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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0228

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Der »Venus-Maler« und Holbeins Baseler Werkstatt

Traditionell gelten die Baseler Tafelbilder der »Lais Corinthiaca«
(Tafel 53) und der Venus mit dem Amorknaben (Tafel 54) als eng ver-
wandte Werke Hans Holbeins. Der bis heute allgemein geteilten Auf-
fassung zufolge ist das Venus-Bild wegen seiner ebenfalls allgemein
beobachteten gestalterischen Schwächen der 1526 datierten Lais voraus-
gegangen. Dabei soll das leonardeske Frauenideal der Venus und ihre
»sfumateske« Farbbehandlung eine Entstehung bald nach Holbeins
Frankreichreise um das Jahr 1523/24 nahelegen. Diese chronologische
Abfolge - die Venus vor der Lais - ist jedoch angesichts der unüberseh-
baren Abhängigkeit der Venus von der Lais nicht länger aufrecht zu
erhalten.' Wichtiger noch, als Nachfolgewerk der »Lais Corinthiaca«
scheidet die Venus mit dem Amorknaben aus dem eigenhändigen Hol-
bein-CEuvre aus. Sie ist vielmehr das Produkt eines Holbein-Imitators,
der die Abwesenheit des Künstlers von Basel seit Ende August 1526
nutzte, um ein Werk in seinem Stil zu schaffen.

Die Ergebnisse der gemäldetechnologischen Untersuchungen beider
Bilder belegen nun, daß es sich bei diesem Anonymus um einen Werk-
stattmitarbeiter Holbeins gehandelt haben muß. Die Existenz einer sol-
chen Werkstatt, ja selbst einer zeitgleichen Baseler Holbein-Nachfolge, ist
zwar bislang weitgehend verneint worden - weil unter den aus dem
Amerbach-Kabinett stammenden Gemälden nach Aussage des Inventars
nur eigenhändige Holbein-Werke sein sollen. So wählte etwa noch lohn
Hand in seinem 1993 erschienenen Washingtoner Bestandskatalog der
altdeutschen Gemälde für das dortige Bildnis eines jungen Mannes mit
rotem Barett (Tafel 60) die etwas umständliche Bezeichnung »attributed
to Hans Holbein the Younger, c. 1520/30«, obgleich er selbst zahlreiche
Argumente gegen eine eigenhändige Ausführung ins Feld führte. Doch
wie Hand resümierte: »Although the attribution... is questionable, there
are no known followers of Holbein in Basel in the 1520s to whom the
painting might be assigned... Given the high quality of the painting, the
proximity to Holbein, the dearth of comparative material, the likelihood
that the National Gallery's portrait is by Hans Holbein the Younger must
be retained along with the possibility that it is by an anonymous artist
working under his influence«.2

Für die Existenz einer Holbein-Werkstatt spricht indes bereits der
Umstand, daß der Künstler schon seit 1517 neben seiner Aktivität als
Tafelmaler und Entwerfer für den Buchdruck auch als Schöpfer vollstän-
diger Außenbemalungen von Wohnhäusern in Luzern und Basel tätig
gewesen sein muß.3 Anders als diese Projekte hat seine Ausmalung des
Baseler Großratssaals in den Jahren 1521/22 und 1530/31 (Abb. 2-4, 6-7)
auch eindeutigen Niederschlag in den Baseler Archiven gefunden.4 Ohne
einen wohlorganisierten Werkstattbetrieb wären solche Aufträge aber
undurchführbar gewesen. Christian Müller hat dieser Tatsache jüngst in
seinem Bestandskatalog der Baseler Holbein-Zeichnungen Rechnung
getragen, indem er eine ganze Reihe bislang als eigenhändig betrachteter
Blätter der Werkstatt bzw. der mutmaßlich Baseler Nachfolge zugewiesen
hat, ohne dabei allerdings eine eigenständige künstlerische Persönlich-
keit neben Holbein rekonstruieren zu können.5 Ausgehend von einer
näheren Untersuchungen von Lais und Venus wird aber genau dies erst-
mals möglich.

