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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0352

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Exkurs 1:

Die Madonna mit Kind von 1514 im Baseler Kunstmuseum

Die Ungewißheit um die künstlerischen Anfänge Hans Holbeins d. J. hat
die kunsthistorische Forschung seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert
nicht nur Zuflucht zu den scheinbaren Sicherheiten altehrwürdiger
»Holbein-Mythen« nehmen lassen. Sie hat sie auch immer wieder dazu
verleitet, in schönstem Wunschdenken auch äußerst fragwürdige »Evi-
denz« sogleich als Beweis für ihre jeweiligen Annahmen zu präsentieren.
Selbst dann, wenn sich die eigentliche »Beweisführung« längst als irrig
erwiesen hatte, wurden die daraus gezogenen Schlußfolgerungen häufig
unkritisch beibehalten. Ein Paradebeispiel für das Arbeiten mit vorge-
faßten Meinungen ist ein nur schlecht erhaltenes, inschriftlich ins Jahr
1514 datiertes, doch nicht signiertes Madonnenbild im Baseler Kunst-
museum {Abb. 279),1 das zunächst als frühestes erhaltenes Werk Hans
Holbeins d. J. betrachtet worden ist, und das nunmehr überwiegend als
»Erstling« seines Bruders Ambrosius gilt. Dennoch gibt es auch heute
noch Anhänger der traditionellen Attribution.

Hinter einer steinernen Brüstung, hinterfangen von einem Fenster,
dessen seitliche Einfassungen ebenso wie der Sturz von Putten belebt
wird, erscheint Maria mit dem Kind in Halbfigur vor hellblauem Grund.
Maria sitzt leicht nach links gewandt und hat den nackten Christuskna-
ben vor sich auf den Schoß gesetzt, um ihm die Brust zu geben, wie ihr
teilweise geöffnetes Kleid anzeigt. Das muntere Kind hat sich indes von
der Mutter abgewandt und blickt aufmerksam, als habe es just die Anwe-

279 Konstanzer (?) Meister im Umkreis des Matthäus Gutrecht d.J., Madonna mit Kind,
Basel, Kunstmuseum

senheit des Betrachters bemerkt, neugierig zu diesem aus dem Bilde her-
aus. Die Beinchen tapsig übereinanderlegend und spielerisch die Zehen
bewegend, greift es mit der Linken zum Arm der Mutter. Während diese
mit ihrer linken Hand den Oberkörper ihres Sohnes stützt, hat sie ihre
Rechte an dessen Kinn geführt, als wolle sie das Kind behutsam wieder
zur Brust zurückführen, wobei sie mit geneigtem Kopf mütterlich zu ihm
niederblickt. Maria trägt ein reich plissiertes Kleid aus dünnem, weißem
Stoff, das an Kragen und Ärmeln mit goldener Zierstickerei versehen ist.
Die Ärmel sind in der Mitte der Oberarme durch eine Zierborte eng
umschlossen, darüber und darunter aber stark gebauscht; an den Unter-
armen schließlich weiten sich die Ärmel zu stoffreichen Trichtern. Ein
dunkelblauer Mantel fällt über den Schultern herab und liegt auf den
Knien. Mariens lange, hellbraune und leicht gelockte Haare quellen unter
einer mit dunklen Steinen und Perlen besetzten Bügelkrone hervor.

Die Maria und Kind hinterfangende Fensterrahmung ist aus hellem
Marmor gearbeitet; die seitlichen Pilasterspiegel und -kapitellkörper
sind demgegenüber wie der Architravbalken aus schwarzem Stein. Von
diesem hebt sich eine nackte Puttenschar wirkungsvoll ab. Je zwei der
kindlichen Engelsgestalten turnen in dem eigentlich flächenbezogen
gedachten Grotesk-Dekor der Pilasterspiegel und halten gestielte In-
schrifttäfelchen der Gottesmutter entgegen, die heute indes bis auf
wenige, unleserliche Buchstabenreste leer sind.2 Drei weitere Putten be-
festigen eine grüne Blattgirlande über der Madonna: Ein Putto sitzt in
der Mitte des Fenstersturzes, je einer vor den beiden Pilasterkapitellen.
Sechs weitere Putti bevölkern das obere Fenstergesims und hantieren mit
den Passionswerkzeugen, die sie zugleich von ihrem luftigen Aufent-
haltsort aus nach unten in Richtung Christuskind vorweisen.3 Zu Seiten
des Hauptes Mariens hängt an einem weißen Band je ein von einem
Blattkranz gerahmter Wappenschild von der Girlande herab. Das heral-
disch rechte zeigt ein goldenes Kreuz auf blauem Grund, das heraldisch
linke auf rot-silber geteiltem Schild zwei gekreuzte Lilienszepter in
gewechselter Farbe. Auf der Brüstung schließlich steht in Großbuch-
staben die Maria verherrlichende Inschrift: »QVE. VIRGO. PEPERIT.
VIRGO. Q[VE]. PERMANET. LACTAVIT. PROPRIIS. VBERIBVS.
DEV[M]. / PORTANTEMQJVE]. GEREBAT. VLNIS. PRONA. TRE-
MENTIBUS. M. D. XIIII.« (Sie, die als Jungfrau gebar und Jungfrau blieb,
nährte Gott mit ihrer eignen Brust und trug ihn mit zitternden Armen
über alle Fährnisse. 1514).4

Bei seiner Entdeckung gegen Ende des 19. Jahrhunderts schien die Ein-
ordnuno; des Madonnenbildes keinerlei Probleme zu bereiten, trug es
doch das Monogramm »HH«. So wurde es als das früheste erhaltene
Werk Hans Holbeins d. J. freudig begrüßt. Aber bereits »...bei der ersten,
oberflächlichen Restauration« nach der Erwerbung des Bildes durch die
Öffentliche Kunstsammlung im Jahre 1876 wurde das Monogramm als
falsch erkannt und entfernt"1 - was der Betrachtung des Gemäldes als
Holbein-Werk indes keinen Abbruch tat. Denn als Arthur B. Chamber-
lain im frühen 20. Jahrhundert auf dem unteren der beiden Inschrift-
täfelchen links erneut ein Monogramm, diesmal das des älteren Holbein-
Bruders Ambrosius, »entdeckte«, konnten zwar nur die wenigsten
Holbein-Forscher seine Lesart nachvollziehen,6 doch die Baseler Ma-

348 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
 
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