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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0053

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Zweifel an der Qualität der Groothschen Restaurierung der Passions-
tafeln kamen erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Als im Jahre
1834 die Baseler Holbein-Gemälde anläßlich der Aufteilung des Kantons
Basel in Stadt und Landschaft durch den eidgenössischen Gutachter
Armand von Werdt (1805-41) geschätzt wurden, hielt dieser fest, die
einzelnen Stücke seien von durchaus ungleichem Kunstwert und insbe-
sondere das Bild der Geißelung Christi »...ist von so verschiedenem
Gehalt, sowohl in Hinsicht auf Zeichnung als Colorit, daß man es eher
einem andern Meister zuschreiben möchte oder wenigstens dafür halten
muß, daß es repariert und ungeschickt retouchiert, vielleicht sogar gänz-
lich copiert worden sey, zumal es die rechte Oberader [sie] des Gesamt-
bildes ausmacht, wo leicht durch Beschädigungen das Originalbild
könnte zu Grunde gegangen seyn.«16

Von Werdt wies, wie anschließend auch Alfred Woltmann,1' außerdem
auf die »abgestorbenen« Schatten in den Grüntönen als mögliche Folge
von Grooths Restaurierung hin. Im Jahre 1867 vermutete Ralph N. Wor-
num erstmals eine vollständige Übermalung durch Grooth,18 die für
Gerald S. Davies bereits eine Tatsache darstellte, von der auch zahlreiche
nachfolgende Holbein-Forscher ausgingen.19

Ulrich Christoffel hielt die »Passionsflügel« (wie die zugehörig
geglaubte Abendmahlstafel) als ».. .wahrscheinlich bis zur Unkenntlich-
keit entstellt«,20 während Heinrich Alfred Schmid »...jenen eigentüm-
lich hartbunten und dabei geleckten Charakter..., der uns heute stört
und unvorsichtige Beurteiler schon dazu verführt hat, das Werk über-
haupt dem Meister abzusprechen«, in jedem Falle auf Grooths Eingriff
zurückführen wollte:

»Ein etwas bunt wirkendes Kolorit findet sich auch bei Schülern Lionar-
dos in Mailand, zum Beispiel bei Gaudenzio Ferrari, allein erst durch die
Restauration dürfte die Buntheit ihren unkünstlerischen Charakter
erhalten haben.«21

Unter allen Autoren, die die beiden Tafeln auf Grund ihres vermeint-
lich beeinträchtigten Zustands kritisierten, unternahm allein Schmid den
Versuch, die seines Erachtens von Grooth »überarbeiteten« Partien bzw.
die unberührt gebliebenen Teile im Einzelnen zu analysieren, wobei er
nachdrücklich auf die Schwierigkeiten der sicheren Abgrenzung zwi-
schen »alt« und »neu« hinwies. Durchgängig schien ihm allerdings
»...viel von der schlagenden Wirkung« aller Szenen durch die Verfla-
chung des Gesichtsausdrucks der Figuren infolge der »Ueberpinselung«
verloren gegangen zu sein.22

Gegenüber dem Chor der Kritiker der Groothschen Restaurierung
nehmen sich die wenigen Stimmen seiner Verteidiger recht dünn aus. So
betonte schon Woltmann (allerdings nur in der englischen Ausgabe sei-
nes Holbein-Buchs),23 Grooths Tätigkeit habe sich auf eine sorgfältige
Reinigung und kleine Retuschen beschränkt und dies sei in den Univer-
sitätsakten dokumentiert, ohne allerdings hierzu nähere Angaben zu
machen. Auch Paul Ganz verwarf seine anfängliche Ablehnung des heu-
tigen Zustands der »Passionsflügel« und bestätigte, eine »...genaue
Untersuchung der Farben« habe ihre Ursprünglichkeit erwiesen.24 Doch
es sollte weitere siebzig Jahre dauern, bis Bernd W. Lindemann 1997 das
Ergebnis einer gründlichen maltechnischen Untersuchung in der Restau-
rierungswerkstatt der Öffentlichen Kunstsammlung mitteilen konnte,
die einem vollständigen Freispruch für Nikolaus Grooth und seine
Fähigkeiten als Restaurator gleichkommt: »Tatsächlich erwies sich die
Malerei als besonders sorgfältig aufgebaut; sie zeigt die für Hans Holbein
d. J. charakteristischen Schwundrisse. Es gibt keinerlei Anzeichen für eine
spätere Überarbeitung.«25

