Hans Holbein d. J. etabliert sich als Meister in Basel
Nach dem Abschluß seiner Arbeiten am Hertensteinhaus in Luzern
kehrte Hans Holbein d. J. im Verlauf des Jahres 1519 nach Basel zurück,
wo er am 25. September in die Malerzunft aufgenommen wurde.1 In die-
ser Zeit entstand eines seiner frühen Meisterwerke, dem im GEuvre des
Künstlers schon deshalb ein wichtiger Platz zukommt, weil es das erste
mit vollem Namen bezeichnete Gemälde des jungen Künstlers ist: das
Bildnis des Baseler Rechtsgelehrten und Humanisten Bonifacius Amer-
bach (Tafel 24), heute im Kunstmuseum Basel.2
Das Bildnis des Bonifacius Amerbach
Am 11. Oktober 1495 als jüngstes Kind des Buchdruckers und Magisters
der freien Künste Johannes Amerbach (um 1443-1513)3 und der Bar-
bara Ortenberg in Basel geboren, war Bonifacius Amerbach in der Obhut
seiner Eltern und älteren Geschwister aufgewachsen. Von klein auf war
ihm der Umgang mit den Philologen und Gelehrten vertraut, die in der
Druckerei seines Vaters als Autoren oder Korrektoren arbeiteten. Mit
12 Jahren wurde er auf die Lateinschule ins nahegelegene Schlettstadt
geschickt, wo er rasch zum Lieblingsschüler seines dortigen Lehrers
wurde. Gleiches galt für sein Verhältnis zu Udalricus Zasius
(1461-1535),4 bei dem er seit 1512 an der Freiburger Universität Jura
studierte. In diesen Jahren entwickelte sich auch das freundschaftliche
Verhältnis zu dem damals in Freiburg tätigen Erasmus von Rotterdam
(1469-1536), das bis zu dessen Tod bestehen bleiben sollte. Zum Zeit-
punkt der Entstehung seines Porträts war Bonifacius Amerbach erst seit
kurzer Zeit wieder aus Freiburg nach Basel zurückgekehrt."1
Das im Kunstmuseum Basel bewahrte Tafelbild zeigt in nahezu qua-
dratischem Format von 28,5x27,5 cm das Brustbild des ins Dreiviertel-
profil nach links gewandten Juristen unter freiem Himmel und vor fer-
nen schneebedeckten Bergen. Vom linken Bildrand überschnitten, ragt
ein mächtiger Feigenbaum empor, von dem einige belaubte Zweige am
oberen Bildrand sowie hinter der Figur sichtbar werden. Am Baum-
stamm ist an einem Aststumpf eine gerahmte Tafel aufgehängt, deren
lateinische Inschrift den Namen des Dargestellten, sein Lebensalter, den
ausführenden Künstler und das Entstehungsdatum des Bildes nennt. Vor
allem aber kommt in den beiden gleichfalls in Latein verfaßten Distichen
das Gemälde sozusagen selbst zu Wort und rühmt den Wahrheitsgehalt
der Darstellung:
»plcta licet facies vl/vae non cedo sed instar/
svm domini ivstis no/ßlle lineolis./
octo is dvm peragit/tpieth, sic gnaviter in me/
Id, qvod natvrae est,/exprimit artis opvs./
bon[ifacium]. amorbacchivm./
io[hannes]. holbein. depingebat./
a[nno]. m. d. xix. prid[ie]. eid[us]. octobr[is].«6.
