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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0052

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Bis zur Unkenntlichkeit entstellt?

Die Restaurierung der Baseler Holbein-Gemälde durch Nikolaus Grooth

Bemerkenswerte Wahrnehmungsdefizite kennzeichnen die Holbein-
Forschung auch im Hinblick auf den Erhaltungszustand der bis heute an
ihrem Entstehungsort Basel bewahrten Tafelbilder. Abgesehen von den
erst in jüngster Zeit gereinigten Werken wie der Abendmahlstafel, dem
Schulmeisterschild oder den Orgelflügeln1 gibt es in der Literatur kaum
Bemerkungen zu älteren Restaurierungen, obgleich diese das Erschei-
nungsbild eines Bildes bekanntlich nachhaltig verändern können. Just
dies ist nun auch im Fall der »Passionsflügel« lange vermutet worden.

Die »Passionsflügel« nahmen unter den Baseler Holbein-Werken spä-
testens seit dem frühen 17. Jahrhundert die prominenteste Rolle ein
(Tafel 42)2. Zu dieser Zeit war die Erinnerung an ihre ursprüngliche Ver-
wendung und ihren Aufstellungsort - als Außenseiten der Flügel eines
Schnitzaltars im Münsterkreuzgang - bereits verloren gegangen.3 Ver-
mutlich während der Wirren des Baseler Bildersturms oder bald danach
durch die Stadtregierung beschlagnahmt, dienten die ehemaligen Flügel-
außenseiten mit den gemalten acht Szenen der Passion Christi seither als
Schmuck des Rathauses.

Schon bei ihrer ersten Erwähnung, in Matthäus Merians im Jahre 1654
erschienenen Ausgabe der »Topographia Helvetiae«, wird hervorgeho-
ben, für diese »schöne Tafel« Holbeins hätten »...unterschiedliche
Potentaten etlich tausendt Ducaten gebotten«.4 Im Jahre 1673 wurde
Charles Patin, der die Passionsszenen für »... un des plus beaux tableaux
du monde« hielt, schon genauer und berichtete, der verstorbene Kurfürst
von Bayern habe der Stadt Basel für diese Gemälde einen Kaufpreis von
»trente mille florins de sei« geboten.3 Auslöser für diesen erfolglosen
Ankaufsversuch durch Maximilian I. von Bayern (1573-1651) muß die
Begeisterung gewesen sein, mit der Joachim von Sandrart (1606-88)
dem Kurfürsten von diesem Werk berichtet hatte. Wie Sandrart selbst in
seiner 1675 erschienenen »Teutschen Academie« erwähnt, seien die Pas-
sionsszenen »...von verwunderlichen inventionen/Zierlichkeit der
Landschaften/gutem Verstand des Tag- und Nacht-Liechts/colorit und
allen ersinnlichen Kunst-Werken so herrlich/das nichts vollkommeners
von seiner Hand zu finden: Dannenhero/als Anno 1644. Ihro Chur-
fuerstl. Durchl. in Bayren/Herzog Maximilian seeligster Gedaechtnis ich
gecontrafaetet/und mit Erzehlung der Fürtreflichkeit dieses Stucks/
indem sie gesessen/unterhalten/haben dieselbe ein solches Belieben/das-
selbe zu sehen/bekommen/daß sie einen expreßen abgeordnet/ solches
um den Preiß/darfuer man es lassen wolte/zu erkauffen: Weil aber der
Abgeordnete die Sach nicht verstaendig angegangen/als hat er auch
unverrichter Sachen wieder zurück kehren mueßen/und ist die Stadt dar-
durch desto mehr des hohen Wehrts dieser Tafel versichert worden.«6
Sandrart irrte sich übrigens lediglich im Datum des Kaufangebots, denn
das Protokoll des Baseler Kleinen Rats verzeichnet seine Ablehnung unter
dem 4. Oktober 1641.7

