kein Dokument erhalten hat, das eindeutige Auskunft über die Gründe
für Holbeins Frankreichreise geben könnte, spricht doch einiges dafür,
daß er schon 1523/24 am französischen Hof suchte, was er erst Jahre spä-
ter in London finden sollte: Arbeit als (Hof-) Künstler.4 Mochten die
Künste in Basel auch erst im Jahre 1526 definitiv »frieren«, um Erasmus'
berühmte Briefpassage an Thomas More zu zitieren,"1 und es Holbein
deshalb nach England treiben - die Baseler Auftragssituation dürfte
angesichts der heraufziehenden Reformation auch schon zwei bzw. drei
Jahre zuvor nicht rosig gewesen sein.6 Wie wir gleichfalls aus Erasmus'
Brief an Pirckheimer erfahren, muß Holbein ein Bildnis des Humani-
stenfürsten im Reisegepäck gehabt haben. Dieses hätte nicht nur als eine
Probe von Holbeins Porträtkünsten dienen können, es hätte zugleich die
Funktion eines Empfehlungsschreibens durch Erasmus gehabt, um den
sich Franz I. um diese Zeit sehr bemühte.7
Am französischen Hof und in dessen verschiedenen Residenzen dürfte
sich Holbein Gelegenheit geboten haben, Werke der von Franz I.
besonders geschätzten und gesammelten italienischen Künstler wie Leo-
nardo da Vinci (1452-1519) und seines Kreises zu sehen.8 Doch anders
als bisher angenommen, waren es hier weniger Leonardos eigene Werke,
134 »1520s Hours Workshop«, September-Miniatur, Stundenbuch, Paris, Bibliotheque
Nationale, Smith-Lesouef Ms. 42, fol. 13
die Eindruck auf Holbein machten, sondern solche des Mailänders
Andrea Solario (um 1465-1524), die sich in Frankreich befanden. Wir
kommen hierauf in Kürze zurück.
In Frankreich muß Holbein auch mit der Technik der farbigen Kreide-
zeichnung in Berührung gekommen sein, die er erstmals bei seinen
schon erwähnten Zeichnungen der Grabskulpturen des Herzogspaares
von Berry in Bourges anwandte. Hatte er zuvor in der Tradition der deut-
schen Zeichner - man denke nur an das Werk seines eigenen Vaters - vor
allem mit dem Silberstift gearbeitet, so sollten von nun an bei seinen
Bildniszeichnungen die farbigen Kreiden vorherrschen.9 In Frankreich
wurde diese Zeichentechnik zur Zeit von Holbeins Besuch vor allem im
Kreis Jean Clouets (um 1480-1541), des Hofmalers Franz L, für Bildnis-
zeichnungen angewendet,10 und ein direkter Kontakt Holbeins mit dem
aus den Niederlanden stammenden Künstler scheint möglich.11
Wie kürzlich erst von Stephanie Buck vermutet,12 kam er in Paris aber
offenbar auch in Kontakt mit dortig ansässigen, ausgesprochen interna-
tional ausgerichteten Künstlerwerkstätten. Deren Mitglieder verfolgten
nicht nur die Tätigkeit ihrer italienischen Kollegen höchst aufmerksam,
sie standen außerdem auch in unmittelbarem, wechselseitigen Austausch
135 »1520s Hours Workshop«, September-Miniatur, Stundenbuch des Jean de Mauleon, Bal-
timore, Walters Art Gallery, Ms. 449, fol. lOv
192 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
für Holbeins Frankreichreise geben könnte, spricht doch einiges dafür,
daß er schon 1523/24 am französischen Hof suchte, was er erst Jahre spä-
ter in London finden sollte: Arbeit als (Hof-) Künstler.4 Mochten die
Künste in Basel auch erst im Jahre 1526 definitiv »frieren«, um Erasmus'
berühmte Briefpassage an Thomas More zu zitieren,"1 und es Holbein
deshalb nach England treiben - die Baseler Auftragssituation dürfte
angesichts der heraufziehenden Reformation auch schon zwei bzw. drei
Jahre zuvor nicht rosig gewesen sein.6 Wie wir gleichfalls aus Erasmus'
Brief an Pirckheimer erfahren, muß Holbein ein Bildnis des Humani-
stenfürsten im Reisegepäck gehabt haben. Dieses hätte nicht nur als eine
Probe von Holbeins Porträtkünsten dienen können, es hätte zugleich die
Funktion eines Empfehlungsschreibens durch Erasmus gehabt, um den
sich Franz I. um diese Zeit sehr bemühte.7
Am französischen Hof und in dessen verschiedenen Residenzen dürfte
sich Holbein Gelegenheit geboten haben, Werke der von Franz I.
besonders geschätzten und gesammelten italienischen Künstler wie Leo-
nardo da Vinci (1452-1519) und seines Kreises zu sehen.8 Doch anders
als bisher angenommen, waren es hier weniger Leonardos eigene Werke,
134 »1520s Hours Workshop«, September-Miniatur, Stundenbuch, Paris, Bibliotheque
Nationale, Smith-Lesouef Ms. 42, fol. 13
die Eindruck auf Holbein machten, sondern solche des Mailänders
Andrea Solario (um 1465-1524), die sich in Frankreich befanden. Wir
kommen hierauf in Kürze zurück.
In Frankreich muß Holbein auch mit der Technik der farbigen Kreide-
zeichnung in Berührung gekommen sein, die er erstmals bei seinen
schon erwähnten Zeichnungen der Grabskulpturen des Herzogspaares
von Berry in Bourges anwandte. Hatte er zuvor in der Tradition der deut-
schen Zeichner - man denke nur an das Werk seines eigenen Vaters - vor
allem mit dem Silberstift gearbeitet, so sollten von nun an bei seinen
Bildniszeichnungen die farbigen Kreiden vorherrschen.9 In Frankreich
wurde diese Zeichentechnik zur Zeit von Holbeins Besuch vor allem im
Kreis Jean Clouets (um 1480-1541), des Hofmalers Franz L, für Bildnis-
zeichnungen angewendet,10 und ein direkter Kontakt Holbeins mit dem
aus den Niederlanden stammenden Künstler scheint möglich.11
Wie kürzlich erst von Stephanie Buck vermutet,12 kam er in Paris aber
offenbar auch in Kontakt mit dortig ansässigen, ausgesprochen interna-
tional ausgerichteten Künstlerwerkstätten. Deren Mitglieder verfolgten
nicht nur die Tätigkeit ihrer italienischen Kollegen höchst aufmerksam,
sie standen außerdem auch in unmittelbarem, wechselseitigen Austausch
135 »1520s Hours Workshop«, September-Miniatur, Stundenbuch des Jean de Mauleon, Bal-
timore, Walters Art Gallery, Ms. 449, fol. lOv
192 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32