Der Inschrifttext kommentiert das Gemälde mit dem Begriffsinstrumen-
tarium humanistischer Rhetorik: Der Vergleich zwischen »gemaltem«
und »lebendigem« Gesicht, zwischen »Kunst« und »Natur«, führt zu der
Schlußfolgerung, das künstlich Geschaffene stehe dem natürlich Hervor-
gebrachten nicht nach.7 Der Text stammt nicht von Holbein, der bei dem
nur zwei Jahre zuvor entstandenen Bildnis des Benedikt von Hertenstein
noch eine deutsche Bildinschrift mit der traditionellen Formulierung
»Da ich het die Gestalt, was ich 22 Iar alt« gebraucht hatte (Tafel 23).8
Vielmehr lieferte Bonifacius Amerbach selbst die Textvorlage, deren all-
mähliche Entstehung zwischen März und Oktober 1519 an zahlreichen
Entwürfen in seinem schriftlichen Nachlaß in der Baseler Universitätsbi-
bliothek nachvollzogen werden kann.9 Holbein scheint allerdings an der
hier erstmals praktizierten Einfügung panegyrischer Texte in seine Por-
träts Gefallen gefunden zu haben, wie deren wiederholte Verwendung bis
in die 1530er Jahre bezeugt - teilweise in Verbindung mit dem beim
Amerbach-Bildnis erstmals auftauchenden Motiv der Feige.10
Der in der Inschrift vorgetragene rhetorische Vergleich von Kunst und
Natur findet eine spielerische Wiederholung in der Art ihrer Plazierung.
Im nahezu quadratischen Gemälde ist die annähernd quadratische
Inschrifttafel, die immerhin die Größe von Bonifacius' Kopf hat, wie ein
Bild im Bild inszeniert: Der gemalte Rahmen umschließt die Tafel mit der
Inschrift auf die gleiche Weise wie der reale Bilderrahmen das Gemälde.11
So wie das Amerbach-Bildnis unter der Malschicht eine weiße Grundie-
rung aufweist, ist auch das gemalte Tafelfeld mit der Inschrift weiß
grundiert. Während das Bildnis selbst allerdings mit Farben gestaltet ist,
bedient sich die gemalte Inschrift schwarzer Majuskeln. Es ist ein ver-
lockender Gedanke, die von Holbein vorgenommene, nachträgliche Ver-
änderung der Inschrift (Abb. 14) in diesem Zusammenhang zu sehen:12
Hatte der Text zunächst mitgeteilt, das »gemalte Gesicht« seines Herrn sei
»... in richtigen Farben beschrieben«, so lautet die korrigierte Passage, es
sei ein Ebenbild seines Herrn, »... ausgezeichnet durch richtige Linien«.
Zwar kommt das Amerbach-Porträt selbst alles andere als linear daher,
aber mit Blick auf die Gestaltung des Inschrifttextes, der auf Farben ver-
zichtet und statt dessen linear gestaltete Zeichen nutzt, mag die Formu-
lierung »nobile lineolis« konsequenter als »scripta coloribvs«
erschienen sein.
Anders als der Inschrifttext ist das Gemälde selbst malerisch und kolo-
ristisch höchst subtil gestaltet: Der dunkle, mit schwarzem Pelz gefütterte
Rock und das schwarze Barett rahmen Amerbachs helles Gesicht;13 der
dunkle Farbklang der Kleidung wird vom Baumstamm, dem ledrigen
Laubwerk und der Rahmung der Inschrifttafel aufgegriffen. Das Blau des
Himmels, das durch die Einfügung der schneebedeckten Berge im Ton
noch kühler wirkt, findet ein Echo im silbrig schimmernden Blau des
gemusterten Wamses, das in der Öffnung des Rocks sichtbar wird. Diese
Beschränkung der Palette auf Schwarz, auf Dunkelbraun und auf Blau
läßt das in warmen Tönen gegebene, sonnengebräunte Antlitz des bär-
tigen Gelehrten wirkungsvoll hervortreten, ja, der Farbkontrast läßt
Amerbachs Züge geradezu aufleuchten. Dieses koloristische Raffinement
trägt zusammen mit dem lebendigen, nach links aus dem Bild gerichte-
ten Blick viel zu der Unmittelbarkeit und Lebendigkeit bei, die nicht nur
in der Inschrift behauptet wird, sondern die sich bis heute dem Be-
trachter mitteilt.
