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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0019

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»An Unknown Man«.

Hans Holbein d. J. in der schriftlichen Überlieferung seiner Zeit

Hans Holbein der Jüngere: in Derek Wilsons prägnanten Worten »an
Unknown Man«.1 Anders als im Falle des »anderen« großen deutschen
Renaissancekünstlers Albrecht Dürer sind von der Hand des jüngeren
Hans Holbein - abgesehen von Farbnotizen oder Änderungsangaben auf
einigen wenigen seiner Zeichnungen - keinerlei schriftliche Zeugnisse
erhalten geblieben, die über sein persönliches Handeln und Empfinden
oder gar über seine praktischen oder theoretischen Kunstvorstellungen
Auskunft geben könnten. Sicher ist indes nach Aussage jener Werke, die
sich mit Holbein in sicheren Zusammenhang bringen lassen, daß der
Künstler Linkshänder war - zumindest, wenn er den Zeichenstift in die
Hand nahm, und wohl auch dann, wenn er den Pinsel gebrauchte. Seine
wenigen handschriftlichen Schreibnotizen sowie seine Signaturen hat er
demgegenüber mit der Rechten ausgeführt.2 Ähnlich wie heutzutage
dürfte Linkshändigkeit auch in der Frühen Neuzeit nur bei etwa 2-5%
der Bevölkerung aufgetreten sein und so wird der Nachweis zumindest
des gelegentlichen Gebrauchs der Linken zum Zeichnen sowohl beim
Vater Hans Holbein d.Ä. als auch beim Bruder Ambrosius auf eine fami-
liäre Disposition hindeuten.3 Daß Hans Holbein d. J. Linkshänder war,
wußte übrigens bereits Karel von Mander zu berichten;4 daß Holbein
selbst auf diesen Umstand bewußt hinwies, indem er sich zumindest
zweifach mit dem römischen Helden und Linkshänder Mucius Scaevola5
identifizierte, betonten kürzlich Oskar Bätschmann und Pascal Griener.6

Selbst Holbeins Geburtsjahr ist nur indirekt zu ermitteln - er wurde
vermutlich Ende des Jahres 1497 oder zu Beginn des darauffolgenden
Jahres als zweites Kind der Malerfamilie Hans Holbeins d. Ä. in Augsburg
geboren.' Auch über seine künstlerischen Anfänge ist nichts Sicheres
bekannt, wenngleich es sehr wahrscheinlich ist, daß er seine Ausbildung
zusammen mit dem älteren Bruder Ambrosius in der Werkstatt des
Vaters erhielt.8 Die frühesten ihm zugeschriebenen Werke stammen aus
seinen Baseler Jahren, d.h. aus der Zeit von 1515 an.

Wie wenig urkundlich Gesichertes wir über Hans Holbein d. J. wissen,
wird deutlich, wenn man die dürren schriftlichen Zeugnisse - Zahlungs-
belege, Rats-, Gerichts- und Zunftprotokolle, Erwähnungen in Briefen
oder auch Veröffentlichungen von Auftraggebern und Bekannten,
schließlich diplomatische Korrespondenzen - sichtet, die noch zu Leb-
zeiten des Künstlers entstanden sind. Dennoch verzichten wir hier
zunächst bewußt auf die Auswertung von Schriftgut, das - wie die Kunst -
kammerinventare des Basilius Amerbach (1533-91) oder die von dessen
Neffen Joh ann Ludwig Iselin (1559—1612) bzw. von Remigius Faesch
(1595-1667) und Charles Patin (1633-93) zusammengestellten biogra-
phischen Notizen und Werklisten9 - z.T. erst lange nach Holbeins Tod
entstanden ist. Hierin unterscheidet sich unsere Darstellung der schrift-
lichen Überlieferung zu Hans Holbein d. J. von allen früheren Versuchen
dieser Art, die die zeitgenössische wie die spätere schriftliche Überliefe-
rung mit Hypothesen vermengt haben, die mit Blick auf tatsächliche
oder auch nur vermeintliche Holbein-Werke entwickelt worden waren.10
Auch wenn die Lücken im faktischen Wissen über Leben und Werk des
Künstlers dadurch umso deutlicher hervortreten, auch wenn nicht aus-
zuschließen ist, daß Schlußfolgerungen, die traditionellerweise aus die-
sem (vorerst) beiseite gelassenen Material gewonnen werden, mit den

historischen Tatsachen durchaus übereinstimmen mögen - unsere Dar-
stellung kann auf diesem Wege nur an Trennschärfe gewinnen, auf die es,
wie in Kürze zu zeigen sein wird, gerade ankommt.

