Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0149

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
rückseite ist weitgehend gleichmäßig ausgeleuchtet, ein etwa gleichgroßer Schatten-
schlag begleitet sowohl die obere als auch die rechte Kante. Dies weist dieser sekundären
Lichtquelle einen Standort zu, der sich nicht ganz so weit rechts befindet wie jener der
Lichtquelle, die den Körper des Toten erhellt.

Zur Analyse der Lichtwirkung vgl. auch Wornum 1867, S. 131 f; Kinkel 1869, S. 173f;
Stein 1929, S. 63; Pardey 1996, S. 142-145.

Tatsächlich erweist sich bei näherer Überprüfung, daß nicht alle der Darstellung zugrun-
deliegenden Beobachtungen an einem Leichnam gewonnen worden sein können. Schon
Überwasser 1958, S. 126, hatte darauf hingewiesen, daß die sehr genau studierten
»... >Durchblicke< unter den Fesseln, den Knieen, der etwas gehobenen Schulter und
unter dem Hals... wohl nur an einem lebenden Modell probiert werden konnten.« Die-
ser Einschätzung entspricht auch die Analyse des Bochumer Anatomen Hinrichsen, die
Imdahl 1986b, S.36, Anm. 37, mitteilte: »Schulter, Rumpf und die Stellung der Füße
sprechen ausdrücklich für ein genaues anatomisches Studium Holbeins am toten Men-
schen. Dasselbe gilt für die Verfärbungen der Haut, die allerdings in Holbeins Bild allein
an den Wundmalen des Kopfes, der (sichtbaren) rechten Hand und des (entsprechend
sichtbaren) rechten Fußes vorkommen ... Die Stellung der Hand ist dagegen ungewöhn-
lich für die Handhaltung eines Toten, möglicherweise aber durch äußeren Eingriff
bedingt. Oberschenkel, Schenkel und Knie sind hingegen einem lebenden Modell ent-
nommen, denn die deutliche Reliefierung der Oberschenkel widerspricht der schlaffen
Muskulatur nach Eintritt des Todes. Auch deuten Mund und Augenstellung auf den
Schmerzensausdruck eines Lebenden. Schultern, Arm und Oberschenkel müßten voll-
ständig auf dem Untergrund aufruhen und wären in der von Holbein dargestellten Lage
nur durch einen Starrkrampf (Opisthotonus) zu erklären.«

Angesichts der unbestreitbaren Wirkung der Darstellung, die trotz (oder vielleicht
gerade wegen) aller oben beschriebener Unstimmigkeiten dem Nichtmediziner über-
zeugend den Eindruck eines Toten vermittelt, überrascht es nicht, daß sich in Basel man-
che lokale Legende um das Bild entwickelt hatte. So berichtete Hegner 1827, S. 166: »Man
sagt, Holbein habe das Bild nach einem ertrunkenen, oder wie andre wollen, erhenkten
Juden gemalt; die natürliche Wahrheit desselben macht die Sage glaublich«. So schlössen
sich dieser Mär auch Kugler 1867, S. 544; Kinkel 1869, S.173; Woltmann 1874, S. 174;
Gauthiez 1907, S.75f; Ganz 1912, S.XXII; Chamberlain 1913, Bd. 1, S.ioif; Christoffel
1924, S. 62, an. Erst Waetzoldt 1938, S. 82, wies darauf hin, der Tote sei nach ärztlichem
Gutachten keinesfalls ein Ertrunkener; ebenso Pinder 1951, S. 26; von Einem i960,
S. 404; Klotz 1964/66, S. 112; ders. 1968, S. 9.

Vgl. hierzu auch Gronert 1996, S. 48; Pardey 1996, S. 144f; Lindemann 1998b, S. 463.
Zur Frage der Veränderung der Datierung von 1521 auf 1522 siehe S. 135.
Klotz 1964/66, S. 115-117; ders. 1968, S. 15, ebenso Zwingenberger 1999, S. 89,
Anm. 90, wiesen darauf hin, daß die Anbringung von Monogramm und Datierung zu
Füßen Christi der Darstellungstraditon für Stifter und Autor entspricht und wollten
darin gar eine mögliche Selbstaussage des Malers, seine religiösen Vorstellungen betref-
fend, sehen.

Klemm 1980, S. 31. Ähnlich auch bereits Knackfuss 1914, S.62 (»Sein Modell war durch-
aus nicht schön, aber das Bild ist unsagbar schön - freilich nicht im landläufigen Sinne
des Wortes«) und Schmid 1948, S. 158 (»Im übrigen hat Holbein hier ein wundervolles
>Stück Malerei< geschaffen«).

So überrascht es nicht, daß insbesondere französische Autoren des ausgehenden 19. Jahr-
hunderts den Grabes-Christus feierten und ihn mit der Malerei ihrer Zeit verglichen. So
sprach Rousseau 1885, S. 30, diesem Gemälde einen »caractere etonnamment moderne«
zu, während die Figur ihn »... fait penser aux heros d'Eugene Delacroix«. Ähnlich zuvor
schon Mantz 1879, S. 33-36, 192.