Auf diese besondere Qualität des Amerbach-Porträts, die es von Hol-
beins übrigen Bildnissen unterscheidet, ist wiederholt hingewiesen wor-
Hans Holbein d.J. etabliert sich als Meister in Basel 123
Nach dem Abschluß seiner Arbeiten am Hertensteinhaus in Luzern
kehrte Hans Holbein d. J. im Verlauf des Jahres 1519 nach Basel zurück,
wo er am 25. September in die Malerzunft aufgenommen wurde.1 In die-
ser Zeit entstand eines seiner frühen Meisterwerke, dem im GEuvre des
Künstlers schon deshalb ein wichtiger Platz zukommt, weil es das erste
mit vollem Namen bezeichnete Gemälde des jungen Künstlers ist: das
Bildnis des Baseler Rechtsgelehrten und Humanisten Bonifacius Amer-
bach (Tafel 24), heute im Kunstmuseum Basel.2
Das Bildnis des Bonifacius Amerbach
Am 11. Oktober 1495 als jüngstes Kind des Buchdruckers und Magisters
der freien Künste Johannes Amerbach (um 1443-1513)3 und der Bar-
bara Ortenberg in Basel geboren, war Bonifacius Amerbach in der Obhut
seiner Eltern und älteren Geschwister aufgewachsen. Von klein auf war
ihm der Umgang mit den Philologen und Gelehrten vertraut, die in der
Druckerei seines Vaters als Autoren oder Korrektoren arbeiteten. Mit
12 Jahren wurde er auf die Lateinschule ins nahegelegene Schlettstadt
geschickt, wo er rasch zum Lieblingsschüler seines dortigen Lehrers
wurde. Gleiches galt für sein Verhältnis zu Udalricus Zasius
(1461-1535),4 bei dem er seit 1512 an der Freiburger Universität Jura
studierte. In diesen Jahren entwickelte sich auch das freundschaftliche
Verhältnis zu dem damals in Freiburg tätigen Erasmus von Rotterdam
(1469-1536), das bis zu dessen Tod bestehen bleiben sollte. Zum Zeit-
punkt der Entstehung seines Porträts war Bonifacius Amerbach erst seit
kurzer Zeit wieder aus Freiburg nach Basel zurückgekehrt."1
Das im Kunstmuseum Basel bewahrte Tafelbild zeigt in nahezu qua-
dratischem Format von 28,5x27,5 cm das Brustbild des ins Dreiviertel-
profil nach links gewandten Juristen unter freiem Himmel und vor fer-
nen schneebedeckten Bergen. Vom linken Bildrand überschnitten, ragt
ein mächtiger Feigenbaum empor, von dem einige belaubte Zweige am
oberen Bildrand sowie hinter der Figur sichtbar werden. Am Baum-
stamm ist an einem Aststumpf eine gerahmte Tafel aufgehängt, deren
lateinische Inschrift den Namen des Dargestellten, sein Lebensalter, den
ausführenden Künstler und das Entstehungsdatum des Bildes nennt. Vor
allem aber kommt in den beiden gleichfalls in Latein verfaßten Distichen
das Gemälde sozusagen selbst zu Wort und rühmt den Wahrheitsgehalt
der Darstellung:
»plcta licet facies vl/vae non cedo sed instar/
svm domini ivstis no/ßlle lineolis./
octo is dvm peragit/tpieth, sic gnaviter in me/
Id, qvod natvrae est,/exprimit artis opvs./
bon[ifacium]. amorbacchivm./
io[hannes]. holbein. depingebat./
a[nno]. m. d. xix. prid[ie]. eid[us]. octobr[is].«6.
