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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0347

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Holbein als Tafelmaler in Basel:
Ausblick und Fazit

Vermutlich im Frühling des Jahres 1532 machte sich Hans Holbein er-
neut auf den Weg nach England. Wiederum war er mit Empfehlungs-
schreiben des Erasmus ausgestattet, die Bonifacius Amerbach vermittelt
hatte. »Er saß dann jedoch über einen Monat in Antwerpen und wäre
länger geblieben, wenn er Dumme gefunden hätte. In England hat er die
getäuscht, denen er empfohlen war.«1 Erasmus' boshaft-mißmutige, an
Amerbach adressierte Beschwerde verdeutlicht zweierlei: Zum einen
scheint Holbein bereits in Antwerpen versucht zu haben, neue Auftrag-
geber zu finden.2 Angesichts der großen Anzahl einheimischer Maler
scheint ihm dies aber nicht gelungen zu sein, so daß er es vorzog, nach
London weiterzureisen, wo er als Künstler bereits eingeführt war und wo
sich vielleicht eine lukrative Tätigkeit als Maler am Hofe Heinrichs VIII.
ergeben mochte. Zum anderen zeigt Erasmus' Beschwerde, daß unser
Künstler mit feinem Gespür für die Opportunität seiner Kontakte in
England zu Personen auf Distanz gegangen sein muß, die ihn zwar bei
seinem ersten Aufenthalt gefördert hatten, mittlerweile aber aus dem
Kreis der Mächtigen und Einflußreichen ausgeschieden waren. An erster
Stelle wird man hierbei an Thomas More denken dürfen, der wohl auch
der Adressat eines der von Erasmus verfaßten, neuerlichen Empfeh-
lungsschreiben gewesen sein mag.3 More trat von seinem Amt als Lord-
kanzler Heinrichs VIII. am 16. Mai 1532 zurück und machte dadurch
seine Ablehnung der königlichen Ehe- wie Kirchenpolitik unübersehbar,
ein in den Augen des Monarchen unverzeihlicher Fehler, den More im
Jahre 1535 mit dem Gang zum Schafott büßen mußte. Da das früheste
erhaltene Gemälde aus der Zeit von Holbeins zweitem englischen Auf-
enthalt bereits vom 26. Juli 1532 datiert - das Porträt des sogenannten
»Hans von Antwerpen« in der Royal Collection auf Windsor Castle -,4
wird der Künstler just um den Termin des spektakulären Amtsverzichts
des Lordkanzlers in London angekommen sein.

Wie sich Holbein in diesen Monaten More gegenüber tatsächlich verhal-
ten hat, ist nicht überliefert. Unübersehbar ist indes, daß es ihm - kaum
erneut in England - bereits gelungen sein muß, mit dem neuen Favori-
ten Heinrichs VIII., Thomas Cromwell, in engeren Kontakt zu treten.
Dessen allerdings nur in schlechtem Erhaltungszustand überliefertes
Bildnis in der Frick Collection in New York (Abb. 275) entstand entweder
noch 1532 oder aber spätestens im Folgejahr, da der Dargestellte in dem
vor ihm auf dem Tisch liegenden Schreiben als »Master of the Jewell
House« angesprochen wird.5 Dieses Amt übte er, beginnend am 12. April
1532, für genau ein Jahr aus, und wurde dann mit der Leitung des Schatz-
amtes betraut. Parallel zu Cromwells Aufstieg vollzog sich auch Holbeins
Karriere als Hofmaler Heinrichs VIII., wobei es dem Künstler gelang, den
Sturz Cromwells im Jahre 1540 unbeschadet zu überstehen. Wie zuvor
schon More wurde auch dessen Nachfolger als Lordkanzler ein Opfer der
königlichen Heiratspolitik; er stürzte über die von ihm eingefädelte, aber
gänzlich glücklose Eheschließung Heinrichs VIII. mit Anna von Kleve,
deren Bildnis Holbein in Vorbereitung der Eheverhandlungen bekannt-
lich ausgeführt hatte (Abb. 12).6 Holbeins ersten Kontakt zu Cromwell
mag übrigens John Godsalve hergestellt haben, den der Künstler bereits
im Jahre 1528 zusammen mit seinem Vater Thomas porträtiert hatte

(Tafel 70) und dessen Bildnis (Abb. 226) er nun erneut anfertigen sollte.'
John Godsalve stand seit dem Jahr von Holbeins neuerlichem Erscheinen
in London als Sekretär im Dienst Cromwells. Da zu seinen Pflichten
unter anderem die Kontrolle des Zolls auf den Import ausländischer Sei-
denstoffe gehörte, könnte Godsalve die Bekanntschaft des Malers auch
mit den wohlhabenden Kaufleuten am Londoner Stahlhof vermittelt
haben. Sie sollten - zahlenmäßig - zu Holbeins wichtigsten Auftragge-
bern zu Anfang des zweiten Englandaufenthalts werden.

Doch daneben gelang es dem Maler, sich die Bildnisaufträge der fran-
zösischen Sondergesandten zu sichern, die Franz I. in den Jahren 1533
bzw. 1534 an den englischen Hof schickte: Sowohl das lebensgroße Dop-
pelporträt von Jean de Dinteville und Georges de Selve (Abb. 276), das
ohne jegliches Vorbild in der europäischen Bildniskunst dasteht und in
seiner inhaltlichen Ausdeutung die Forschung bis heute kontrovers be-
schäftigt,8 als auch das monumentale Porträt des Charles de Solier, Sieur
de Morette (Abb. 21 j,9 das sich am Muster von Jean Fouquets bzw. Jean
Clouets Bildnissen der französischen Könige Karl VII. und Franz I. orien-
tiert,10 muß in London für Aufsehen gesorgt haben. Diese prestigeträch-
tigen Aufträge dürften geholfen haben, den Weg zu jenem Ziel zu ebnen,
das Holbein wohl schon bei seiner ersten Reise an den Hof Franz I. von
Frankreich 1523/24 vor Augen gehabt haben wird: ein Hofamt. Späte-
stens im Jahre 1536 wurde Hans Holbein dann tatsächlich Hofmaler
König Heinrichs VIII. von England.11

275 Hans Holbein d.J.(?), Thomas Cromwell, New York, Frick Collection

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