In ihrer maltechnischen Gestaltung sind beide Bilder eng verwandt; dies
betrifft den Bildträger aus Lindenholz,6 die weiße Grundierung, die
Unterzeichnung und den Aufbau der Farbschicht/ Gegenüber dem fast
makellosen Erhaltungszustand der Lais fällt die Venus allerdings deutlich
ab, was indes nicht zuletzt auch der besonderen Bildgenese der Venus-
Tafel geschuldet ist.8 Beide Gemälde wurden in den späten 1980er Jahren
erstmals im Baseler Kunstmuseum infrarotreflektographisch untersucht;
die Ergebnisse wurden allerdings nur an entlegener Stelle publiziert und
lediglich aus journalistischer Sicht oberflächlich und teilweise auch falsch
interpretiert.9 Am bemerkenswertesten erschien die Veränderung an der
Linken der Venus: Verschwindet ihre Hand in der Farbfassung des
Gemäldes unschön hinter Amors Kopf, so zeigt die Unterzeichnung sie
auf der Schulter des Knaben ruhend (Abb. 174).10

Bei genauerer Betrachtung zeigen sich die beiden Unterzeichnungen in
ihrer Entstehung viel komplexer als bisher angenommen. Vor allem
erlaubt aber ihr Vergleich weitreichende Rückschlüsse auf das Binnen-
verhältnis der beiden Gemälde und damit auf deren jeweiligen Schöpfer.
Beginnen wir mit der »Lais Corinthiaca« (Abb. 166). Die gänzlich lineare
Unterzeichnung weist auffällige Gestaltungsunterschiede auf: Die Kon-
turlinien von Stirn- und Kinnpartie wirken ebenso wie der leicht geöff-
nete Mund, die Nasenflügel, die Brauen und Augenpartie, dort vor allem
die Pupillen, starr und unbelebt. Die vermutlich mit einem Stift, sicher-
lich aber mit einem trockenen Zeichenmittel ausgeführten Linien sind
meist lang ausgezogen, setzen z.T. aber grob korrigierend neu an
(Abb. 167). Technisch analog, doch handschriftlich anders fällt die Unter-
zeichnung der Hände aus. Dies wird besonders gut an der ausgestreckten
Rechten erkennbar, wo jedes einzelne Fingerglied mit einer rasch und
sicher ausgeführten, summarischen Umrißlinie festgehalten wird
(Abb. 168). Noch freier sind die (nun anscheinend mit Pinsel und einem
flüssigen Unterzeichnungsmittel ausgeführten)11 Angaben zum Falten-
verlauf der Kleidung der Lais - hier genügen dem Maler lässig hin-
gestrichene, ja im Duktus geradezu elegant erscheinende, allgemeine
Formvorgaben zur Vorbereitung des Malprozesses (Abb. 169). Doch
gleichgültig, ob präzise wie bei den Augäpfeln oder frei improvisierend
wie in den Falten der Ärmel, der Künstler fühlte sich bei der Farbausfüh-
rung des Gemäldes nicht übermäßig stark an seine Unterzeichnung
gebunden: Der gemalte Kopf der Lais wurde bereits beim ersten farbigen
Pinselstrich deutlich höher plaziert, außerdem in weniger ausgeprägter
Neigung, als dies die Unterzeichnung vorgesehen hatte. Die Rechte
wurde in der Farbfassung verkleinert, das fordernde Motiv der stärker
zugreifend gezeigten unterzeichneten Hand in der endgültigen Fassung
zudem »entschärft«, zeigt die Lais doch nun die Innenseite der zum
Betrachter ausgestreckten Hand.12

Die unterschiedlichen Unterzeichnungsmodi, die bei der Lais zum
Einsatz gekommen sind, können dank der Beobachtungen von Maryan
Ainsworth an zahlreichen, seit dem ersten Englandaufenthalt entstande-
nen Bildnissen Holbeins leicht erklärt werden:13 Wie Ainsworth erstmals
bei dem 1527 datierten Bildnis der Mary Wotton, Lady Guildford, im
Saint Louis Art Museum (Tafel 69) nachweisen konnte,14 übertrug Hol-
bein die Unterzeichnung von Lady Guildfords Gesicht auf mechani-

224 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
 
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