Graue Untermalungen kommen erst im späteren Holbein-Giuvre wieder vor, wie die
Untersuchungen vor allem an den »Gesandten« in der Londoner National Gallery gezeigt
haben; vgl. Foister, Roy und Wyld in AK Maring & Meaning. Holbein's Ambassadors
1997, S.72-75, 79, 82-84.

Bereits Ganz 1923, S. 14, Anm. 45, war diese »ältere Signatur« aufgefallen. Auch Schmid
1948, S. 158, beobachtete, daß »...die dunkle Wand des Grabes... bei den Füßen
ursprünglich etwas anders (war). Es läßt sich heute noch eine zweite Signatur erkennen,
die der endgültigen ähnlich ist, ebenfalls von Holbein stammt und wie diese keinen Zwei-
fel über die Urheberschaft lassen sollte.«

Sie schließen auch aus, daß diese Übermalung das Ergebnis einer zuvor erfolgten
Beschädigung der Malerei gewesen sein könnte, wie dies Reinhardt 1960a, S.41-43;
ders. 1960b, S.30; ders. 1966, S. 69; ders. 1972, S. 517; ders. 1975/76, S. 168f; ders. 1976,
S. 464; ders. 1982, S. 258, vermutete.

So erstmals Treu in AK Die Malerfamilie Holbein in Basel i960, S. 189f. Nachfolgend
auch von Einem i960, S. 401 f; Maurer in Baer 1932/71, S. 757; Salvini/Grohn 1971, S. 91;
Hütt 1973, S. 477; Rowlands 1985, S. 53,127; Imdahl 1986b, S. 36f, Boerlin 1991, S. 19;
Lindemann 1998b, S.464.
Reinhardt 1960a, S.42.

Boerlin 1991, S. 19; ebenso Lindemann 1998b, S.464; C. Müller 2001a, S. 283.
Joseph Schönbrunner, Joseph Meder, Handzeichnungen Alter Meister aus der Alber-
tina und anderen Sammlungen, Bd. 6, Wien o. J. [1896], o. S., Text zu Blatt-Nr. 634. Die

beiden Autoren glaubten, die Zeichnung sei »... entweder nach dem Gemälde oder nach
einer alten, aber verloren gegangenen Originalzeichnung« entstanden. Das Blatt kam
zuletzt am 16. Juni 1960 in Bern bei Klipstein und Kornfeld zur Versteigerung (Verst. Kat.
Handzeichnungen alter Meister. Bestände aus den Sammlungen des Fürsten
von Liechtenstein. Beiträge aus schweizerischen und überseeischen Privat-
sammlungen [Auktion 98], Bern, Klipstein & Kornfeld, 16. Juni 1960, S.24, Lot 110,
Tafel 10).

Irrigerweise behauptete Reinhardt 1960a, S.43, auch die Zeichnung sei ursprünglich
»1522« datiert gewesen und diese Jahresangabe sei erst nachträglich von anderer Hand
in »1521« verändert worden. Die Überprüfung des Sachverhalts wird zwar dadurch
erschwert, daß der Verbleib der Zeichnung unbekannt ist, jede Beurteilung der Datums-
angabe sich also auf Photomaterial stützen muß. Selbst dieses läßt allerdings klar erken-
nen, daß die erste und letzte Ziffer, jeweils eine »1«, unverändert ist. Die zweite Ziffer,
ursprünglich wohl eine gotische »5«, scheint mit einer arabischen »7« überschrieben, die
dritte Ziffer scheint aus einer »2« in eine »1« verändert worden zu sein. So hatten Joseph
Schönbrunner, Joseph Meder, Handzeichnungen Alter Meister aus der Albertina und
anderen Sammlungen, Bd. 6, Wien o. J. [ 1896], o. S., Text zu Blatt-Nr. 634, die veränderte
Ziffer denn auch als »1711« gelesen.
s Treu in AK Die Malerfamilie Holbein in Basel i960, S. 189. Ebenso von Einem i960,
S.403; Klotz 1964/66, S.124; Imdahl 1986b, S. 37; Boerlin 1991, S. 19; Lindemann
1998b, S.464; C. Müller 2001a, S.284f; skeptisch Rowlands 1985, S. 127f.

9 Von Einem i960, S.402. In diese Richtung zielt auch der Vorschlag von C. Müller
2001a, S. 283, der das Gemälde als Teil des Amerbach-Epitaphs in der Klein-Baseler Kar-
tause sehen wollte; siehe S. 136f.

10 Imdahl 1986b, S.37f.

" Woltmann 1866, S. 265. Diese Haltung nahmen selbst noch Robinson 1900, S.22;
Davies 1903, S.65; Chamberlain 1913, Bd. 1, S. 102; Christoffel 1924, S. 63, ein.

