Gegenteiliges verordnen.11 Und er forderte die Prediger auf, mit dem
frommen Wandel, welchen sie anderen anpriesen, bei sich selbst an-
zufangen und ihr Leben mit ihren Worten in Einklang zu bringen,
wollten sie sich nicht als niedrige Heuchler der allgemeinen Miß-
achtung aussetzen.
Die aufrichtige Religiosität, welche den Grundzug seines Wesens bil-
dete, vererbte Michael auf seinen Sohn Nikolaus, welchen er mit
Helena de’Bonacossi, der Tochter einer vornehmen mantuanischen
Familie, vermählte. Dieser Ehe entsprangen zwei Töchter und fünf
Söhne, unter welchen Hieronymus, geboren zu Ferrara am 21. Sep-
tember 1452, der drittälteste war. Die Kinder genossen vom Groß-
vater wie von ihren Eltern eine streng christliche Erziehung, welche
beinahe klösterliches Gepräge trug. Vater Nikolaus sah darauf, daß
niemals eine Mahlzeit eingenommen wurde, welche nicht mit Gebet
begonnen und beschlossen worden wäre; und damit, wenn der Leib
gespeist werde, die Seele nicht leer ausgehe, mußte immer eines der
Kinder während des Essens aus der Hl. Schrift vorlesen1. Da der
kleine Hieronymus eine ungewöhnliche Begabung verriet, so ward
ihm ein besonders sorgfältiger Unterricht zuteil. Als Knabe wurde
er von seinem Großvater in der lateinischen Grammatik unterwiesen;
er lernte damals von selbst auch das Zeichnen und hatte seine Freude
daran, seine Altersgenossen mit selbstgefertigten Bildchen zu be-
schenken2. Bis zu seinem 16. Lebensjahre, also gerade in der für
seine geistige Entwicklung wichtigsten Zeit seiner Jugend, stand er
unter dem entscheidenden Einflüsse Michaels, welcher erst 1468
hochbetagt starb. Von seinem Vater Nikolaus wurde der heran-
reifende Jüngling in die aristotelisch-thomistische Philosophie und
Theologie eingeführt, worin er so glänzende Fortschritte machte,
daß man ihm allgemein eine herrliche Laufbahn voraussagte. Zwei
Bücher waren es, welche ihn schon damals ganz besonders anzogen:
Der hl. Thomas und die Hl. Schrift. Mit solchem Heißhunger nahm
er die Lehre des Aquinaten schon im Elternhause in sich auf, daß sie
ihm völlig in Fleisch und Blut überging und zum unverlierbaren
Besitze für immer ward. Aber die Leidenschaft seines Lebens bildete
die Hl. Schrift. Sie las, sie verschlang er wieder und wieder mit
1 So Benedikt Luschino, genannt Bettucci, in seiner Schrift „Vulnera Dili-
gentis“ (L. I c. 7), unter Berufung auf die Mitteilungen des mit ihm be-
freundeten Mark Aurel, jüngeren Bruders des berühmten Predigers.2 Luschino
a. a. O.
IV
frommen Wandel, welchen sie anderen anpriesen, bei sich selbst an-
zufangen und ihr Leben mit ihren Worten in Einklang zu bringen,
wollten sie sich nicht als niedrige Heuchler der allgemeinen Miß-
achtung aussetzen.
Die aufrichtige Religiosität, welche den Grundzug seines Wesens bil-
dete, vererbte Michael auf seinen Sohn Nikolaus, welchen er mit
Helena de’Bonacossi, der Tochter einer vornehmen mantuanischen
Familie, vermählte. Dieser Ehe entsprangen zwei Töchter und fünf
Söhne, unter welchen Hieronymus, geboren zu Ferrara am 21. Sep-
tember 1452, der drittälteste war. Die Kinder genossen vom Groß-
vater wie von ihren Eltern eine streng christliche Erziehung, welche
beinahe klösterliches Gepräge trug. Vater Nikolaus sah darauf, daß
niemals eine Mahlzeit eingenommen wurde, welche nicht mit Gebet
begonnen und beschlossen worden wäre; und damit, wenn der Leib
gespeist werde, die Seele nicht leer ausgehe, mußte immer eines der
Kinder während des Essens aus der Hl. Schrift vorlesen1. Da der
kleine Hieronymus eine ungewöhnliche Begabung verriet, so ward
ihm ein besonders sorgfältiger Unterricht zuteil. Als Knabe wurde
er von seinem Großvater in der lateinischen Grammatik unterwiesen;
er lernte damals von selbst auch das Zeichnen und hatte seine Freude
daran, seine Altersgenossen mit selbstgefertigten Bildchen zu be-
schenken2. Bis zu seinem 16. Lebensjahre, also gerade in der für
seine geistige Entwicklung wichtigsten Zeit seiner Jugend, stand er
unter dem entscheidenden Einflüsse Michaels, welcher erst 1468
hochbetagt starb. Von seinem Vater Nikolaus wurde der heran-
reifende Jüngling in die aristotelisch-thomistische Philosophie und
Theologie eingeführt, worin er so glänzende Fortschritte machte,
daß man ihm allgemein eine herrliche Laufbahn voraussagte. Zwei
Bücher waren es, welche ihn schon damals ganz besonders anzogen:
Der hl. Thomas und die Hl. Schrift. Mit solchem Heißhunger nahm
er die Lehre des Aquinaten schon im Elternhause in sich auf, daß sie
ihm völlig in Fleisch und Blut überging und zum unverlierbaren
Besitze für immer ward. Aber die Leidenschaft seines Lebens bildete
die Hl. Schrift. Sie las, sie verschlang er wieder und wieder mit
1 So Benedikt Luschino, genannt Bettucci, in seiner Schrift „Vulnera Dili-
gentis“ (L. I c. 7), unter Berufung auf die Mitteilungen des mit ihm be-
freundeten Mark Aurel, jüngeren Bruders des berühmten Predigers.2 Luschino
a. a. O.
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