VORWORT
Um einen Mann, so recht kennenzulernen, genügt es nicht, sich
von ihm nur durch andere erzählen zu lassen. Näher werden wir
seinem Herzen und seiner Sinnesart erst rücken, wenn wir ihn selbst
vernehmen, und je bestrittener sein Bild ist, desto gebieterischer er-
hebt sich die Forderung, seinen eigenen Worten zu lauschen, um uns
in den Stand zu setzen, auf Grund eigener Eindrücke ein eigenes Ur-
teil zu formen. Daher gab Pasquale Villari, der verdiente Bio-
graph Savonarolas, eine reichhaltige Auswahl aus den Schriften und
Predigten des Ferraresen heraus, welcher er im Verein mit E. Casa-
nova kostbare Quellenschriften zur Geschichte des großen Predigers
anfügte* 1. In Deutschland hatte der protestantische Pfarrer G. Rapp
eine ähnliche Auslese schon 1839 unter dem Titel: „Die erweck-
lichen Schriften des Märtyrers Hieronymus Savonarola“ erscheinen
lassen, die aber bei ihrer Knappheit entfernt nicht geeignet war, dem
Leser eine entsprechende Vorstellung von der Geistesart des berühm-
ten Dominikaners zu geben. Soll dies gelingen, so darf sich die Aus-
wahl nicht auf die eine oder andere, beliebig herausgegriffene Schrift
oder Predigt, die dann auch selbst wieder nur im spärlichen Auszuge
gebracht werden kann, beschränken, sondern muß sich mindestens
auf die bedeutendsten Werke erstrecken, um die verschiedensten
Seiten der in ihnen fortlebenden Persönlichkeit zu erfassen. Daher
liegt denn auch vorliegender Auslese das Bestreben zugrunde, nicht
nur den Prediger Savonarola, sondern besonders auch den Beter und
Mystiker wie den Propheten, auf deren Schultern der Prediger steht,
sodann den Staatsmann, den Reformer und Apologeten zum Worte
kommen zu lassen. Das Schwergewicht seiner Wirksamkeit lag frei-
lich in seiner Predigt, weshalb ihr ein breiterer Spielraum gegönnt
werden mußte, um den mancherlei Tonarten Rechnung zu tragen,
wie sie der redegewaltige Mönch bei verschiedenen Anlässen, in ver-
schiedenen Stimmungen und über verschiedene Gegenstände klingen
ließ. Dabei erwies es sich als ganz unerläßlich, wenigstens einige
Predigten nicht bloß im Auszuge, sondern ihrem vollen, ungekürz-
ten Wortlaute nach vorzulegen, weil eben nur so der wahre Charak-
ter seiner Predigtweise unverfälscht und ungeschminkt zum Aus-
drucke gelangt. Es geschah selbst auf die Gefahr hin, den vorteil-
1 P. Villari - E. Casanova, Scelta di Prediche e Scritti di Fra Gir. Sav. Firenze,
Sansoni 1898. 520 S.
Savonarola
I
Um einen Mann, so recht kennenzulernen, genügt es nicht, sich
von ihm nur durch andere erzählen zu lassen. Näher werden wir
seinem Herzen und seiner Sinnesart erst rücken, wenn wir ihn selbst
vernehmen, und je bestrittener sein Bild ist, desto gebieterischer er-
hebt sich die Forderung, seinen eigenen Worten zu lauschen, um uns
in den Stand zu setzen, auf Grund eigener Eindrücke ein eigenes Ur-
teil zu formen. Daher gab Pasquale Villari, der verdiente Bio-
graph Savonarolas, eine reichhaltige Auswahl aus den Schriften und
Predigten des Ferraresen heraus, welcher er im Verein mit E. Casa-
nova kostbare Quellenschriften zur Geschichte des großen Predigers
anfügte* 1. In Deutschland hatte der protestantische Pfarrer G. Rapp
eine ähnliche Auslese schon 1839 unter dem Titel: „Die erweck-
lichen Schriften des Märtyrers Hieronymus Savonarola“ erscheinen
lassen, die aber bei ihrer Knappheit entfernt nicht geeignet war, dem
Leser eine entsprechende Vorstellung von der Geistesart des berühm-
ten Dominikaners zu geben. Soll dies gelingen, so darf sich die Aus-
wahl nicht auf die eine oder andere, beliebig herausgegriffene Schrift
oder Predigt, die dann auch selbst wieder nur im spärlichen Auszuge
gebracht werden kann, beschränken, sondern muß sich mindestens
auf die bedeutendsten Werke erstrecken, um die verschiedensten
Seiten der in ihnen fortlebenden Persönlichkeit zu erfassen. Daher
liegt denn auch vorliegender Auslese das Bestreben zugrunde, nicht
nur den Prediger Savonarola, sondern besonders auch den Beter und
Mystiker wie den Propheten, auf deren Schultern der Prediger steht,
sodann den Staatsmann, den Reformer und Apologeten zum Worte
kommen zu lassen. Das Schwergewicht seiner Wirksamkeit lag frei-
lich in seiner Predigt, weshalb ihr ein breiterer Spielraum gegönnt
werden mußte, um den mancherlei Tonarten Rechnung zu tragen,
wie sie der redegewaltige Mönch bei verschiedenen Anlässen, in ver-
schiedenen Stimmungen und über verschiedene Gegenstände klingen
ließ. Dabei erwies es sich als ganz unerläßlich, wenigstens einige
Predigten nicht bloß im Auszuge, sondern ihrem vollen, ungekürz-
ten Wortlaute nach vorzulegen, weil eben nur so der wahre Charak-
ter seiner Predigtweise unverfälscht und ungeschminkt zum Aus-
drucke gelangt. Es geschah selbst auf die Gefahr hin, den vorteil-
1 P. Villari - E. Casanova, Scelta di Prediche e Scritti di Fra Gir. Sav. Firenze,
Sansoni 1898. 520 S.
Savonarola
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