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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0110

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Sicherer Boden.

Die frühen Bildnisaufträge in Basel und Luzern

Es gehört zu den Pointen der Überlieferungsgeschichte des erhaltenen
Holbein-Werks, daß nicht nur an dessen Ende fast ausschließlich Bild-
nisse stehen, sondern daß auch die beiden ersten, dem jungen Hans
sicher zuzuschreibenden Tafelbilder Porträts sind - das Doppelbildnis
des Baseler Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen und seiner Frau
Dorothea Kannengießer, 1516 entstanden und heute im Kunstmuseum
Basel (Tafel 21-22), und das ein Jahr später datierte Bildnis eines Mit-
glieds der Luzerner Patrizierfamilie Hertenstein, vermutlich des Benedikt
von Hertenstein, heute im Metropolitan Museum of Art in New York
(Tafel 23). Beide Arbeiten sind zwar nur mit dem doppelten »H« mono-
grammiert, kommen aber, wie bereits ausgeführt, auf Grund stilistischer
bzw. historischer Argumente weder für den älteren Hans Holbein noch
für Hans Herbst in Frage.1

Doch nicht nur im Ausschlußverfahren lassen sich diese beiden Bild-
nisse für Hans Holbein d. J. sichern. Sie lassen sich außerdem auch unter-
einander und mit seinem ersten mit vollem Namen signierten Bildnis,
dem Amerbach-Porträt von 1519 (Tafel24),2 in engeren Zusammenhang
bringen. Das Ausmaß der Verwandtschaft der drei Werke ist zugleich
größer als deren Ähnlichkeiten mit den übrigen traditionell dem jungen
Holbein zugeschriebenen Gemälden. Dies ist natürlich auch, aber durch-
aus nicht allein, auf den Umstand zurückzuführen, daß es sich bei allen
dreien um Bildnisse handelt.3 Was die drei zunächst zu einer Gruppe
zusammenschließt (und sie vom Herbst-Porträt in Darmstadt nachhal-
tig unterscheidet), ist die Intensität des psychologischen Ausdrucks, die
sich dem Betrachter unmittelbar mitteilt:4 der bullige, höchst selbstbe-
wußt wirkende Politiker, Soldat und Finanzier Meyer, seine zurückhal-
tende, etwas skeptisch dreinblickende Gattin, der - seines zur Schau
gestellten Wohlstands und seiner militärischen Ambitionen ungeachtet -
ein wenig befangen wirkende junge Hertenstein, schließlich der seiner
akademischen Würde bewußte Humanist Amerbach. Ob die hier
absichtlich plakativ vorgetragene psychologisierende Ausdeutung aus der
Distanz eines halben Jahrtausends den Dargestellten in ihrer Eigenwahr-
nehmung bzw. der Beurteilung durch ihre Zeitgenossen gerecht wird,
bleibe dahingestellt und braucht uns in diesem Zusammenhang auch
nicht zu kümmern. Unbestreitbar ist der Grad an Unmittelbarkeit, der
von allen drei genannten Werken auch heute noch ausgeht und der, wie
ein Blick in die Holbein-Literatur verdeutlicht, immer wieder zu derarti-
gen Interpretationen geführt, ja mitunter wohl auch verführt hat.

Bei aller Meisterschaft in der lebendigen Schilderung sind die drei frü-
hen Bildnisaufträge Holbeins doch zugleich auch durch einige Gestal-
tungseigentümlichkeiten, ja zum Teil Gestaltungsschwierigkeiten ge-
kennzeichnet, die wohl noch auf das Konto der relativen Jugend des
Künstlers gehen - als Hans das Bürgermeisterpaar porträtiert, ist er
immerhin erst 17, bestenfalls 18jährig. In seinem späteren Bildnisschaf-
fen sollte der Künstler diese Probleme meistern, doch bis zum Amer-
bach-Porträt wirken sie geradezu signaturhaft. Hier sind zum einen die
im Vergleich zu den Körpern relativ kleinen Köpfe zu nennen. Dies fällt