Doch abgesehen vom Augenschein, der den für ein Gemälde des
16. Jahrhunderts hervorragenden Erhaltungszustand der Malerei der
»Passionsflügel« vor allem mit Blick auf die nahezu unverletzten obersten
Lasurschichten belegt, denen sich der feinmalerische Eindruck der Bilder
in ganz besonderem Maße verdankt,26 gibt es ein weiteres Zeugnis für die
offenkundig hervorragende Arbeit, die Nikolaus Grooth bei seiner
Restaurierung geleistet hat - nämlich alle übrigen Holbein-Gemälde in
der Baseler Öffentlichen Kunstsammlung!

Bislang von der Forschung weitgehend unbeachtet (abgesehen von dem
kursorischen Hinweis bei Woltmann und jüngst im Ausstellungskatalog
»Ein Schulmeister schilt vf beiden Seiten gemolt« 1997),2/ befinden sich
im Baseler Staatsarchiv Akten, die nicht nur Grooths Restauratorentätig-
keit belegen, sondern die darüber hinaus interessante Einblicke in das
Procedere einer solchen Restaurierungskampagne in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts gewähren. Vor allem aber bieten diese Unterlagen
einen überraschend detaillierten Blick auf den damaligen Zustand der
Baseler »Holbein-Bilder«.

Zum ersten Mal hören wir im Protokoll der Regenz der Baseler Uni-
versität vom 14. Juni 1769 von Überlegungen, »...ob nicht nöthig sey,
einige Holbeiniana, die laut dem Bericht H. von Mechel albereit schad-
haft, und gefahr lauffen, mit der Zeit gäntzl. ihre Schönheit zu verlieren,
durch H Groot Kunstmahler repariren zu laßen.«28

Der hier genannte, undatierte »Bericht« des Baseler Kupferstechers,
Kunsthändlers und Verlegers Christian von Mechel (1737-1817)29 trug
folgendes vor:

»Bericht Von H. Von Mechel, über die Reparation der Holbeinischen
Gemällden auff der Mucken30.
P: P:

Die Sorgsamkeit die man alten Gemählden leistet, kan sich auf keine
würdigeren Gegenstände, als auf die kostbaren Überreste Holbeinischer
Gemähide in unserer Stadt erstrecken; Ihre Erhaltung erfordert sichtbar-
lich gute und angemeßene Mittel, entfernet von denjenigen die eine
unwissende Hand zum Schaden so vieler von treflichen Stücken oft
anwendet, und bey welchen sicherlich besser wäre die Sachen im alten
Stande zu lassen.

Die Übung und gründliche Kenntnuß also eines solchen Arztes, ist ein-
zig der wichtigste Umstand, ist dieser gewiß, so werde kein eiferiger Lieb-
haber und Kenner wenn er davon Eigenthümer wäre, nicht einen Augen-
blick warten, diese Gemähide einem würklich geübten anzuvertrauen.
Seine Beweggründe darzu würden diese seyn:

1°. Sobald sich alte Gemälde heben, oder Splitter ausspringen, so ist es
eine Anzeige eines nach und nach zu beförchtenden ganzen Ablösens, zu
welchem ein von Jahrhunderten her darauf haftenden Staub das gerade-
ste Mittel ist; denn bekannt ist, daß der Staub unter die beissenden Dinge
gehört;

2°. Zudem hat er da auch ohne Sprünge eine andere böse Würkung,
durch lange Zeiten setzt er sich mit der off feuchten Luft vermenget, wie
eine Haut festet auf die Gemähide an, verdunklet sie, und benimmt dem
Auge hundert schöne Farben, Mischungen und Töne, die Kenner auf
ihren Reisen ehender an den wol unterhaltenen Holbeinen, die der König
in Frankreich und der Groß-Hertzog zu Florenz hat, bewundern müssen,
und die bey den unseren wie unter einem Flore verstecket sind.
3°. Ein dringender Beweggrund ist auch bey Gemählden auf Holtz, wenn
sie übel zusammengesezt sind; Immer mehr gehen die Fugen auseinan-
der, und geben einen heßlichen Anblick. Das Holbeinische Abendmahl

Bis zur Unkenntlichkeit entstellt? Die Restaurierung der Baseler Holbein-Gemälde durch Nikolaus Grooth 49
 
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