Die Reise nach Frankreich 1523/24.
Der Kontakt mit dem »1520s Hours Workshop«
und mit Werken des Andrea Solario
Vielleicht schon im Verlauf des Jahres 1523, spätestens aber in der ersten
Jahreshälfte 1524 muß Hans Holbein d.J. Basel verlassen und eine Reise
nach Frankreich angetreten haben.1 Diese Unternehmung, auf die Eras-
mus von Rotterdam in seiner Korrespondenz mit Willibald Pirckheimer
anspielt, hinterließ unübersehbare Spuren im künstlerischen Schaffen
des Malers. Der Eindruck von Werken italienischer, französischer und
franko-flämischer Künstler, denen Holbein hier begegnete, führte zu
einer raschen, sukzessiven Veränderung seiner künstlerischen Aus-
drucksweise - man kann sogar sagen, Holbein fand erst in der Folge die-
ser Begegnung endgültig zu seinem unverwechselbaren Stil. Der Ver-
gleich des 1521/22 entstandenen Toten Christus im Grabe (Tafel29) und
der 1522 datierten »Solothurner Madonna« (Tafel 32) mit den Baseler
»Passionsflügeln« (Tafel 42) oder den sogenannten »Oberried-Flügeln«
im Freiburger Münster (Tafel 36-37) kann diesen eindrucksvollen Wan-
del, der sich in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum vollzog, anschau-
lich machen. In Gemälden wie der Baseler »Lais Corinthiaca« von 1526
(Tafel 53), der nicht viel früher begonnenen »Darmstädter Madonna«
132 Hans Holbein d.J., Jeanne de Boulogne, Herzogin von Berry, Zeichnung, Basel,
Kunstmuseum, Kupferstichkabinett
(Tafel 61) oder dem 1527 datierten Bildnis des Thomas More in der
New Yorker Frick Collection (Tafel 66) fand diese Entwicklung ihren vor-
läufigen Höhepunkt.
So wenig die näheren Daten von Holbeins Frankreichreise bekannt
sind, so wenig kennt man die Einzelheiten seiner Reiseroute. Lediglich
eine Etappe steht bisher eindeutig fest, denn die beiden heute im Baseler
Kupferstichkabinett aufbewahrten, farbigen Kreidezeichnungen nach
den im frühen 15. Jahrhundert entstandenen Grabskulpturen von Jean
de France und Jeanne de Boulogne, Herzog und Herzogin von Berry
(Abb. 132-133)} können nur vor Ort in der Kapelle des Herzogspalastes
in Bourges entstanden sein. Auf einen Besuch in Blois mag Holbeins Dar-
stellung des Palastes der »Kaiserin« in der Serie der »Bilder des Todes«
hindeuten, erinnert dieser mit seinen Galerien und den bis auf eine
unausgeführt gebliebenen Lukarnen doch an die der Stadt Blois zuge-
wandte Fassade des dortigen Schlosses.3 Für einen Besuch in Blois spricht
auch der Umstand, daß sich hier eine der bevorzugten Residenzen des
französischen Königs Franz I. (1494-1547) befand. Denn obgleich sich
133 Hans Holbein d.J., Jean de France, Herzog von Berry, Zeichnung, Basel, Kunstmuseum,
Kupferstichkabinett
Die Reise nach Frankreich 1523/24. Der Kontakt mit dem »1520s Hours Workshop« und mit Werken des Andrea Solario 191
Der Kontakt mit dem »1520s Hours Workshop«
und mit Werken des Andrea Solario
Vielleicht schon im Verlauf des Jahres 1523, spätestens aber in der ersten
Jahreshälfte 1524 muß Hans Holbein d.J. Basel verlassen und eine Reise
nach Frankreich angetreten haben.1 Diese Unternehmung, auf die Eras-
mus von Rotterdam in seiner Korrespondenz mit Willibald Pirckheimer
anspielt, hinterließ unübersehbare Spuren im künstlerischen Schaffen
des Malers. Der Eindruck von Werken italienischer, französischer und
franko-flämischer Künstler, denen Holbein hier begegnete, führte zu
einer raschen, sukzessiven Veränderung seiner künstlerischen Aus-
drucksweise - man kann sogar sagen, Holbein fand erst in der Folge die-
ser Begegnung endgültig zu seinem unverwechselbaren Stil. Der Ver-
gleich des 1521/22 entstandenen Toten Christus im Grabe (Tafel29) und
der 1522 datierten »Solothurner Madonna« (Tafel 32) mit den Baseler
»Passionsflügeln« (Tafel 42) oder den sogenannten »Oberried-Flügeln«
im Freiburger Münster (Tafel 36-37) kann diesen eindrucksvollen Wan-
del, der sich in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum vollzog, anschau-
lich machen. In Gemälden wie der Baseler »Lais Corinthiaca« von 1526
(Tafel 53), der nicht viel früher begonnenen »Darmstädter Madonna«
132 Hans Holbein d.J., Jeanne de Boulogne, Herzogin von Berry, Zeichnung, Basel,
Kunstmuseum, Kupferstichkabinett
(Tafel 61) oder dem 1527 datierten Bildnis des Thomas More in der
New Yorker Frick Collection (Tafel 66) fand diese Entwicklung ihren vor-
läufigen Höhepunkt.
So wenig die näheren Daten von Holbeins Frankreichreise bekannt
sind, so wenig kennt man die Einzelheiten seiner Reiseroute. Lediglich
eine Etappe steht bisher eindeutig fest, denn die beiden heute im Baseler
Kupferstichkabinett aufbewahrten, farbigen Kreidezeichnungen nach
den im frühen 15. Jahrhundert entstandenen Grabskulpturen von Jean
de France und Jeanne de Boulogne, Herzog und Herzogin von Berry
(Abb. 132-133)} können nur vor Ort in der Kapelle des Herzogspalastes
in Bourges entstanden sein. Auf einen Besuch in Blois mag Holbeins Dar-
stellung des Palastes der »Kaiserin« in der Serie der »Bilder des Todes«
hindeuten, erinnert dieser mit seinen Galerien und den bis auf eine
unausgeführt gebliebenen Lukarnen doch an die der Stadt Blois zuge-
wandte Fassade des dortigen Schlosses.3 Für einen Besuch in Blois spricht
auch der Umstand, daß sich hier eine der bevorzugten Residenzen des
französischen Königs Franz I. (1494-1547) befand. Denn obgleich sich
133 Hans Holbein d.J., Jean de France, Herzog von Berry, Zeichnung, Basel, Kunstmuseum,
Kupferstichkabinett
Die Reise nach Frankreich 1523/24. Der Kontakt mit dem »1520s Hours Workshop« und mit Werken des Andrea Solario 191