Der Inschrifttext kommentiert das Gemälde mit dem Begriffsinstrumen-
tarium humanistischer Rhetorik: Der Vergleich zwischen »gemaltem«
und »lebendigem« Gesicht, zwischen »Kunst« und »Natur«, führt zu der
Schlußfolgerung, das künstlich Geschaffene stehe dem natürlich Hervor-
gebrachten nicht nach.7 Der Text stammt nicht von Holbein, der bei dem
nur zwei Jahre zuvor entstandenen Bildnis des Benedikt von Hertenstein
noch eine deutsche Bildinschrift mit der traditionellen Formulierung
»Da ich het die Gestalt, was ich 22 Iar alt« gebraucht hatte (Tafel 23).8
Vielmehr lieferte Bonifacius Amerbach selbst die Textvorlage, deren all-
mähliche Entstehung zwischen März und Oktober 1519 an zahlreichen
Entwürfen in seinem schriftlichen Nachlaß in der Baseler Universitätsbi-
bliothek nachvollzogen werden kann.9 Holbein scheint allerdings an der
hier erstmals praktizierten Einfügung panegyrischer Texte in seine Por-
träts Gefallen gefunden zu haben, wie deren wiederholte Verwendung bis
in die 1530er Jahre bezeugt - teilweise in Verbindung mit dem beim
Amerbach-Bildnis erstmals auftauchenden Motiv der Feige.10
Der in der Inschrift vorgetragene rhetorische Vergleich von Kunst und
Natur findet eine spielerische Wiederholung in der Art ihrer Plazierung.
Im nahezu quadratischen Gemälde ist die annähernd quadratische
Inschrifttafel, die immerhin die Größe von Bonifacius' Kopf hat, wie ein
Bild im Bild inszeniert: Der gemalte Rahmen umschließt die Tafel mit der
Inschrift auf die gleiche Weise wie der reale Bilderrahmen das Gemälde.11
So wie das Amerbach-Bildnis unter der Malschicht eine weiße Grundie-
rung aufweist, ist auch das gemalte Tafelfeld mit der Inschrift weiß
grundiert. Während das Bildnis selbst allerdings mit Farben gestaltet ist,
bedient sich die gemalte Inschrift schwarzer Majuskeln. Es ist ein ver-
lockender Gedanke, die von Holbein vorgenommene, nachträgliche Ver-
änderung der Inschrift (Abb. 14) in diesem Zusammenhang zu sehen:12
Hatte der Text zunächst mitgeteilt, das »gemalte Gesicht« seines Herrn sei
»... in richtigen Farben beschrieben«, so lautet die korrigierte Passage, es
sei ein Ebenbild seines Herrn, »... ausgezeichnet durch richtige Linien«.
Zwar kommt das Amerbach-Porträt selbst alles andere als linear daher,
aber mit Blick auf die Gestaltung des Inschrifttextes, der auf Farben ver-
zichtet und statt dessen linear gestaltete Zeichen nutzt, mag die Formu-
lierung »nobile lineolis« konsequenter als »scripta coloribvs«
erschienen sein.
Anders als der Inschrifttext ist das Gemälde selbst malerisch und kolo-
ristisch höchst subtil gestaltet: Der dunkle, mit schwarzem Pelz gefütterte
Rock und das schwarze Barett rahmen Amerbachs helles Gesicht;13 der
dunkle Farbklang der Kleidung wird vom Baumstamm, dem ledrigen
Laubwerk und der Rahmung der Inschrifttafel aufgegriffen. Das Blau des
Himmels, das durch die Einfügung der schneebedeckten Berge im Ton
noch kühler wirkt, findet ein Echo im silbrig schimmernden Blau des
gemusterten Wamses, das in der Öffnung des Rocks sichtbar wird. Diese
Beschränkung der Palette auf Schwarz, auf Dunkelbraun und auf Blau
läßt das in warmen Tönen gegebene, sonnengebräunte Antlitz des bär-
tigen Gelehrten wirkungsvoll hervortreten, ja, der Farbkontrast läßt
Amerbachs Züge geradezu aufleuchten. Dieses koloristische Raffinement
trägt zusammen mit dem lebendigen, nach links aus dem Bild gerichte-
ten Blick viel zu der Unmittelbarkeit und Lebendigkeit bei, die nicht nur
in der Inschrift behauptet wird, sondern die sich bis heute dem Be-
trachter mitteilt.
Auf diese besondere Qualität des Amerbach-Porträts, die es von Hol-
beins übrigen Bildnissen unterscheidet, ist wiederholt hingewiesen wor-
Hans Holbein d.J. etabliert sich als Meister in Basel 123