Der zärtlich geformte, schon ein wenig
herbstlich gelichtete Aweig einer Birke schwankt vor dem
großen erleuchteten Fenster. Die Frau ist in den Garten
getreten,,vorsichtig geht sie auf den Lichtschein zu. Sie
sieht durch die unverhüllten tiefgehenden Fenster in das
große Gartenzimmer, wo ihre Kinder musizieren.

Ottokar sitzt auf einem niedrigen Stuhl. Das Licht
der Gaslampe strahlt voll auf sein emporgewandtes
bleiches Gesicht mit den dunklen zurückgeworfenen Haar-
wellen. Die Hand, die den Cellobogen führt,ist ausdrucks-
voll,wieman sie nurbei alten Leutenoder Künstlern findet.

Ruth steht in einem weißen Kleid dicht unter der
Lampe. Jhr schlanker Körper bewegt sich fast inbrünstig
tanzend zu den Tönen, reckt sich und sinkt zusancmen,
jede Bewegung ist Melodie. Arcch ihr dunkler Blick geht
über den Notenständer weg in unsichtbare Fernen und
der Mund ist wie lechzend halb geöffnet. Es liegt eine
ganz unverhüllte Sinnlichkeit über den beiden jungen
Gestalten, die so unbekümmert den Gesang ihres Blutes
in die stille Waldnacht rufen.

Die Mutter schleicht leis vom Fenster. Sie hat einen
Blick getan in die Vergangenheit, eine Antwort erhalten
auf ihr Warum. Wenn man Ruth an die Seite jenes
Manncs stellen wollte, so würde alles von neuem so
werden, wie es in der Mutter Leben war. Es wird alles
so werden wie einst. Ein Mann wird kommen, der nur
Mann ist, — das junge Weib gibt nach, sie geht aus der
Heimat ihrer Seele, und die Seele kann nicht rufen, denn
der Leib spricht, das Blut singt das Lied seines Begehrcns
überlaut.

Verklungen der Klang, zu Ende das Lied, — kalt
der selbstgewählte Weg an der Seite des heißen Mannes.
Wie Rcif die nahenden Tage dcs Alters. Die Seele aber
beginnt zu rufcn, sie verlangt !eim . . .

Jubelnd und sehnend dringt der Klang der Geige
durch das offene Fenster in den dunkeln Garten.

Gibt es noch ein Heimkommen nach so viel Verwir-
rung? Sie will daran verzweifeln. Aber laut ant-
wortet die Seele — wie Orgelklang — ein Ja.

* *

*

Der Frühstückstisch ist auf der Veranda gedeckt, von
goldnen Birken überschattet. Vermischt mit gelben
Blättern rieselt die Sonne nieder, und man weiß nicht,
sind es Sonnenflecken oder gefallene Blätter, die den
Boden bedecken. Das Geländer ist mit wildem Wein
dicht berankt, der glühendrot sich ausbreitet. Aiervoll
stehen dazwischen die blauen Beeren an ihren roten
Stielchen.

Die Geschwister sind schon da. Ottokar liesi in der
Ieitung die Nachrichten von Theater und Konzerten,
Ruth dehnt sich zwischen bunten Seieenkissen in ihrem
Sessel und nascht Marmelade. Rasch schiebt sie das
Löffelchen bciseitc, wie die Mutter heraustritt.

„Nkorgen, Mutt!" rclft sie ihr entgegen, „warst du
hübsch philosophisch gestcrn in deinem Vortrag? Wir
haben noch wonnig musiziert!"

„Es ist schön gewesen. Schade, daß du nicht mit
warst, Ottokar, es hätte dich interessiert."

„Gott, Muttcr, man ist noch jung," erwidert er, die
Aeitung zusammenfaltend. „Wenn ich mal alt bin, will
ich gewiß in philosophische Vorträge gehen, aber jetzt
gibt s Besseres für inich zu tun."

„Mich soll der Himmel auch inr Alter davor bewahren,"
sagt Ruth behaglich und hebt die bunte Kaffeehaube von
der Kanne.

Der Tag ist klar. Gläsern blau schimmert der Himmel,
und die roten und goldnen Bäume füllen die Luft mit
einem farbigen Widerschein. Die drei Menschen sind
rings eingeengt und umgeben von dem leicht verschleiern-
den Rieseln der leuchtenden Bäume. Es sind sonst keine
Häuser zu sehen.

Die Mutter denkt, daß sie ihre Kinder vorbereiten
muß. Wie werden sie sich drein finden? Sie sind so ganz
anders als er, sie sind der lebendig gewordene Iwiespalt
ihres Schicksals. Aber eine gewisse Ilberlegenheit kommt
plötzlich über sie.

„Kinder, ich will euch was erzählen, seid ihr vor-
urteilsfrei?" fragt sie fast heiter.

„Jch für sieben," erwidert Ottokar.

„Jst's was Unpassendes?" fragt Ruth kindlich erfreut.

„Nein, Dummerle. Wißt ihr, wer gestern den Vor-
trag gehalten hat?"

„Nein. Jrgendein Professor Müller, Meicr, Schulze
oder Schmidt, einer von den vier Namen war's, ich weiß
noch genau. War's jemand Besonderes?"

„Ja, mein früherer Mann war's." Leicht geht ihr
das Wort von den Lippen.

„Aber Mutt, wie gräßlich!" schreit Ruth aufgeregt.
„Und da bist du hingegangen?

„Warum nicht? Müssen wir so giftige Feinde sein?"

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