insbesondere bei der Kannengießerin und beim Hertenstein ins Auge,
doch selbst bei der kompakt wirkenden Gestalt des Jacob Meyer oder der
Büste Amerbachs thront das Haupt jeweils auf einem auffallend volumi-
nösen Oberkörper. An Meyer und Amerbach läßt sich eine weitere
Besonderheit von Holbeins frühem Porträtschaffen beobachten: die
noch nicht zur Gänze bewältigte Schwierigkeit des Anschlusses von Kopf
und Oberkörper. Mag Meyer tatsächlich ein vergleichsweise kurzer Hals
und der Hang zu einem »Buckel« charakterisiert haben,- mag Amerbach
demgegenüber de facto einen ungewöhnlich langen Hals gehabt haben6 -
die jeweiligen Schwierigkeiten mit der Gestaltung des Übergangs von der
Schulterpartie zum Kopf sind hier wie dort (und in variierter Form auch
bei der Frau des Bürgermeisters und bei Hertenstein) unübersehbar. Bei
Meyer kaschiert die bewegte Architekturkulisse des Hintergrundes die
unbewältigte Wiedergabe der Anatomie, bei Amerbach ist es die Staffe-
lung der Krägen von Hemd, Wams und Rock, die die Länge des Halses
verbergen soll, sie dadurch indes eher noch betont. Bei Dorothea Kan-
nengießer und Hertenstein lenken demgegenüber die Halsketten und die
auffällige Musterung der die Halspartie rahmenden Kleidungsstücke von
dieser Problemzone ab. Sicherlich nicht primär Wiedergabe eines jeweils
individuellen Zuges der Auftraggeber, sondern eher Gewohnheit des
Malers ist die auffällige Gestaltung der Augenbrauen: Bei der ansonsten
so detailrealistischen Wiedergabe aller Einzelheiten fällt die schematische
Strichelei der Brauenhaare bei der Kannengießerin, bei Hertenstein und
Amerbach um so stärker auf. Einer merkwürdigen Verzeichnung begeg-
net man bei den frühen Bildnissen übrigens auch bei der Wiedergabe der
Mundpartie - besonders deutlich bei Hertenstein und Amerbach, wo die
geschwollen wirkenden Lippen nur bedingt der durch die Drehung des
Kopfes geforderten perspektivischen Verkürzung folgen/

Ein weiteres gemeinsames Kennzeichen der drei frühen Holbein-Bild-
nisse ist schließlich der Verzicht auf eine den Bildraum zum Betrachter
hin abschließende Brüstung und/oder eine fensterartige Rahmung zu
beiden Seiten und am oberen Bildabschluß. Hierin unterscheiden sich
diese Werke übrigens sowohl von Hans Herbsts Darmstädter Jünglings-
bildnis als auch von Ambrosius Holbeins Baseler Knabenbildnissen, die
nur wenig früher bzw. etwa zeitgleich entstanden sind. Trotz dieses Ver-
zichts auf eine vordere Bildbegrenzung in Form einer Brüstung vermei-
det Holbein in seinen drei frühen Bildnissen soweit wie möglich die Ein-
fügung der Hände: Bei Meyer waren sie ursprünglich in der rechten
Bildecke übereinandergelegt, bei seiner Ehefrau sind sie praktischerweise
unter den langen Ärmelaufschlägen verborgen, beim Hertenstein ist nur
die Linke am unteren Bildrand zu sehen ( und dient hier vor allem der
Identifikation des Dargestellten, trägt er am Ringfinger doch einen Sie-
gelring mit dem Familienwappen), bei Amerbach schließlich legitimiert
das gewählte Büstenformat von vornherein die Konzentration auf Ober-
körper und Haupt des jungen Humanisten - hier ist es bestenfalls die
Inschrifttafel, die von den bildbeherrschenden Gesichtszügen ablenken
könnte.

106 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
 
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