Zutreffend war hingegen die Einschätzung, daß der Baseler Rat fortan
eifersüchtig über die »Passionsflügel« wachte - so wurde am 29. Mai 1642
Matthäus Merians d. J. Antrag, die Gemälde in Kupferstich kopieren zu
dürfen, abgelehnt, obwohl Merian mit Übersendung eines Exemplars
seiner im gleichen Jahr in erster Auflage erschienenen »Topographia Hel-
vetise« versucht hatte, für seine Anfrage gut Wetter zu machen.lS Der Rat

verhängte in der Folge ein generelles Kopierverbot für die »Passionsflü-
gel«, wie die gleichfalls abgelehnte Anfrage um Kopiererlaubnis durch
den »preteur royal« zu Straßburg, Klinglin, vom 10. Februar 1718 zeigt.9
Daß dieses Verbot einerseits unterlaufen wurde, andererseits aber im Fall
der Entdeckung durch den Baseler Rat unnachgiebig verfolgt wurde, zei-
gen gleichfalls die Umstände der Klinglinschen Anfrage, die Peter Ochs
folgendermaßen zusammenfaßte: Nachdem Klinglin durch den Rats-
schreiber seine Eingabe an den Rat auf den Weg gebracht hatte, bekam
dieser den Auftrag, »... das Begehren glimpflich abzulehnen, und -wurde
das vor Zeiten ergangene Verbot erfrischet, dergleichen Copien zu bewil-
ligen. Nun wiederholten aber, den 18. [Februar 1718; JS] einer der Bür-
germeister und einer Namens Herf, das Begehren. Herf, von Straßburg
gebürtig, ein neuer Bürger, war Tochtermann des Stadtschreiber Fäsch,
und Groß-Tochtermann des Bürgermeisters Burckhardt. Allein, sie füg-
ten dem Ansuchen bey, daß ein Bernoulli auch Copias davon gezogen
hätte. Bald ergieng die Erkanntniß: >Soll der Rathssubstitut Socin von
seinem Tochtermann alle von der Passione gemachten Copias alsogleich
beziehen; diese, während der Sitzung zur Canzley geliefert, alsdann sol-
che wohl verwahrt, und bey dem Original aufbehalten werden. Von dem
Original aber, oder von den angezogenen Copiis, soll niemand einige
Copey zu nehmen bewilliget, und hierauf von Seiten der Canzley, alles
Fleißes, zur Vermeidung Meiner Gnädigen Herren höchster Ungnade,
vigilirt werden.<«10

Nach einem ersten, erfolglosen Vorstoß der Universitätsregenz am
8. November 1713, die »Passionsflügel« in der Öffentlichen Bibliothek
mit den dortigen »Holbein-Bildern« aus dem Amerbach-Kabinett
zusammenzuführen,11 wurden die Tafeln auf Ratsbeschluß vom
5. November 1770 schließlich doch an die Bibliothek überwiesen.12 Im
Jahr darauf, am 3. September 1771, beschloß die Universitätsregenz, den
aus Stuttgart stammenden, seit Beginn der 1760er Jahre vor allem als
Porträtmaler in Basel tätigen Maler Johann Nikolaus Grooth
(1721/23—97)13 damit zu beauftragen, die »Passionsflügel« »...so wohl
auf das säuberst und sorgfältigst zu putzen, als auch an den schadhaften
Orten, vorsichtiglich, künstlich und dauerhaft zu repariren«.14

Grooth muß seine Aufgabe zu allgemeiner Zufriedenheit erfüllt haben,
wie Johann Jakob Hubers zwischen 1792 und 1795 verfaßtem »Statuta-
rium Basiiiense« zu entnehmen ist:

»Lange ward auf dem Rahthaus, unter Aufsicht der Canzley, ein un-
schätzbares Kunststück von dem berühmten Mahler Hans Holbein auf-
bewahrt, nemlich eine in 8. Feldern bestehende Passion, welche ehe-
dessen ein Altar-Blatt in der Münsters-Kirche war, und bey dem
Bilder-Sturm vom Untergange gerettet worden... Indessen fieng das Ge-
mählde an, teils weil es an einem etwas feuchten Orte verwahret war, teils
durch unsorgsame Behandlung bey öfterm Vorzeigen, etwas Schaden zu
leiden. Man liess es allso durch einen geschickten Künstler ausbessern,
und statt dass es bisher wie eine spanische Wand zusammengelegt war,
und bey jeder Besichtigung der Liebhaber aufgestellt werden musste, in
Seiner ganzen Grösse in einem eigens darzu verfertigten Schranke ver-
wahren, damit es desto bequemer gezeigt werden konnte.«1"1

48 »Holbein-Bilder«. Entstehung und Kritik
 
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