Aus demselben Grund wollen wir auch zunächst die dem Künstler
zugeschriebenen Werke außer Acht lassen, sofern sie nicht durch zeitge-
nössische Schriftzeugnisse zusätzlich beglaubigt sind. Denn unter
Umständen liefern selbst signierte oder monogrammierte Werke nur
eine trügerische Sicherheit: Eine »Hans Holbein« lautende Signatur oder
ein Monogramm »hh« kann - außer auf Hans Holbein d. J. - auch auf
seinen erst im Jahre 1524 verstorbenen Vater hinweisen, über dessen Ver-
bleib und Tätigkeit in seinem letzten Lebensjahrzehnt so wenig bekannt
ist, daß man verschiedentlich eine Zusammenarbeit mit seinem gleich-
namigen Sohn in Luzern und Basel vermutet hat.11 Das Monogramm
»hh« kann darüber hinaus aber auch als das des Baseler Malers Hans
Herbst (1470-1550) aufgelöst werden, mit dem zumindest Ambrosius
Holbein zu Anfang seines Baseler Aufenthaltes, 1516, nachweislich in
Kontakt gestanden hat.1- Nicht anders bei den Buchillustrationen: Ein
Monogramm »hh« kann hier nicht nur den entwerfenden Künstler,
Hans Holbein oder Hans Herbst, sondern auch den Holzschneider Hans
Hermann (tätig zwischen 1516 und 1522) bezeichnen, der seit 1516
zunächst für Straßburger und Baseler Drucker tätig war, danach in Basel
für die Verleger Cratander, Wolff und Curio.13

Die Ergebnisse der Suche nach unzweideutigen Hinweisen auf den
Zeitpunkt von Hans Holbeins d. J. Ankunft in Basel und auf seine frühe-
sten, dort entstandenen Arbeiten können exemplarisch vor Augen füh-
ren, wie begründet die kritische Zurückhaltung gegenüber der frühen,
aber nicht mehr zeitgenössischen Überlieferung sowie selbst gegenüber
scheinbar eindeutig signierten Werken unseres Künstlers ist.

Der sogenannte »Holbein-Tisch« {Tafel 12)14 galt seit seiner »Wieder-
entdeckung« im Jahre 1871 in der Züricher Bibliothek (die er seit dem
frühen 17. Jahrhundert allerdings gar nicht verlassen hatte) für fast ein-
hundert Jahre als das früheste in Basel entstandene Werk des jungen
Hans Holbein. Man nahm an, Holbein habe das auf 1515 datierte,
bemalte Tischblatt im Frühling dieses Jahres für den bereits im Septem-
ber desselben Jahres im Krieg umgekommenen Baseler Kaufmann Hans
Baer geschaffen. Die Authentizität des heute im Züricher Landesmuseum
ausgestellten Kunstwerks, das bereits in Charles Patins im Jahre 1676
veröffentlichter Liste der Holbein-Werke als Arbeit unseres Künstlers
erscheint,15 schien durch die Signatur »hans ho[lbein]« und das Mono-
gramm »hh« unzweifelhaft gesichert. Erst die Überprüfung der Signatur
im Jahre 1966 durch Lucas Wüthrich brachte an den Tag, daß deren tra-
ditionelle Lesung weniger den materiellen Tatsachen als vielmehr dem
Wunschdenken entsprach, eine eindeutige Bestätigung für die eigen-
händige Ausführung durch Hans Holbein d. J. zu gewinnen. Tatsächlich
lautet die Signatur »hans herpst«, und als Werk dieses aus Straßburg
stammenden, aber seit 1492 in Basel ansässigen Künstlers wird der »Hol-
bein-Tisch« seither auch von der überwiegenden Mehrzahl der Forscher
anerkannt. Damit war aber der Annahme, der jüngere Hans Holbein sei
schon im Frühjahr 1515 in Basel tätig gewesen, die Grundlage entzogen.
Zwar spricht einiges für seine Ankunft in Basel im Verlauf des Jahres

»An Unknown Man«. Hans Holbein d. J. in der schriftlichen Überlieferung seiner Zeit 15
 
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