12 Woltmann 1874, S. 174. Ebenso Burckhardt 1886, S.36; Basel 1889, S.30f; Benoit
1905, S.48; Basel 1907, S.54; Heidrich 1909, S. 274; Chamberlain 1913, Bd. 1, S. 102;
Pfister 1921, S.24; Bernhart 1922, S.34; Bruce 1936, S.86f; Grossmann 1951a, S.40;
Jantzen 1951, S. 51; Pinder 1951, S.46; Lieb 1952, S. 182; Gantner/Reinle 1956, S. 66;
Reinhardt 1960b, S.30; Benesch 1966, S.Höf, 158; Deuchler/ Röthlisberger 1975,
S.71; Wolfgang Braunfels u.a., Die Kunst im Heiligen Römischen Reich Deutscher
Nation, Bd.4: Grenzstaaten im Westen und Süden. Deutsche und romanische Kultur,
München 1983, S. 170.

13 His 1880a, S.717; ders. 1886, S.IX; ders. 1908, S.76; ebenso Janitschek 1890,
S. 449-451.

14 Ganz 1905, S. 132; ders. 1912, S. XXII; ders., Von Hans Holbeins d. J. Freiburger Altar-
werk; in: Basler Nachrichten, Nr.45, 1. Beilage, 28. Januar 1914, o. S.; ders. 1923, S.13f;
ebenso Knackfuss 1914, S.81; Basel 1926, S.61; van der Boom 1948, S.30, 32; Grohn
1955, S. 15; ders. 1964, o. S.; Salvini/Grohn 1971, S. 91; eingeschränkt zustimmend auch
Schmid 1924, S.339; ders. 1927, 0. S.; Stein 1929, S.62f; G. Schmidt/Cetto 1940,
S. XXXIV; Hübner 1957, S. 51; Snyder 1985, S. 386.

15 Schmid 1930a, S.44; ders. i94i/42b, S. 285; ders. 1945, S.25; ders. 1948, S. 159f, 162.
Ganz 1923, S. 13f; ders. 1943b, S.341; ders. 1950, S.202f, hielt eine Zuordnung sowohl
zum »Oberried-Altar« als auch zu einer verlorenen, nur in einem Stich von Wenzel Hol-
lar (vgl. Gustav Parthey, Wenzel Hollar. Beschreibendes Verzeichniss seiner Kupfersti-
che, Berlin 1853, Reprint Amsterdam 1963, S. 17, Kat. Nr. 109) und einer kolorierten
Holbein-Zeichnung im Louvre (vgl. Ganz 1937, S. 80, Kat. Nr. 13) überlieferten Kreuzab-
nahme für denkbar. Diese Annahme vertrat im übrigen auch Waetzoldt 1958, S.79.
Klotz 1964/66, S. 120-131, wollte im »Toten Christus« gar ein selbständiges Altarbild
sehen, dessen Konzentration auf die Christusfigur seiner Auffassung nach von reforma-
torischen Tendenzen zeugte und das in der »Vorderen Ratsstube« des Baseler Rathauses
unter dem heute noch vorhandenen Baldachin installiert gewesen sein sollte (ebenso
Maurer in Baer 1932/71, S.757). Alleiniges Indiz hierfür waren ihm neun in drei Reihen
angeordnete Eisenhaken, deren Anordnung in etwa der Größe der (gerahmten) Tafel des
Christus im Grabe entsprach und die sich bis zu einer Restaurierungmaßnahme zu
Anfang des 20. Jahrhunderts in der Wand unter dem Baldachin befunden hatten. Dieses
Rathaus-Altarbild sollte, so Klotz' allzu komplizierte Vermutung, nur wenige Jahre nach
seiner Anbringung von den Ratsherren, die sich mit Holbeins Christusbild vielleicht
»...nicht abfinden konnten«, durch den »Abendmahlsaltar« (den Klotz aus der Baseler
Abendmahlstafel und den - de facto nicht zugehörigen - »Passionsflügeln« zusammen-
setzen wollte) ersetzt worden sein. Boerlin 1991, S. 19f, variierte diese durch nichts zu
untermauernde Idee noch dahingehend, daß er über eine vorübergehende Anbringung
des Christus im Grabe im Ratssaal spekulierte, nachdem er als Deckel eines »Heiligen
Grabes« aus dem Bildersturm gerettet worden sein sollte und bevor er, auf ungeklärtem
Weg, in den Besitz Amerbachs gelangte.

16 Abgesehen von der perspektivischen Unverträglichkeit scheiden sowohl der »Oberried-
Altar« als auch die »Passionsflügel« als mit dem Grabes-Christus zusammengehörige
Teile eines größeren Altarensembles auch aus stilistischen, ikonographischen und histo-
rischen Gründen aus: Beide Flügelpaare sind erst Jahre nach dem »Toten Christus« ent-
standen; dieser läßt sich aus ikonographischen Gründen kaum mit den mariologischen

Hans Holbein d.J. etabliert sich als Meister in Basel 145
 
Annotationen