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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0062

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23 Leonardo da Vinci, Das Letzte Abendmahl, Mailand, S. Maria delle Grazie

sionsflügel« und die Abendmahlstafel in Basel oder die Flügelbilder des
»Oberried-Altars« (Tafel 36-37),'' heute im Freiburger Münster, als
Beweisstücke für Holbeins angebliche frühe Italienfahrt angeführt, die
ihrerseits dann die Datierung der genannten Werke bald nach 1517-19
belegen sollten.18 Selbst Hermann Grimms schon im Jahre 1867 veröf-
fentlichter Hinweis, Holbein habe die Kunst Leonardos und seines Krei-
ses auch während seines mutmaßlichen Frankreichaufenthalts im lahre
1523/24 kennengelernt haben können,19 sollte auf diese Sicht der Dinge
nur bedingt Einfluß gewinnen.

Das erstaunliche Phänomen dieser Italien-Fixierung wird teils durch die
romantisch grundierte Italien-Sehnsucht, teils durch die nationale Über-
höhung der deutschen Kunstgeschichtsschreibung seit der Mitte des
19. Jahrhunderts erklärlich. Erst die Italienreise verlieh Holbein die höch-
sten Weihen eines »Renaissancekünstlers«, der sich schon deshalb auch
mit den größten italienischen Künstlern messen konnte, weil seine Lei-
stung so viel ungünstigeren Ausgangsbedingungen abgerungen worden
war. So sah sich etwa Alfred Woltmann im Jahre 1866 bei Betrachtung des
von ihm noch als Jugendwerk Hans Holbeins d. J. gewerteten Sebastians-
Altars in der Alten Pinakothek in München (Abb. 28)20 »immer« dazu
gedrängt, »...Holbeins Jugendwerk mit dem berühmten Jugendwerke
Rafaels, der Sposalizio, zu vergleichen, welche dieser ganz in demselben
Alter gemalt. Beide Gemälde sind werth mit einander genannt zu wer-
den. Anmuth in Form und Empfindung ist die hervorragende Eigen-
schaft beider. Worin der Italiener dennoch überlegen sein muß, das liegt
klar vor Augen, daraufbrauchen wir nicht hinzuweisen. Aber in einem
Punkte gebührt auch dem Deutschen der Preis; unter der lieblichen
Hülle wohnt so früh schon bei ihm entschiedenere Kraft. - Fragen wir
indeß, wie beide Werke sich verhalten zu dem, was ihnen vorausgegan-
gen und was sonst neben ihnen geleistet ward, so kann der Schritt, den
der junge Rafael zurücklegt, nicht im entferntesten mit dem sich messen,
welchen Holbein gethan.«21 Prekärerweise mußte Woltmann allerdings
schon in der Neuausgabe seines Holbein-Buchs im Jahre 1874 seine
Zuschreibung korrigieren - mit dem »Sebastians-Altar« ging eines der
vermeintlichen Hauptwerke des »deutschen Raffael« nun an dessen
Vater, Hans Holbein d.Ä."

War Raffael für die deutsche Holbein-Forschung des 19. Jahrhunderts
der Antipode ihres Helden in Italien, so wurde die deutsche Renaissance-
malerei um die beiden alles überragenden Künstlergenies Dürer und
Holbein gruppiert.23 Mit seiner Reise über die Alpen konnte der jüngere
Holbein es nun auch in dieser Hinsicht mit dem älteren Dürer aufneh-
men: Bei Dürer erwachte, wiederum Woltmann zufolge, »... das Streben
nach Läuterung der Form, seine Reise nach Venedig bleibt nicht ohne
Einfluß, er zuerst schafft die theoretische Grundlage für die Principien
der Renaissance... Er erkennt, daß die Einfachheit der Natur die höchste
Zier der Kunst sei... Endlich näherte er diesem Ziele sich wenigstens in
einem Werke, den vier Aposteln, in denen er zwar nicht die vollendete
Formenschönheit, wohl aber die ungetrübte, schlichte Größe des Stils
gewinnt.

Wo seine Arbeit aufhörte, setzte Holbeins Thätigkeit ein. Er führte prac-
tisch durch, was Dürer theoretisch erkannte, ihm war vom Anfang eigen,
was Dürer nur im letzten Werk und auch da nur annähernd erreichte: der
freie Sinn für die Schönheit der Form. Nicht der Einfluß Italiens, ob auch
später fördernde Einwirkungen von dorther hinzutreten, ist es, der Hol-
bein diese Bahn führt, sondern selbständig vom Wege der nordischen
Kunst und ihrem Realismus gelangt er dazu...

Wie er sich eine Stätte seines Wirkens im Auslande sucht, als sie ihm
daheim nicht gewährt wird, so nimmt er auch fremde Bildungselemente,
wo er sie findet, auf. Er versteht es, wirklichen Vortheil aus dem Studium
der Italienischen Kunst zu ziehen, deren Einwirkungen Deutschen und
Niederländischen Künstlern der Zeit zum Unheil ausschlugen; während
diese äußerlich nachahmen statt nur zu lernen, ist sein eigener Charakter
stark genug, um das Fremde wahrhaft verarbeiten zu können.«24

Woltmanns deutschnational inspirierte Sicht auf den - neben Albrecht
Dürer - »größten Deutschen Künstler«, dessen ureigener »deutscher
Charakter« die produktive Verarbeitung auch des übermächtigen Vorbil-
des der italienischen Renaissancemalerei sichergestellt hatte, sollte für
Jahrzehnte die Sicht der (mehrheitlich deutschen) Holbein-Forschung
beeinflussen,25 auch wenn bereits im Jahre 1867 der englische Holbein-
Biograph Ralph N. Wornum über Woltmanns im Vorjahr erschienenes
Buch sagte, es sei zwar »... an admirable work, though it is quite German
in its view and treatment.« In kritischer Auseinandersetzung mit dessen
stellenweise in nationalem Überschwang verfaßten Darstellung kam
Wornum zu dem Schluß: »Holbein belongs to Europe, not to Ger-
many.«26

Die Fiktion des produktiv verarbeiteten Italienerlebnisses als Ausweis
höchsten »deutschen« Renaissancekünstlertums sollte ihren nachhaltig-
sten Ausdruck in der kunsthistorischen Bewertung der erst 1864 wieder-
entdeckten »Solothurner Madonna« (Tafel 32, Abb.98)1' finden. Erneut
war es Woltmann, der das Madonnenbild - »...ein Hauptwerk Hol-
beins ..., das... eine der ersten Stellen unter Allem einnimmt, was wir
von dem Meister besitzen« -2S in die Forschung einführte: »Ohne von
seinem nordischen Realismus irgend etwas aufzuopfern, gelangt hier
Holbein zu jener Freiheit des Stils und großartigen Anordnung wie sie
irgend nur in ihren Andachtsbildern Fra Bartolommeo, Andrea del Sarto
und Raffael besitzen«,29 und nur wenig später wies er darauf hin, daß
Maria mit dem Kind »... nach oberitalienischer Art« throne.30 Unter-
schiedliche Anregungen aus der italienischen Malerei sah auch Paul Ganz
1905 bei der Gestaltung von Holbeins Solothurner Madonnentafel am
Werke; so führte er im Einzelnen auf:

»Die monumentale Einfachheit der beiden Heiligenfiguren, die Schön-
heit der Linien und des Faltenwurfes erinnern an Andrea Solarios

58 »Holbein-Bilder«. Entstehung und Kritik
 
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